II.I Deidre

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Der nächste Morgen kam ein wenig zu früh, für meinen Geschmack. Die Sonne kroch schon langsam hinter den dicht besiedelten Hügeln im Osten hervor, als ich die Augen öffnete und mir über das müde Gesicht rieb. Mit einem Seufzen schwang ich die Beine über die Bettkante und berührte die kühlen Fliesen mit meinen Füßen. Einen kleinen Moment verweilte ich so, atmete tief ein und aus, reckte meine Arme in die Luft und ließ meinen Kopf von links nach rechts rollen. In der Ferne nahm ich die ersten Offiziere auf dem Gang wahr, die mit entschlossenem Schritt in Richtung Baracken marschierten. Nachdem ich meine Uniform angelegt, meine Haare in einem sorgfältigen Dutt im Nacken zusammengebunden und die schweren Stiefel angezogen hatte, folgte ich ihrem Weg. Auf einem Treppenabsatz begegnete ich Cyrille, einer kleinen jungen Frau aus der Küche, die mir mit einem netten Lächeln einen Nhelin zusteckte. Ein Gebäck, das mich für den restlich Tag satthalten würde, mit leicht bitter-cremigem Geschmack und äußerst spezieller Konsistenz.  Nhelins gehörten nicht besonders zu meinen beliebtesten Snacks, doch reihten sie sich mit Abstand in die Liste der Nahrhaftesten ein. Ich dankte ihr eilig, drückte ihr ein paar Münzen in die Hand und lief weiter die große Treppe hinab. Die Baracken fanden sich außerhalb des Regierungspalastes, auf einem angrenzenden Trainingsgelände, das Schlafplatz und Ausbildungsstätte der Soldaten und meiner Special Force Trainees vereinte. Die Sonne tauchte den Rasen nun in warmen morgendlichen Glanz und ich reckte ihr gierig mein Gesicht entgegen, während ich mir das kleinen Nhelin nach und nach in den Mund schob. Der Regierungspalast und eben jenes Barackengelände lagen auf dem höchsten Punkt der Metropole Ildea, die sich so weit das Auge reichte, bis zum Horizont erstreckte und nach und nach ins Licht der aufgehenden Sonne getaucht wurden. Ildea war schon immer eine schöne Stadt gewesen, mit ihren hohen glänzenden Fassaden der ersten zwei Distrikten, das Kanton und Nodnol, den Sandstein-Villen, mit den kleinen Türmen des dritten Distrikts Mor, und den vielen verwinkelten Gassen der umgrenzenden Ausläufern der Stadt mit den großen Tempelanlagen und Brücken aus früheren Dynastien, Erai, Enod und Aedas. Wunderschöne Ornamente hingen über den Dächern der Häuser, bis in die entferntesten Winkel und reflektierten das Licht in die unterschiedlichsten Farben. Die Morgen ließen Ildea friedlich aussehen, doch Frieden herrschte schon lange nicht mehr, auch wenn das Kanton alles daran gab dies zu propagieren, konnte keiner die Straßenschlachten und Kämpfe zwischen Regierung und Rebellen übersehen. Ich war damals mit diesen Kämpfen aufgewachsen. War ich doch als Soldat großgezogen und ausgebildet und hatte erst kürzlich einen Offiziersposten erlangt.

Also stapfte ich jenen Morgen über die vom Morgentau feuchte Wiese, vorbei an den Brunnen und entlang der Gartenanlagen, die zu dieser Stunde schon rege von in große reinweiße Kutten gekleideten Heilerinnen besucht waren. „Friede sei mit Euch", rief ich ihnen entgegen. Die Frauen nickten mir respektvoll zu und einige antworteten: „Friede sei mit Allen, Captain". Als eine der wenigen Frauen in hohem Dienstgrad, genoss ich unter Ihnen ein klein wenig mehr Respekt als meine männlichen Kollegen. Zudem versuchte ich ihnen ein Gehör in Parlamentssitzungen zu verschaffen und eine möglichst gute Beziehung zwischen Ihnen und meinen Truppen zu schaffen, schließlich bildeten sie einen essentiellen Teil unseres Militärs und hatten durchaus das ein oder andere Mal bereits die heimliche Heldenrolle in Operationen eingenommen. Im Augenwinkel erblickte ich ein neues Gesicht, das aus einem der Buntglasfenster der Gewächshäuser mir hinterher schaute. Ich nickte ihr zu. Hastig blickte das Mädchen wieder zu Boden, ihre Schamesröte konnte ich nur erahnen. Ich lächelte.

Mit auffällig guter Laune betrat ich nun die Baracken und wurde von meinen in Reih und Glied stehenden Soldaten begrüßt. Hundertfünfzig Special Force Soldaten salutierten im Einklang während ich ihre Reihen einmal auf und ab marschierte. Ich kannte alle ihre Gesichter, ich kannte alle ihre Namen, ihre Stärken und ihre Schwächen. Über die Jahre hatte ich äußert viel Wert darauf gelegt, einen außerordentlichen Vertrauensgrad unter ihnen zu erlangen, denn ich wusste, wie wichtige Vertrauen im Kampf sein konnte, vor allem Vertrauen in seine Befehlshaber. Und so war ich mir nicht zu schade, in ihrer Mitte als eine Ihresgleichen zu kämpfen. Langsam musterte ich die Männer der ersten Reihe, bis mein Blick an einem meiner loyalsten Feldführer hängenblieb. Killian Dar'ah. Ein gutaussehender Mann, mittleren Alters. Seine dunkelblauen Haare lugten unter dem Helm hervor und seine grauen schimmernden Augen zwinkerten mir zu. Das mir heiß wurde, versuchte ich zu ignorieren.

„Soldaten, ihr habt gestern gut gekämpft. Und ich weiß, ihr seid heiß darauf, erneut loszuziehen, doch ich muss euch zügeln. Aedas wird anders! Unsere Operation in Aedas wird mehr Vorbereitung brauchen als in Erai." Ein enttäuschtes Raunen ging durch die Reihen. „Ich werde volle Konzentration von euch verlangen, endlich bekommt ihr mal wieder eine neue Herausforderung, kein Geplänkel, keine Spielereien, ich rede hier von Arbeit!", meine Stimme schallte über ihre Reihen hinweg und ich konnte ihren Elan in der Luft riechen. Muskel spannten sich unter den Brustpanzern, entschlossene Blicke wurden mir entgegengeworfen und der Beginn einer neuen Operation in den Sand geschrieben.  Meine Fingerspitzen kribbelten aufgeregt. 

Ildeas ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt