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Im Laufe der letzten Woche habe ich tatsächlich zweimal mit meinen Eltern telefonieren können und meinen Beschluss zum Einzug in die WG ein ums andere Mal in Frage gestellt. Aber ich hab mich immer wieder aufs Neue von Ivy überzeugen lassen, einfach mal zu schauen. Jedes Mal hat sie mir mehrfach versichert, dass ich nicht lange bleiben müsse und mit dem Zimmer keine Verpflichtungen eingehe. Ob ich nun noch eine Woche oder fünf Monate bleiben wolle, mache keinen Unterschied und sie alle würden das total verstehen. Wichtig sei ihnen nur, dass ich nicht länger in einem Hotelzimmer wohnen muss.

Also haben Jaron und ich geplant morgen Vormittag gemeinsam einige Möbel abzuholen und in die Wohnung zu bringen, damit ich mein vorübergehendes Heim endlich beziehen kann.

Ganz überzeugt bin ich immer noch nicht und werde es vermutlich auch nie sein. Einfachen aus dem Grund, dass ich die Reise zwar an keine festen Vorstellungen gebunden habe, allerdings nicht dachte, dass ich schon in New York hängen bleibe. Dass sich hier in der Großstadt auf einmal der Sinn meines Lebens offenbart, kann ich mir nicht vorstellen und damit möchte ich mich eigentlich nicht zufrieden geben, obwohl ich all die lieben Menschen nur schweren Herzes verlassen werde. Irgendwann werde ich weiter ziehen und dieser Tag wird früher kommen, als wir alle erwarten.

Das Restaurant ist diesen Abend nicht so gut besucht wie sonst und wir haben nicht so viel zu tun, sodass ich mit Jaron die ein oder andere Minute lachend und scherzend hinter der Theke verbringe und wir die Gläser ausnahmsweise auf Hochglanz polieren.

Früher als sonst verabschieden sich die letzten Gäste, flink bereiten wir den morgigen Abend vor und 2 Stunden vor der üblichen Zeit, schließt Jaron hinter Kaeye die Tür.

„So, und nun? Was machen wir mit dem angebrochenen Abend?", witzelt Jaron und grinst mit seinem makellosen Magazinlächeln in die Runde aus müden Gesichtern.

Demonstrativ gähnend dreht Kaeye sich ab und marschiert zu Dex, der an der Ecke unter dem fahlen Schein einer Straßenlaterne steht und glänzt, als wäre er frisch aus der Fabrik. Oder Jaron würde ihn jeden Tag putzen. Leise flüstere ich Ivy genau das zu und sie bricht in schallendes Gelächter aus. Unsere Blicke huschen zu Jaron, der uns gespielt böse anfunkelt und entschlossen den Kopf streckt, als wäre er über alle Spekulationen erhaben.

„Ich glaube, ich will gar nicht wissen, was sie gesagt hat, oder Ivy?", ignoriert er mich und entrüstet stoße ich ihm in die Seite. Jetzt wendet er sich endlich auch mir zu. Leuchtender Schalk funkelt in seinen grauen Augen und amüsiert wandern seine Augenbrauen einige Zentimeter hinauf.

„Nein, du willst es nicht wissen, wenn doch, meld dich."
Mit den Worten harke ich mich lachend bei ihm und Ivy unter.

Wir spazieren zu Kaeye, der an Dex' blauem Lack lehnt und lautstark gähnt, als wir endlich neben ihm stehen und einsteigen. Wir kommen nicht umher, uns eine Strafpredigt von  Jarons wegen möglicher Kratzer an der empfindlichen Lackierung über uns ergehen zu lassen.

Die Nachbarn sind bestimmt auch immer froh, wenn wir dann endlich eingestiegen sind und für die restliche Nacht von der Bildfläche verschwinden.

Eine halbe Stunde später hält Jaron hoffentlich ein letztes Mal vor meinem Hotel und ich kämpfe mich aus dem bequemen Sitz in die kühle Nachtluft.
„Ich weiß nicht, wie lang ich das noch kann", stöhne ich und entlocke Kaeye und Ivy ein Lachen damit, aber Jaron flötet nur: „Bis morgen". Laut heult der Motor auf. „Ach, genau. Wann kommst du?"

Hinter seinen grauen Augen sieht man es förmlich rattern.
„Eher gegen zehn oder elf?"

„Ohhhh", Verständnis spiegelt sich in seinem hübschen Gesicht. „Ähhmmm", zeiht er das Wort, „nehmen wir doch die Mitte und sagen zehn, dreißig."

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