Kapitel 7: Wahrheit

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Sergios Sicht:
Ich war nicht fähig zu sprechen, in meinem Kopf war nur Watte. Ich blickte wieder in die Ferne um ihre Blicke zu meiden, ich konnte sie nicht ansehen. Ich hatte gerade, ich habe ihr gerade fast die ganze Wahrheit erzählt. Fragend und voller Mitgefühl musterte sie mich. Ich kannte diese Tokio nicht und ebenso wenig konnte ich mit dieser umgehen. Sie dachte warscheinlich dasselbe von mir, denn ich stand noch immer stumm vor ihr. Ich hatte keinen Plan für diese Situation zurechtgelegt. Jedoch würde mir gerade auch kein Plan der Welt helfen um das was ich fühlte offen vor ihr preiszugeben.  Tokio, ich kann nicht" flüsterte ich. „Silene" sagte sie bestimmt. „Wir haben den Punkt mit den distanzierten Verhältnissen überschritten, das wissen sie genauso gut wie ich. Ich bin nicht hier als Tokio, ich spreche mit ihnen als Silene." Ich löste meinen Blick erneut von den unkontrollierbaren Wellen des Wassers und suchte in ihrem Gesicht nach etwas, was Spaß oder Verachtung nahe kam, doch da war nichts. Sie meinte es ernst. Und sie hatte recht, wir waren inzwischen mehr als einfache Bankräuber, die einander nicht kennen. „Sergio! Reden sie mit mir bitte". Bei dem Klang meines echten Namens zuckte ich zusammen. Der Schmerz ließ den Rest der von mir übrig war langsam zerstören. So hatte auch Raquel mit mir gesprochen als wir uns das letzte Mal sahen, als ich ihr sagte sie solle auf sich aufpassen. Die selbe Bestimmtheit die ihre Augen zeigten, spiegelte sich jetzt auch in Tokios Augen. Woher weißt du meinen..?" versuchte ich aber meine Stimme versagte. „Ich will ihnen helfen und ich weiß, dass es hier nicht nur um Berlin geht. Also hören sie bitte auf alles für sich zu behalten und sich dadurch zu zerstören" sagte sie bestimmt ohne auf meine Frage einzugehen. Ich atmete tief ein, mein Brustkorb schmerzte und der Wind ließ mich frösteln, zerzauste meine Haare. „Verdammt, Scheiße" sagte ich und wurde mir meiner einfachen Wortwahl erst jetzt bewusst. Normalerweise fluchte ich nicht, ich versuchte sogar es mir zu verbieten. Auch Tokio schien sich über meine Worte zu wundern, fasste sie aber anscheinend als Zusage auf, denn sie griff mich an meinem rechten Handgelenk und zog mich zu zwei Plastikstühlen, welche am anderen Ende des kleinen Bootes standen und gefährlich hin und her wehten. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so zerstreut und hilflos gefühlt, als in diesem Moment, als ich mich langsam auf diesen wackeligen Stuhl setzte und hoffte das sie mich nicht umbringen wird, nachdem ich ihr den Grund für meine unkontrollierbaren Gefühle gebeichtet habe. Tokio zog den Stuhl vor mich und setzte sich mir gegenüber, die Ellebogen auf die Knie gestützt. Die Trauer hatte sich unter ihren weichen Blick gemischt als sie mich ansah. Es war keine Aufforderung, jedoch brachte ich mit selbst dazu, sie als eine wahrzunehmen. Nervös schob ich mir die Brille zurück auf die Nase und streckte meinen geraden Rücken noch mehr durch, sodass er schmerzte. „Ich..keine Ahnung wo ich anfangen soll" war das einzige was ich herausbrachte. Ist es so wenn man langsam verrückt wird? Das einen körperlichen Schmerz und alle liebevollen Menschen egal werden und man nichts anderes kann außer zu versuchen sich hinter der endlosen Taubheit zu verschanzen? „Versuchen sie es einfach, ich werde ihnen nicht den Kopf abreißen" meinte sie und ein kleines, aufmunterndes Lächeln schlich sich auf ihr Lippen. Sie wusste nicht was sie da sagt. Sie wusste nicht wen ich liebe und warum. Noch nicht. Ich schloss die Augen, nahm meinen Mut zusammen und atmete keuchend aus. „Ich habe sie am ersten Tag des Überfalls kennen gelernt. Mein Ziel war es...mein Ziel war es sie dazu zubringen mir alles zu berichten, über den Überfall und ihre Taktik. Also spielte ich den immer höflichen, arbeitslosen Salva, welcher jedem Menschen helfen wollte. Ich lud sie zu einem kleinen Treffen ein. Ich wollte sie dazu benutzen.." meine Stimme kippte und plötzlich entfuhren mir laute Schluchtzer. Sie schüttelten mich und Ich brach ab. Ich konnte nicht weitersprechen. Ich habe noch nie vor einer Person geweint. Nie habe ich auch nur daran einen Gedanken verschwendet, doch jetzt in diesem Moment, war ich nicht mehr der Mann für den mich alle hielten. Ich war nicht der Professor der alles immer unter Kontrolle hatte. Aber Kontrolle ist nur eine Illusion. Niemand kann das Leben unter Kontrolle haben. Nicht ich, auch nicht alle anderen. Wie ein jämmerlicher kleiner Junge saß ich zusammengesackt auf diesem Stuhl und wünschte mir, ich könnte alles rückgängig machen. Mein Wunsch wurde nicht erhört. Ich blickte auf. In Tokios dunkelbraunen Augen funkelten Tränen und ich sah wie ihre Unterlippe bebte. Ich musste weitersprechen, jetzt war es eh schon zu spät. Mit belegter Stimme fuhr ich fort. Blockte alle Gefühle und Erinnerungen an, wollte wieder diese einfache Taubheit spüren. „Ich wollte sie dazu benutzen, mir zu helfen.
Damit ich einen Vorsprung hatte. Doch es kam anders. Nach jedem weiteren Treffen erkannte ich die Frau hinter der eiskalten Fassade. Mir wurde klar, das ich etwas empfand, etwas was ich nicht einordnen konnte. Als sie nach unserem dritten Treffen zu ersten Mal die Pistole auf mich richtete, war ich ihr noch einen Schritt voraus. Ich hielt mich für schlau, als sie mich jedoch küsste, verlor ich mich in einer endlosen Gedankenschleife. Ich verlor mich in ihr. Ich war nicht da, als Oslo getötet wurde und das quält mich. Als du aus dem Gefängniswagen geflohen bist", ich blickte ihr in die erstaunten und verwirrten Augen:„ war ich in Toledo, an Ketten gefesselt und sie schlug mich, weil ich ihr sagte das ich sie liebte." Eine einzelne Träne entfloh aus meinen Augen und rollte mir die Wange hinab. „Sie schloss mich an einen verdammten Lügendetektor an weil sie mir nicht glaubte. Diesen Moment werde ich nie vergessen. Ich schaffte es frei zukommen und fuhr weg, nachdem sie versucht hatte auf mich zuschießen. Ich habe sie im Stich gelassen und ich habe dich im Stich gelassen." schnell atmend versuchte ich krampfhaft alles zu blockieren was ich fühlte. Tokio ging es genauso. Erinnerte sie sich an das was sie getan hatte? Oder warum rollten die Tränen still über ihr verzehrtes Gesicht ? Wie kann das sein? Was hat uns beide genau an diesen Punkt gebracht an dem wir beide weinend auf einem Boot, welches der Wind umspielte und die Wellen aufbrausen lies, saßen und beide völlig unfähig waren zu sprechen? Mitgefühl flammte in mir auf und wieder verspürte ich den Drang ihr helfen zu wollen. Ich wollte sie gerade fragen ob alles okay mit ihr sei, da schüttelte sie wortlos ihren Kopf und signalisierte mir das ich weitersprechen sollte. Alles in mir, sträubte sich dagegen aber ich musste es tun. „Ich lies sie allein in Toledo und sie fing an mich zu suchen. Nachdem ich bei euch in der Druckerei war.
Nachdem Moskau gestorben ist, hat sie mich gefunden und hielt mir eine Waffe an den Kopf. Alles in mir brach, weil ich so sehr hoffte sie würde mit mir kommen, sie würde mir vertrauen. Die Serben halfen mir und fesselten sie, sie versuchte freizukommen und am Ende dieser ganzen Tortur küsste sie mich und mir wurde bewusst, dass ich ohne sie nicht leben wollte und konnte. Ich lies sie frei, als sie mir versprach mich nicht zu verraten, damit sie diesen Ángel besuchen konnte. Dann habe ich sie nicht noch einmal gesehen."
Stille trat ein, unsere Atemzüge vermischten sich miteinander während wir beide versuchten das zu verarbeiten was ich gerade offengelegt hatte. „Das ist, wie?" brachte Tokio hervor. Ich hatte Raquels Name nicht einmal erwähnt, das hätte ich nicht über mich gebracht. Ich wusste nicht, ob sie jedoch wusste von wem ich gesprochen hatte. Von ihren Tränen war nichts mehr zusehen. Sie hatte die Mauer vor sich wieder errichtet. „Ich weiß nicht was ich sagen soll, ich habe gewusst das mehr dahinter steckt als Berlins Tod, aber ich hätte nie damit gerechnet". Ich machte mich bereit für den Angriff, für die Sachen die sie mir gleich an den Kopf werfen wird. Doch sie blieb still. Stumm stand sie auf und lief zurück zur Brüstung , nur um ein paar Minuten später zu mir zurück zu kommen. „Die Inspectora, sie lieben sie?" frage sie ernst und gefasst. Ich konnte nichts anderes als zunicken und ebenfalls aufzustehen.
Stumm blieben wir in dieser Haltung. „Tokio? Professor?" Rios Stimme führte und zurück in die Realität. Ruckartig löste sich Tokio aus ihrer Starre, zusammen mit einer dicken Mauer, welche sie erfolgreich wieder aufgebaut hatte. Rio kam zu uns:„Was habt ihr hier draußen bei dieser Eiseskälte gemacht?". „Wie haben uns einfach so ein bisschen unterhalten" meinte Tokio und rang sich ein unbeschwertes Lächeln ab. Rio nickte und ging wieder hinein, nachdem sie ihm versprochen hatte gleich nachzukommen. „Ich verrate nichts" meinte sie, kam zu mir und umarmte mich. Langsam nickte ich. „Danke das sie es mir erzählt haben." sie blickte mir in die Augen und drückte meine rechte Hand. Dann verschwand sie und lies mich allein. Die gewohnte Taubheit umfing mich und ich schaute hinaus auf das endlose Meer.

Ein Motorgeräusch löste mich aus meiner Starre. Die Sonne ging langsam auf. Habe ich die ganze Nacht hier gestanden und auf das Wasser gestarrt? Unser zweites Boot wurde im Morgennebel sichtbar und ein Funken Hoffnung blitzte in mir auf.

 Habe ich die ganze Nacht hier gestanden und auf das Wasser gestarrt? Unser zweites Boot wurde im Morgennebel sichtbar und ein Funken Hoffnung blitzte in mir auf

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