Die Verbrechen des Bäckers

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Als der Speiseaufzug stehen blieb, stellte Olga mit Erleichterung fest, dass die Klappe nicht verschlossen war. Wie weit war sie nach unten gefahren?
Sie befand sich jetzt im Halbdunklen – es war sonderbar still. Fast wäre das Mädchen auf eine Schachtel mit eigentümlichen Nussschnecken gestiegen. Sechs weitere Kartons mit der Aufschrift "Jacob Kowalski, New York" wurden vor dem Aufzug gestapelt. Ansonsten hatte der Raum aber nichts mit einer Bäckerei gemeinsam. An der gegenüberliegenden Wand fiel Olga ein goldumrahmtes Bild von einem weißblonden Mann, der zwei verschiedenfarbige Augen hatte, auf. Das war ein Magier! Olgas Herz schlug ganz schnell. Das Mädchen machte zwei Schritte nach vorne. Ein breiter Teppich, ein ästhetischer Tisch, Schränke mit Phiolen und Reagenzgläsern. Das war das Büro eines Zauberers. Ein Schild auf der Tischplatte verriet den Namen des Büroeigentümers: Juan C. Amandus. Olga stand jetzt in der Mitte des Raumes. Zwischen den Schränken bestach ein prächtiger Kamin und gegenüber drang Licht durch ein großes, nach außen gewölbtes Fenster. Olga schluckte, bevor sie ans Fenster trat. Als sie einen Blick nach unten warf, blieb ihr beinahe das Herz stehen. Hohe, detailreiche Fassaden leuchteten im Glanz der vielen Lichtquellen, Papierflieger flogen durch die Luft und Menschen mit schönen Gewändern und Hüten drängten sich weit unterhalb des Mädchens. Die Zauberwelt.



Prof. Giovanni Nepomuk Hollis.
Juan betätigte die Klingel. Danach setzte er gleich ein unnatürliches Grinsen auf. Hier in der Seitengasse, fern von den Massen, herrschte eine gelassene Atmosphäre. Auch dieser Teil, in dem die Einheimischen wohnten, war von typischem venezianischem Charakter. Die Tür ging einen Spalt auf. „Ah, hallo! Ist da Professor Hollis?" Ein alter Mann mit silbergrauem Haar und Brille kam zum Vorschein. Den Rücken gekrümmt stand er vor Juan, den er skeptisch musterte. „Es geht um eine Verwandte von Ihnen", erklärte der Zauberer die Augen auf den Alten gerichtet, „Potosia Hollis." Der Herr nickte. „Könnten wir das vielleicht drinnen besprechen?" – „Wer sind Sie?", brachte der Alte endlich heraus, seine Stimme klang rau. „Sir, ich unterrichte ihre Enkelin, sie heißt Olga Carabelli!", log Juan. Das Gesicht des Professors entspannte sich und er öffnete nun die Tür weit. Blitzschnell trat Juan über die Türschwelle. Er wartete bis der Alte die Tür schloss, dann zog er einen Stab aus Nussholz hervor, den er in der Mantelinnentasche aufbewahrte.
Das Innere des Hauses wurde bis auf den letzten Quadratdezimeter genutzt. Hier eine üppige Garderobe, dort Säcke, Schuhe, schmale Schränke et cetera und das war erst der Flur. Kurz vor dem anschließenden Wohnzimmer blieb Juan stehen. Der Alte runzelte die Stirn. Plötzlich lachte sein ungebetener Besucher nicht mehr – nein, er zielte mit dem Zauberstab auf sein Gegenüber. Erschrocken griff der Professor nach der Türklinke und machte sich klein. „Avada Kedavra", sagte Juan enthusiastisch.



Grindelwalds Zelle, Haftanstalt der venezianischen Zauberergemeinschaft, Venedig.

Ein finsterer Gang. Seltsame Gefühle wurden in Potosia breit. Sie klimperte mit den schwarzen Schlüsseln in ihrer rechten Hand. In der Linken hielt sie einen kurzen, nüchternen Zauberstab. Zwei Wachen warteten am Ende des Ganges. Alles, einschließlich der beiden Männer, wirkte unfreundlich und ernst. Ohne zu zögern machte sie die längliche Klappe in der massiven Tür auf. Sie sah einen abgemagerten, erschöpften Grindelwald mit schmutzigem Haar und Vollbart. Schnell schloss sie die Klappe wieder. Die Wächter schauten starr nach vorne.

Plötzlich entzündete sie ihren Zauberstab und bewegte die Unterarme von ihrem Körper weg. Der Zauber bewirkte, dass die Wächter gegen die Wände links und rechts geschleudert wurden. Ein Stöhnen war zu hören. Mit zitternden Händen steckte Potosia den richtigen Schlüssel in das Loch der Tür, hinter der Grindelwald saß. Dann musste sie noch mit dem Zauberstab am Türrand entlangfahren, sodass die zusätzlichen Riegel brachen. Einer der Wächter kämpfte sich auf – „Stupor" – und fiel wieder zu Boden. Die Tür öffnete sich nach Innen. Auf einmal trafen sich ihre Blicke. „Wenn man es sich am wenigsten erwartet, geht eine Tür auf." Grindelwald kam aus dem Dunklen der Zelle. Schlagartig ging ein Alarm an. Potosia drehte sich um und lief den Gang zurück, von dem sie gekommen war und nach einem tiefen Atemzug taumelte Grindelwald hinterher, ohne eine Miene zu verziehen. Ein Wächter kam den beiden mit schnellen Schritten entgegen. Potosia schoss ihm einen Fluch entgegen, den er nicht abwehren konnte. Aber nun gabelten sich die Wege. Links befand sich eine Treppe. Auroren näherten sich von unten. Potosia sorgte bei diesen für große Verwirrung. Ein Mann zielte auf den sich schnell herannähernden Schwarzmagier. Im nächsten Moment brach die Decke ein. Ein Auror wurde verletzt, die anderen schrien. Eine Staubwolke erfüllte die Szene und Grindelwald begann unvorhergesehen vom Boden abzuheben. Er schwebte durch das Loch in der Decke.

Das unmögliche Ende - GrindelwaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt