I.III Eugene

41 6 2
                                    

"Sahara nicht so schnell, ich komm nicht hinterher."

"Ach komm Eugene, du schaffst das, du hörst doch meine Schritte. Hab vertrauen in dich."

"Nein - ich - ich hör dich nicht mehr... Sahara? Sahara, wo bist du? Bitte komm zurück... lass mich nicht allein..."

Gepresst unterdrückte ich den Schrei, welcher der Traum mir entlocken wollte. Allmählich kam ich wieder zu mir. Gott, war es stickig in dem Versteck. Mit sehr viel Bedacht ließ ich eine Platte meines selbst errichteten Steinzeltes in den Boden fahren. Kühlere und leicht frischere Luft kitzelte meine Nase. Ja, eindeutig Nacht. Mit meiner Erkenntnis und tiefem Ausatmen fuhren auch die restlichen Steinplatten zurück in den Boden. Das Vorteilhafte an der Nacht war der friedliche Stillstand. Sowohl das Regime aus Distrikt 1, als auch die Na'hi ließen ihre Waffen ruhen und gingen zu Bett. Schon skurril, wenn man bedenkt, wie sie sich tagsüber gegenseitig regelrecht abschlachteten. Doch das ermöglichte mir das Leben bei Nacht. Licht war für mich noch nie von Bedeutung gewesen und so reiste ich im Schutz der Dunkelheit. 

Ächzend holte ich meinen Körper aus der gebückten Haltung und richtete mich auf. Verdammt, was zieht das schon wieder im Rücken. Ein stechender Schmerz durchzuckte mich mit dem Gedanken und erinnerte mich an meine Verletzlichkeit. Schwere Wunde am Schulterblatt, zugezogen von einem Soldaten der Shevu. Mit der linken Hand stützte ich mich gezwungener Maßen an einer der Wände in der verwinkelten Gasse ab. Der Sandstein, aus welchem die Häuser im 3. Distrikt Mor bestanden, beruhigten meine gereizten Sinne und Nerven. Kaum eine Schwingung war zu vernehmen, die Menschen schliefen ruhig in ihren Betten. Mit viel zu wackeligen Schritten tastete ich mich voran, ich musste es heute Nacht in Distrikt 2 Nodnol schaffen. Die Distrikte und ihre Infrastruktur waren ein Teil von mir, so wie meine Fähigkeit die Erde zu bändigen. Meine Eltern hatten mir  so lange ich denken konnte, jede noch so kleine Windung mit Nachdruck beigebracht. Dieses Wissen war mein Auge. Das und die Schwingungen, welche die Erde mitteilte. 

Die Gasse mündete in eine breitere Straße, auf der ab und zu ein Markt abgehalten wurde. Je nach Friedens- oder Kriegslage. Mein Fingerkuppen fuhren an staubigen Papier entlang. Wahrscheinlich wieder ein Plakat mit Saharas und meinem Gesicht. Es war ein Bild aus unserer Kindheit. Die einzigen Abbildungen unserer, bevor unser Vater vom Thron gestoßen, gemeinsam mit Mutter ermordet wurde und das Ende der Na'hi Dynastie einleitete. Wir tauchten damals mithilfe des Kindermädchens ab - welche mittlerweile auch getötet worden war. Eine viel zu hohe Summe für unsere Gefangennahme wurde natürlich auch abgedruckt. Ich riss es ab. Was hatte sich Kane darüber belustigt, wie ich auf den Zeichnungen aussähe. Karikaturhaft, und dabei wäre Sahara schön wie eh und je gedruckt. Er stand auf sie, mir konnte er doch nichts vormachen. Auch wenn er es bisher immer abstritt. Mein Schmunzeln verzog sich zu einer gequälten Grimasse. Ich vermisste Kane. Und ich vermisste Sahara. Nur leider konnte ich nicht beide finden. Sahara war Priorität. Kane kam alleine klar. Er kam schon immer alleine klar. Unser geborener Kriegsheld und Anführer. Viel besser für einen Thron geeignet als ich. Doch beides spielte momentan keine Rolle, immerhin waren die Shevu an der Macht. Die ließen auch nicht locker, schon eine ganze Weile nicht. Mir war es auch egal, ich wollte den Thron nicht. Ich wollte nur meine Schwester in Sicherheit bringen. 

Es war, neben dem Sturz der Elementals, der schrecklichste Tag meines Lebens gewesen, als Kane, Sahara und ich voneinander getrennt wurden. Wir waren ein eingeschworenes Team gewesen, immer bedacht, dass die wahren Fähigkeiten unserer nicht ans Licht kamen. Ach, und was haben wir den Soldaten ihren Arsch poliert. Vater hätte mich für diesen Ausdruck gerügt. Sorry Paps.

Kane, das strategische Genie, Sahara mit ihren Schutzschilden und Heilungskräften und ich mit der Einbildung blind trotzdem etwas bewirken zu können. Und wenn es mehrere Kilometer weit Bewegungen entlarven war. Tja, eine Bewegung hatte ich nicht enttarnt und das war unser Verhängnis gewesen. Nun waren wir Distrikte voneinander entfernt, jeder konnte nur erahnen, wo sich der jeweils andere aufhielt. 

Sahara musste befreit werden, soviel stand fest. Ihre so seltenen Heilungskräfte waren eine zu gute Waffe gegen die Na'hi. Jeder Soldat unter ihrer Berührung konnte wieder aufstehen und kämpfen, egal wie schwer die Verletzung auch sein vermochte. Zudem hat sie Anrecht auf den Thron, wenn man die Shevu mal außer Acht ließe. Ich hatte Angst um sie. Welche Folterungen sie auch an ihr ausübten, um sie zu biegen und zu brechen, ich durfte sie mir nicht ausmalen. 

Sahara, meine Seelenverwandte und einziges verbliebenes Familienmitglied - ich komme dich holen und rette dich aus den Klauen des Kantons. Und dann werden wir Kane finden und gemeinsam zurückkämpfen, so wie wir es schon die ganze Zeit gemacht haben. Nur diesmal mit mehr Können. Und mehr Wut.

Ildeas ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt