Kapitel 9: Schlüsselbund

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Raquels Sicht:
Die Sonne stand hoch am Himmel und tauchte die Stadt in ein goldenes Licht. Zügig lief ich die Straße hinunter und bog rechts ab, um an mein Ziel zu gelangen. Was ich mir dabei dachte? Ich wusste es nicht. Die große, rote Metalltür erstreckte sich nach einigen weiteren Minuten rechts neben mir und ich blieb stehen. Das gelbe Absperrband der Polizei verbot das Betreten des Gebäudes, jedoch wusste ich, dass die Spurensicherung innerhalb einer Woche fertig mit ihrer Arbeit war und ich somit unbemerkt das Gebäude betreten konnte ohne das mir jemand über den Weg lief. Ich schob meine Hand in den Ärmel meiner Jacke und drückte gegen die Klinke der Metalltür. Sie war offen, welch ein Wunder. Sie vermuteten natürlich das ein Absperrband reichte, damit niemand einen gesicherten Ort betrat.
Doch mich hinderte es nicht. Ich war nicht mehr Teil ihrer schmutzigen Machenschaften. Sie hinderten mich nicht daran.

Ich nahm den Geruch von verschimmelten Äpfeln wahr, als ich unbemerkt versuchte die schwere Tür zu öffnen und hinter mir zuzuschieben. Das Geräusch von tropfendem Wasser erfüllte meine Ohren und ich ging langsam an den Reihen von Äpfeln und Fässern vorbei, weiter hinein in die dunkle Lagerhalle. Die Leere, welche ich empfand als ich nach meinem Traum vor einer Woche unter der Dusche stand, holte mich wieder ein und ich merkte das mir alle Bemühungen der letzten Tage wie Sand zwischen den Fingern zerrannen und mich zurück an den Anfang schleuderten, an dem ich jeden Moment an ihn denken musste und ihn vermisste. Stur und wie ferngesteuert lief ich bis zum Ende des Ganges, welcher in einem großen Raum mündete und ließ meinem Blick schweifen. Überall auf den Tischen verteilt waren gesicherte Gegenstände die mit "Zahlenaufstellern" versehen waren. Langsam trat ich an jeden der Tische heran und versuchte meinen Schlüssel unter den Stiften, Origamifiguren, Papierbögen und vielen weiteren Dingen auszumachen, welche man benötigte um hier ein paar Tage zu leben. Doch ich sah ihn nicht. Natürlich nicht, hätte die Spurensicherung meinen Schlüsselbund gefunden, hätten sie schon längst versucht den Besitzer ausfindig zu machen. Ich war eine Idiotin. Schnell drehte ich mich wieder um, wollte aus diesem Hangar flüchten, bis mein Blick auf ein schmales Bett viel. Meine Beine führten mich zu dem Metallgestell bevor mein Kopf mich davor abhalten konnte. Unschlüssig setzte ich mich auf die dünne Matratze, stützte ich die Ellbogen auf die Knie und legte meinen Kopf in die Hände. Was machte ich eigentlich hier? Warum versuchte ich nicht mit ihm und meinen Gefühlen abzuschließen? 'Weil du es nicht kannst!' schrieen meine Gedanken und ließen mich mit einem Wirbelsturm aus Emotionen allein, welcher dazu führte, dass ich in mich zusammensank und mich elende Schluchzer schüttelten. Ich badete in Selbstmitleid und Verzweiflung, wusste nicht wie lange ich so saß, auf der dünnen Matratze, auf der Sergio noch vor einer Woche geschlafen hatte. Ich fühlte mich armselig und unbrauchbar. Fühlte mich selbst erbärmlich das ich um ihn trauerte als wäre er tot. Doch für mich war er es doch oder? Ich suchte in meinem Kopf nach Möglichkeiten, wie ich ihn doch irgendwie ausfindig machen konnte, während ich mich langsam wieder gerade hinsetzte und mir die Tränen von den Wangen wischte, welche unaufhörlich aus meinen braunen Augen quollen und meine Wangen hinunterflossen. Trotzdem ich mir das Hirn zermarterte, kam ich immer wieder zu dem gleichen Ergebnis. Ich würde ihn nur wiedersehen, wenn Europol ihn geschnappt hatte und dann würde ich ihn niemals wieder berühren können. Ein düsteres Bild von einem gefoltertem Sergio in Handschellen und Sträflingskleidung schlich sich in meinen Kopf und ich versuchte es mühsam zu verdrängen. Ich ließ mich seitlich auf dem Bett fallen, winkelte die Beine an, legte meinen Kopf auf das Kopfkissen und vergrub das Gesicht darin. Tränen nässten den weichen Stoff und ich bildete mir ein, dass Sergios Geruch sich noch in den Fasern des Stoffes befand. Er erfüllte meine Nase und beruhigte mich allmählich, ließ meine Tränen versiegen. Langsam drehte ich mich auf den Rücken und starrte die dunkle Decke an. Ein harter Gegenstand unter dem Kopfkissen bohrte sich in meinen Nacken und fragend setzte ich mich wieder auf. Mit zitternden Händen klappte ich das Kopfkissen hoch und erwartete eine Pistole oder eine ähnliche Waffe mit der man sich verteidigen konnte, jedoch war ich erstaunt, als ich sah was sich wirklich unter dem Kopfkissen befand. „Mein Schlüssel?!" stieß ich aus und entdeckte daneben noch mein kleines graues Halstuch, von dem ich dachte ich hätte es an dem Tag in der Finka vergessen, an dem ich Sergio mit einem Lügendetektor ausgefragt und er am Ende mit meinem Auto und meiner Handtasche geflohen ist.

Flashback
Sergios Sicht:
(Tag der Flucht)
Das konstante Geräusch der Schaufeln und das angestrengte Atmen der Serben erfüllte den großen Raum. Müde saß ich auf meinem Stuhl und beobachtete die hektische Stimmung in der Banknotendruckerei. Neben mir lag Raquels Autoschlüssel und ihr Schaltuch, von dem ich nicht wusste warum ich es mitgebracht hatte. Ihre Tasche befand sich auf dem Beifahrersitz ihres Wagens, welchen ich an einer Straße einen Block weiter, abgestellt hatte. Erschöpft schob ich meine Brille weiter zurück auf die Nase und starrte den Schlüssel an. Eigentlich sollte einer der Serben Raquels Wagen vor ihre Haustür stellen, jedoch brauchte ich alle hier, um den Tunnel so schnell wie möglich fertig zu bekommen. „Professor, warum legen sie sich nicht ein paar Minuten hin?" fragte mich Petko, einer der Männer die für mich arbeiteten und halfen den Tunnel zu graben. Er stand hinter mir und ich erhob mich und drehte mich zu ihm um. „Jetzt soll ich schlafen?!" frage ich den muskulösen Mann mit dem langen Bart und er nickte. Ich wollte ihm gerade widersprechen, ihm verschiedene Argumente aufzählen warum ich nicht schlafen durfte, doch da zog er mich schon in die Richtung meines unbequemen Bettes. Schnell griff ich unbemerkt nach Raquels Halstuch und der Schlüsselbund landete ebenfalls in meiner Hand. Wenn ich einschlafen konnte, dann nur mit ihrem Duft. Ich vergrub den Schlüsselbund unter meinem Kopfkissen, damit er niemals der Polizei in die Hände fiel und Raquel mit dem Fall in Verbindung brachte. Ich hatte keinen Plan für eine solche Situation, ich musste dieses Mal einfach hoffen das alles gut ging.
Flashback Ende

Raquels Sicht:
Ein zartes Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, als mir klar wurde, warum mein Halstuch unter dem Kopfkissen lag. Doch ich konnte mir nicht erklären warum sich der Schlüsselbund ebenfalls hier befand. Voller Fragen stand ich auf und richtete das Bettzeug, damit niemand bemerkte das ich hier gewesen war, wenn sie begannen das Gebäude zu räumen. Eine seltsame Friedlichkeit breitete sich in mir aus und ich fühlte mich bereit, diesen Ort für immer zu verlassen und mich endgültig von Sergio zu trennen, auch wenn dies ein schwerer Weg werden würde. Das plötzliche Knarzen der großen Metalltür riss mich aus meiner Friedlichkeit,Panik ergriff mich und ich fühlte mich so unglaublich dumm. Nun war ich geliefert.

 Nun war ich geliefert

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La Vida es un juego - Haus des GeldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt