15- Die Familie

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Die nächsten Wochen verliefen wie im Rausch für David und Victor. Alles fügte sich zusammen. Sie gingen miteinander aus, fanden immer mehr gemeinsame Themen, Victor bekam das Netflix-Passwort von David, um dessen Lieblingsserie anschauen zu können, David fand sich mit dem Stripclub zurecht und tauchte öfter dort auf, um Victor abzuholen, oder sich seine Show anzusehen. Er fand Gefallen daran. Es hatte seinen Reiz.

Alice und David trafen sich einmal zufällig in der Stadt und kamen ins Gespräch. Victor freute sich insgeheim, dass Alice so positiv davon sprach, als sie es ihm berichtete, aber natürlich zeigte er das nicht.
Sie zwang ihn allerdings auch, einige neue Kleidungsstücke zu kaufen, die zwar immer noch dunkel waren, aber von seinem üblichen Kleiderschrank abwichen. So besaß er jetzt zwei neue Hosen, eine graue und eine blaue Jeans, und drei neue Oberteile, teilweise sogar bedruckt.

Alles wurde harmonisch, die ganze Welt schien für eine Weile im Reinen, keine ungeplanten Körperwechsel, kein Ärger in der Arbeit oder dem Studium, selbst George schien diese gesänftigten Schwingungen abzubekommen. David musste sich nur noch ein Mal pro Woche in seinem Zimmer einschließen. Das war zuletzt vor zwei Jahren so gewesen, als der Alptraum angefangen hatte.

Das Wetter begann langsam, kühler zu werden. Die wirklich heißen Sommertage waren vorbei, der Herbst näherte sich, und damit auch ein Tag, vor dem es Victor beinahe graute.

Eines Morgens stand er in der Küche, mit Kaffee in der Hand und einem morgendlichen Lolli im Mund, und wartete, bis Alice im Türrahmen auftauchte. "Scheiße, Vic! Erschreck' mich nicht so!", stieß sie aus, als sie ihn dort entdeckte. Mit trüber Miene streckte er die freie Hand zum Kalender und knallte seinen Finger auf einen Samstag, der zwei Wochen entfernt lag. "Ist mir vorhin aufgefallen.", sagte er dazu. Alice hatte noch keinen Kopf dafür und ging erstmal zur Kaffemaschine. "Vorhin? Seit wann bist du denn wach?", murmelte sie irritiert und müde. Sie nahm gemächlich ihre lilane Milka Tasse aus dem Hängeschrank, füllte die schwarze Brühe hinein und drehte sich dann um. Jetzt fiel auch ihr auf, auf welchen Tag Victor zeigte. "Mums Geburtstag?" Victor nickte und schlürfte erneut an seinem Kaffee. Dazu nahm er den Lolli aus dem Mund. "Der 50ste. Wir müssen hin." Alice verdrehte ihre Augen. "Ich dachte der wäre erst nächstes Jahr..."

Sie hatten ihre Eltern seit Weihnachten nicht mehr gesehen. Ihr Vater hatte kurz davor im Dezember Geburtstag, und die Geburtstage von Alice und Victor feierten die beiden schon eine Weile nicht mehr mit ihren Eltern zusammen. Die Stimmung war angespannt.
Für Alice grunsätzlich eigentlich nicht. Sie hielt den Kontakt angestrengter als Victor, und ihre Schuld waren die Spannungen auch nicht. Es war eine Sache zwischen Victor und seinen Eltern. Alice war nur ins Kreuzfeuer geraten, weil sie mit ihm ausgezogen war, obwohl ihre Uni nur eine Stadt neben dem Heimatsort der beiden lag und sie deshalb locker pendeln hätte können. Victor war froh, weg zu sein.

"Und? Gehen wir hin?", fragte Alice ihren Bruder. Sie überließ die Entscheidung absichtlich ihm, schließlich war er es, dem die ganze Ssche normalerweise zusetzte. Er drehte den Lolli in seinem Mund. "Wie gesagt, wir müssen. Ist ein runder."
"Ja, aber müssen tun wir gar nichts. Wir können auch einfach... morgens anrufen und ins Kino gehen."
"Wie letztes Jahr?" Er grinste ein wenig. Alice nickte zustimmend und kippte ihren Kaffee voll runter. Die Reste in der Kanne hatten nur für eine halbe Tasse gereicht.

"Trotzdem. Es ist Mum, sie wird sich freuen. Oder?", fragte Victor dann, und hörte sich nicht mehr so selbstsicher an. Alice seufzte. "Natürlich freut sie sich. Hast du Weihnachten vergessen?" Victor glaubte sich zu erinnern, dass er nach Weihnachten zwei Wochen nicht mehr aus seinem Zimmer raus gewollt und eine Kommode zu Schrott geschlagen hatte.

"Aber diese Feste enden seit Jahren gleich: Dad und du, ihr schreit euch an, Mum will schlichten, aber stimmt ihm zu und ich bleibe neutral." Victor verdrehte die Augen. Er hätte gerne gesagt, dass das übertrieben war, aber leider entsprach es der Wahrheit. Seit seine damalige Beziehung bekannt wurde, war das die Grundlage, wieso sich Victor und sein Vater fast immer stritten, wenn sie sich sahen. Und dann musste es nicht mal zwangsläufig um Sexualität, Lebensstile und Religion gehen, es reichte schon, wenn einer den anderen für irgendeine Kleinigkeit kritisierte.

The ME inside of YOU (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt