Die Entscheidung

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Bens p.o.v.

Es kehrte eine gewisse Ruhe ein. Lilly und ich schliefen wieder im selben Zimmer, saßen am Esstisch wieder zusammen, auch in der Schule in unseren gemeinsamen Fächern.
Wir redeten viel. Sehr viel.
Na ja, neben anderen wichtigen Tätigkeiten.

Lilly fiel es ganz offensichtlich schwer, über alles zu reden.
Das merkte man allein schon an den vielen Pausen, der Nervosität, die sie überkam, ihrer ganzen Haltung.
Aber sie sprach.
Ich glaube, ich war noch nie so stolz auf sie.

Auch wenn es nicht gerade wenig zu verdauen war.
Allein ihr Suizidversuch...und dabei war ich mir sicher, dass sie das wahre Ausmaß noch vor mir verschwieg.
Tatsächlich hatte sie alles ein wenig heruntergespielt, und sehr neutral dargestellt:
"Ich wollte meine Hand verwandeln und mit den Krallen mein Herz durchbohren, und dann ist Damien gekommen, hat sich auf mich geworfen, ich bekam eine Panikattacke, er hat mich geküsst", hatte sie gesagt.

Auf die Frage hin, warum sie das getan hatte, hatte sie lediglich geantwortet, sie wäre sehr traurig gewesen. Dass meine Worte sie getroffen hatten.
Aber ich wettete um alles, dass da noch mehr dahinter steckte.
Natürlich würde ich es gerne wissen. Sehr gerne sogar.
Und doch...ich war schon froh, dass sie überhaupt etwas sagte. Ich würde sie nicht drängen.
Sie sollte sich Zeit nehmen.

Aber auch ich hatte mich zu erklären.
Endlich erzählte ich ihr, dass ich ihre Gedichte nicht gelesen hatte.
Ihre Reaktion war erst einmal langsames Blinzeln gewesen. Sie hatte es nicht fassen können.
Und dann kam sie sich dermaßen dumm vor, denn schließlich war das der Grund gewesen, warum sie abgehauen und entführt worden war.
Doch ich hatte ihr versichert, dass jeder andere auch auf denselben Schluss gekommen wäre wie sie.

Nun ja, jedenfalls gab es sehr viel zu bereden.
Und all diese Dinge schwirrten mir auch heute im Kopf herum, während des Unterrichts.
Die letzten zwei Tage hatten wir beide gefehlt, nicht weil wir krank waren, sondern weil wir einfach zu lange getrennt gewesen waren.
Und wie gesagt hatten wir sehr viel zu bereden gehabt.
Natürlich hatten wir auch noch andere Dinge getan.
Aber vordergründig hatten wir geredet.
Und das war gut. Es war ein wichtiger Schritt und gab uns beiden vor allem eins: Hoffnung.
Wir würden es schaffen. Da war ich mir sicher. Denn eins war mir klar geworden: ich hielt es ohne Lilly nicht aus. Das hatte mir unsere Trennung mehr als bewusst gemacht.

Selbst jetzt spürte ich ihre Anwesenheit tief im Herzen.
Viel stärker als sonst, als hätte mich dieser Abstand süchtiger nach ihr gemacht als jemals zuvor.
Am liebsten wäre ich die ganze Zeit bei ihr.
Das war auch ein Grund, warum wir mit Damien einen weiteren Deal ausgemacht hatten: bei ihren Treffen würde ich fortan mit dabei sein.
Ich hatte mich auf eine Diskussion vorbereitet. Hatte mir gute Argumente überlegt.
Aber nach einer Weile hatte er schließlich nur ein einfaches Wort per WhatsApp zurück geschrieben:

Okay.

Selbst unsere Erklärung, wir seien krank und könnten ihn daher nicht treffen, hatte er durchgehen lassen.
Angesicht dessen, was mir Lilly von ihm erzählt hatte, fiel es mir schwer, seiner Freundlichkeit zu glauben.
Schließlich hatte er Grausames getan. Während Lilly nicht allzu sehr darauf eingegangen war, was er ihr aufgezwungen hatte, hatte sie offener darüber geredet, was er anderen angetan hatte.
Und dass Damien so grausam war...nun, ich wollte mir gar nicht ausmalen, was dann Lilly für ihn tun musste. Mit dem Gedanken, ihm gehörig weh zu tun, spielte ich noch immer. Auch wenn es das letzte Mal nicht gerade so gut geklappt hatte. Aber allein wenn ich an Damien dachte, daran, was er meiner Lilly angetan hatte...da brodelte der Hass nur so in mir. Der Wunsch, ihn bereuen zu lassen, Lilly jemals auch nur angesehen zu haben, brannte wie ein loderndes Feuer in mir. Und doch war mir schmerzlich bewusst, dass er mir überlegen war. Zu sagen, dass mich das frustrierte, war noch weit untertrieben. Um es auf gut deutsch zu sagen: es kotzte mich an.
Aber ich würde dieses Treffen schon noch irgendwie hinter mich bringen. Ich musste mich eben zusammenreißen. Und das bald. 

I wanna be free, MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt