22- Der Kater

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Victor war erst mitten in der Nacht nach Hause gekommen, und sofort erschöpft und betrunken ins Bett gefallen. Dass er Alice und David im Wohnzimmer gesehen und den Fernseher ausgeschaltet hatte, entfiel ihm sofort wieder unter einem Schleier aus Alkohol und Müdigkeit. Auch ein Tiger im Tutu hätte nicht denkwürdiger sein können.

Er schloss die Augen ahnungslos. Ihm war nicht aufgefallen, dass David nicht neben ihm gelegen hatte. Erst am nächsten Morgen, als er aufwachte, kam ihm dieser Unstand komisch vor. Es war schließlich Samstag, und da gab es keine Vorlesungen.
Sein Kopf drehte sich ein wenig vom Alkohol, der am Vorabend geflossen war. Alle paar Monate hatten sie Shows bis tief in die Nacht hinein, ander als sonst nur bis 12. Er war Ewigkeiten auf der Bühne gestanden und hatte sich den Arsch aufgerissen, um wenigstens so viel Trinkgeld zu bekommen, dass sich der Aufwand lohnte. Aber es waren nur ein paar hundert Euro dabei rausgesprungen.

Fast kam es ihm vor, als würden die Kunden bemerken, dass er vergeben war, und ihn deshalb weniger anziehend finden oder so. Aber an so einen Vodoo-Scheiß wie Ausstrahlung glaubte er nicht. Es war also nur Zufall.

Seine Gedanken kamen seit Tagen genauso wenig zur Ruhe wie die von David. Er sah sich plötzlich mit seiner Zukunft konfrontiert, jetzt, da David bei ihm wohnte, und fragte sich, welche Weichen er stellen musste, um dort hin zu kommen. Und wie er in der Zukunft sein wollte. Vor dem Körpertausch hatte er von Abend zu Abend gelebt, die meisten Tage verschlafen und nachts das Leben genossen. Jetzt gab es plötzlich David, und alles in Victors Leben lief zentripetal auf ihn zu. Es war kein angenehmes Gefühl, wie sein Kosmos sich verschob und ihn aus seiner gewohnten Lebensweise herauslöste, aber er wollte diese Veränderung auch um nichts in der Welt missen. Sie zeigte ihm schließlich, dass David wichtig war. Und dass er eventuell eine Zukunft für Victor bereithielt, die er nie in Betracht gezogen hatte: Eine langjährige, feste Beziehung.

Mit einem schlimmen Kater trottete Victor zur Küche, in der er Alice und David reden hörte. Die Tür stand offen, es roch nach Aufbackbrötchen und Kaffee. Er hatte das erste Mal seit Langem das Verlangen, eine Kater-Zigarette zu rauchen.
Alice entdeckte ihn zuerst, und sie kniff die Augen zusammen. "Mein Gott, siehst du beschissen aus." Victor gab ein abschätzendes Knurren von sich und schnappte sich die Schmerztabletten, die auf der Mikrowelle lagen. "Nope!", ging David dazwischen und nahm ihm die Packung aus der Hand. "Nicht auf leeren Magen! Iss erstmal was."
Victor war sich ziemlich sicher, dass er noch Alkohol im Blut hatte, und sein Hirn sagte ihm, dass sein Magen theoretisch nicht leer war, sondern voller Spirituosen, aber das hielt er für kein sehr ausschlaggebendes Argument.

"Was hast du denn letzte Nacht getrieben?" Alice fand seinen Zustand sichtlich amüsant. Sie grinste von einem Ohr zum anderen. David sah da schon besorgter aus, auch wenn er sich das Schmunzeln nicht verkneifen konnte. Ohne jegliche Nerven für andere Menschen übrig zu haben, ließ Victor sich auf einen Stuhl fallen und legte den Kopf auf den Tisch. Alice prustete los.
"Klappe.", brachte Victor heraus.

David zeigte etwas Mitgefühl und legte ein trockenes, ungetoastetes Toastbrot vor ihn auf den Tisch. "Hier. Ein paar Bissen und du kriegst die Tablette." Er drehte sich zum Herd, verscheuchte Alice von der Arbeitsplatte und füllte einen Topf mit Wasser, um Tee zu kochen.
Victor rieb sich über den Hinterkopf. Der Friseurtermin war inzwischen überfällig; er fühlte sich wie ein ungeschorener Hund-Schaf-Mix.

Alice ließ sich auf den Stuhl neben ihm fallen und legte eine Hand um seine Schultern. "Das hat man davon, wenn man die ganze Nacht Party macht. War wenigstens ein Blowjob drin, ja?", witzelte sie. Und obwohl David Victor vertraute, wurde er gegen seinen Willen hellhörig.
Victor wurde wütend. Der Kater machte ihn reizbar, vor allem, wenn ihm unterstellt wurde, dass er David hintergangen hätte. "Halt' deine verdammte Fresse!", knurrte er. "Natürlich nicht!", setzte er hinterher, griff nach dem Toastbrot und schob sich eine Ecke in den Mund. In der Sekunde, in der es seine Zunge berührte, rumort es in seinem Magen, und er konnte nicht sagen, ob es Hunger oder Übelkeit war, aber er kaute trotzdem.

The ME inside of YOU (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt