V.III Eugene

19 1 0
                                    


Wir beschlossen einheitlich, dass uns das Ausruhen bis zur Morgendämmerung gegönnt und ohnehin notwendig sei. So wurde das Feuer gelöscht und ich baute uns ein Versteck, welches von außen wie ein natürlicher Erdrutsch aussah. Die Nacht war kühl und ruhig, doch trotzdem bekam ich nur stellenweise ein Auge zu. Sobald ich wegdämmerte, kreierte mein Kopf verzerrte Bilder und Stimmen von Krieg, Folter und Tod. Mein Vater, meine Mutter, Sahara, Kane, Nia. Sie lagen reglos vor meinen Füßen und ich konnte sie sehen, wirklich sehen, so wie ich sie mir mein ganzes Leben schon ausgemalt hatte. Blut und Schmutz bedeckten sie wie einen Teppich und ihre starren Augen durchbohrten mich mit hilflosen Blicken. Ich will das nicht sehen, nehmt mir das Augenlicht. Nichts dergleichen passierte. Stattdessen stand die große, junge Offizierin mit erhobenen Haupt vor mir und schwang ein beschmiertes Schwert. Ich will das alles nicht - tötet mich, na los, TÖTET MICH. Sie rannte mit gezückter Waffe auf mich los. Ich fing an zu weinen. Doch statt Tränen wischte ich mir zitternd Blut von den Wangen.

Mit einem ruckartigen Stoß richtete ich mich auf. Ruhen hin oder her, so konnte ich nicht liegen bleiben. Ich wischte die Schweißperlen, die sich an meinem Haaransatz gebildet hatten, mit meinem Handrücken ab und roch ängstlich an ihnen. Der eiserne Geruch von Blut fehlte, also einfach nur Schweiß - puh.
"Hey, wo willst du hin?", fragte mich Nia mit schlaftrunkener Stimme.
"Mal kurz frische Luft schnappen und schauen, ob da draußen alles gut ist. Keine Sorge, leg dich wieder hin", flüsterte ich, bedacht Kane nicht auch noch zu wecken, immerhin würde er mitgehen wollen und mich mit Fragen meines Befindens durchlöchern.
Ich kroch vorsichtig aus dem Versteck hervor und saugte die frische Brise an Nachtluft auf. Sie war unfassbar guttuend, vor allem im unberührten Wald von Grabor. Die Stille machte mich nachdenklich und so wanderte ich los, nicht wissend wo überhaupt hin.
Sahara fehlte mir derart, dass das Vermissen in meinem Magen schmerzte. Wir zwei waren noch nie wirklich getrennt gewesen, uns gab es nur im Doppelpack. Auf diese Art und Weise funktionierten wir auch einfach am besten. Nun gut, ich funktionierte dann einfach am besten. Ertappt von dem Gedanken griff ich an meine Brust. Noch nie hatte sich meine Kette so schwer angefühlt. Wie eine Art Bürde und kein "In Memoriam". Mit jedem Schritt vergrub ich mich weiter in diese äußerst düsteren Anschauungen. Mich brauchte hierbei niemand. Die Mission lief mit Sahara, Kane und Nia doch sowieso schon wie am Schnürchen. Einen Blinden, welcher mit ein bisschen Erdbändigung durch die Gegend stolperte, wurde hierbei nicht benötigt. Da draußen wartete keiner auf mein Zurückkehren. Ich könnte genauso gut im friedlichen Wald verweilen und auf bessere Zeiten hoffen...

Uff, Eugene, du bist unausstehlich, wenn du so in Selbstmitleid schwimmst - wie wäre es denn alternativ mit Zusammenreißen.
Kaltes Wasser brachte mich zurück in das Hier und Jetzt. Ich war an eine Art Bach angelangt, welcher dem Plätschern des Wassers zufolge in ein größeres Tümpel mündete.
Hm, warum genau genommen nicht?
Mit zwei Handgriffen war ich meine Kleidung, die nur aus der einen Leinenhose bestand, los. Zitternd schritt ich in das flache Gewässer und folgte dem leisen Rauschen flussabwärts. Mit vorsichtigen Bewegungen tastete ich mich vor, die Kiesel am Boden machten meinen verhornten Füßen nichts aus. Nach wenigen Metern mündete der Bach tatsächlich in einem Teich, in welchem das Wasser mich bis zur Brust bedeckte. Die betäubende Kälte tat mir und meinen hitzigen Gedanken gut. Ich ließ mich fallen und fand endlich zur Ruhe.
"Wir sollten umkehren, Captain. Wir haben nichts gefunden.Weder in Aedas noch hier", hallt eine entmutigte Männerstimme zwischen dem Geäst hervor.
"Nein!", zischte die Offizierin entschlossen, "Ich gebe noch nicht auf. Diesmal ist etwas anders!"
Oh verdammt. Meine Augen waren weit aufgerissen und ich war bei vollem und vor allem nackten Bewusstsein - das hier war kein Traum. Ich richtete mich auf, nur um wenige Sekunden später komplett abzutauchen. Ein dunkles Becken voll mit Wasser ist wohl momentan das beste Versteck. Ich drängte mich an eine Wand und versuchte sie so leise wie möglich mit kleinen Handbewegungen vor mich zu schieben wie eine Art weiterer Sichtschutz.
"Eine Wasserstelle, wie passend. Sattelt ab Kilian, wir geben unseren Echsen eine Verschnaufpause und entscheiden währenddessen, wie wir weiter vorgehen wollen."

Ach verdammte Mutter der sieben Monde.

Ildeas ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt