Victor hustete nach jedem Zug, aber er rauchte trotzdem. Dieser bescheuerte Körper des Jungens konnte anscheinend keine zwei Kippen aushalten. Als ihm auf halbem Wege durch die Zweite die Luft beinahe wegblieb, musste er sich allerdings geschlagen geben. Bescheuerter David. Als Victor 19 gewesen war, hatte er schon zwei Jahre Rauchen und ein paar seiner schlimmsten Kater hinter sich gehabt.
Die Universität von David war groß und chic. Jeder Raum war mit Technik ausgestattet, die wohl ein Vermögen gekostet hatte, und es gab Mensaessen, das akzeptabel war. Victor war sofort von einer gewissen Maya in Beschlag genommen worden, die ihm ausführliche Dinge über ihr Wochenende berichtete. Sie war aufgeweckt und laut, aber sehr hilfreich. In ihrer Nähe war es ein einfaches gewesen, den Alltag in dieser Uni zu durchschauen und dem normalen Tagesplan des Anderen zu folgen. Weil ihn die Vorlesungen allerdings nicht interessiert hatten, hatte Victor den karierten Block, den er in der Tasche gefunden hatte nur für detaillierte Zeichnungen von Genitalien verwendet. Er wusste, dass diese Kunstwerke David unglaublich peinlich sein würde, und genau das machte die Sache so reizvoll.
Und natürlich die Bilder der Genitalien an sich.Victor war nämlich aufgefallen, dass er nun offiziell seit zwei Tagen keinen Sex mehr gehabt hatte. So eine lange Durststrecke war ihm selten untergekommen. Eigentlich fand sich fast jeden Abend jemand, mit dem man wenigstens eine kurze Nummer auf der Toilette schieben konnte. Nur, wenn Victor mal einige Tage am Stück frei hatte, kamen Phasen zustande, in denen er keinen Sex hatte. Und er fühlte sich immer unwohl dabei. Noch unwohler fühlte er sich aber im Moment, weil er sich eben nicht unwohl fühlte. Eigentlich hätte es ihm was ausmachen müssen, sein psychologischer Drang nach Sex hätte so groß sein müssen wir der nach Zigaretten (obwohl Davids Körper offensichtlich nicht nikotinabhängig war). Aber er war vollkommen ruhig und entspannt, vor allem nachdem er endlich geraucht hatte. Es war ihm ein Rätsel, wieso er nicht das Bedürfnis hatte, in der nächsten Bar irgendjemanden abzuschleppen. Oder die Nummer des Pärchens von vor zwei Tagen nochmal rauszukramen und sein Glück zu versuchen.
"Bist du bescheuert?" Victor sah auf. Das war seine eigene Stimme, die ihm das entgegenrief. Er erkannte sie nur vage, weil ihm der Sauerstoffmangel zusetzte, aber trotzdem war er sich sicher, in einiger Entfernung schemenhaft sich selbst erkennen zu können. Und er kam schnell näher. "Ich hab Asthma du Idiot! Willst du mich umbringen?" Victor kniff die Augen zusammen und hustete erneut. Während er nach Luft schnappte, fiel ihm auf, dass sich die Lunge des Anderen tatsächlich ungewöhnlich eng anfühlte, als hätte jemand ein Band darumgewickelt und würde jetzt zuziehen. "In der vorderen Tasche ist mein Notfall-Spray!", hörte er seine Stimme rufen und ohne weiter nachzudenken, kramte er den kleinen blauen Inhalator aus der Tasche, die neben ihm auf dem Boden lag, hervor und atmete zügig das Medikament ein.
David kam derweilen vor ihm zum Stehen. Kurz darauf folgte Alice, die bei weitem mehr außer Atem war. Besorgt musterte sie Victor und beobachtete, wie er trotz Inhalator nicht ruhiger atmete. "Das Scheißding... funktioniert nicht!", keuchte er und schnippte endlich die Kippe weg, einsehend, dass er sie wohl nicht mehr fertigrauchen würde. "Das braucht eine Weile um zu wirken, du Genie.", antwortete David. Victor fühlte sich wie ein Kind behandelt. David stieß einen frustrierten Laut aus und hielt ihm seine Hand hin."Gib mit einfach meinen Körper zurück, ich komme damit schon klar."
Victor sah auf und blickte in sein eigenes Gesicht. Aber es war ihm völlig fremd. Die Züge darin waren die, eines anderen. Dieser Blick, mit dem David ihn musterte, war so eigen. Als hätten ihre Gesichter mit ihnen getauscht. Ein Gedanke schoss Victor durch den Kopf, und er stand auf und machte ein paar Schritte in die entgegengesetzte Richtung. Adrenalin machte alles zittrig und angespannt, seine Lunge, nein, Davids Lunge, schien nicht locker zu lassen.
"Nein. Noch nicht. Wir warten.", entschied er dann und zwang sich, ruhige, tiefe Atemzüge zu machen. Der Hustenreiz brachte ihn beinahe um."Was?", stieß David aus. Victor räusperte sich. "Sieht das hier für dich nach einem ruhigen, schlafenden Körper aus? Wir wissen, dass es fehlerfrei funktioniert, wenn wir schlafen, aber nicht, was passiert, wenn ein Körper gerade eine Nahtoderfahrung durchlebt." David verdrehte die Augen. "Das ist nichtmal ansatzweise ein gefährlicher Anfall gewesen. Hättest du die Zigarette fertiggeraucht sähe das vielleicht anders aus."
"Das war die zweite."
"Wie bitte?"
"Du hast noch nie geraucht, oder?"
David ging einige Schritte auf Victor zu, auf seltsame Weise entblößt und deshalb wütend.
"Natürlich nicht, ich weiß, dass es meine Lunge noch schlimmer macht!"
Victor hustete nun doch ein wenig, und spürte, wie er die Oberhand in der Dikussion bekam. In dieser Position fühlte er sich um einiges wohler, und sein klitzekleines schlechtes Gewissen wegen dem Asthmaanfall verschwand hinter dem Gefühl von Macht. "Spießer. Man kann einem Körper alles antrainieren."Eigentlich hätte es David noch wütender machen müssen, aber er ließ das Thema fallen.
Eigentlich hätte Victor dieses Nachgeben ausnutzen und noch einen drauflegen müssen, aber er grinste nur dämlich.So standen sie einige Minuten schweigend voreinander, Victor im Körper von David und David im Körper von Victor, und die Anspannung war gewichen und die Eile auch. Keiner der beiden dachte mehr darüber nach, in sein eigenes Leben zu gelangen. Sie sahen nur auf den Boden und schwiegen, eine Ruhe ausstrahlend, die Alice völlig fehl am Platz vorkam.
"Äh, sorry, dass ich euch so unterbrechen muss, aber wollt ihr nicht langsam...?" Die beiden Jungs sahen auf, plötzlich daran erinnert, warum sie hier waren. Victor räusperte sich als erster. "Achso, ja. Es sieht so aus, als würde dein Medikament langsam wirken." David nickte still. Er brachte kein Wort mehr über die Lippen, alle Laute steckten in seinem Hals, aber wollten ihn nicht verlassen. Diesmal war Victor es, der David die Hand hin hielt.
"Tauschen wir zurück?"
Beenden wir das Chaos?
Stellen wir die Ordnung wieder her?
Wird alles wieder so, wie es war?
Gehen wir auseinander?David schlug ein. Beide zuckten zusammen, ein einzelner, kurzer, stechender Schmerz in ihrem Hinterkopf, ein Ziehen an jedem Muskel, jeder Sehne ihrer Körper, die Luft wurde aus ihren Körpern gepresst, alle Sinne verschwanden für einen Moment. Dann, mit einem Ruck, aus der stillen Schwärze hinaus, zurück in die Welt, ein Ziehen, ein Atemzug, ein Stechen, und auf einmal
sah Victor David an, und David Victor. Und diesmal aus ihren eigenen Körpern.
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Unexpected, huh? :)
Danke für die ganzen reads Leute!! Kommentiert gerne, für Meinungen, Reaktionen und Kritik bin ich immer offen!
Und freut euch auf die nächsten Kapitel, das wird super :)
AOF
PS: offizielle Update-Read-Zahl auf 35 gekürzt :)
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The ME inside of YOU (boyxboy)
Teen FictionVictor war stur und kühl, David war warm und belebt. Der Stripper und der Kunststudent. Der Ruhige und der Offene. Als sie auf einmal ihre Körper tauschten, war plötzlich nichts mehr wie vorher. Zum ersten Mal überlegte David, ob er schwul sein könn...