Kapitel 55 - Erfahrungen

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Daniels Sicht

„Komm Chili." Ich pfiff und schon kam die Haflinger Stute zu mir in die Mitte der Halle getrabt. „Fein, Mäuschen." Ich strich vorsichtig über ihre Nüstern und legte ihr den Halsring um. „Na Daniel, was hast du heute mit Chili vor?" Fragte mich mein Vater neugierig. „Ich hab' mir gedacht, ich könnte es mal mit dem Halsring probieren."
„Bei Chili? Du weißt wie es das letzte Mal ausgegangen ist?"
Eigentlich hatte mein Vater recht.
Das letzte Mal als ich Chili ohne Sattel und nur mit Halsring geritten bin hat sie gebuckelt und ich bin runtergefallen, wobei ich mir den Kopf hinten an der Hallenwand aufgeschlagen habe.
Eine schwere Gehirnerschütterung...
Aber aufgeben war nicht so meins.
„Ja. Aber das ist noch lange kein Grund, es nicht weiter zu probieren. Wenn man einmal nicht direkt nach einem Sturz aufsteht, hat man Angst es wieder zu riskieren. Und ich will keine Angst haben." Sagte ich nun und war kurz davor aufzusteigen.
„Hach Junge... Naja, in der Hinsicht merkt man, dass du mein Sohn bist." Lachte mein Vater nun und lehnte sich an der Hallenwand an um mich zu beobachten.
Inzwischen saß ich auf Chili und ritt schon vorsichtig im Schritt.
Noch war sie nicht durchgedreht.
Naja, dass dachte ich letztes Mal auch, bis ich im Galopp war...
Aber dieses Mal... Da funktionierte es. Ich konnte ohne Probleme angaloppieren und sogar einen kleinen Sprung wagen.
„Super Daniel!" Rief mir mein Vater zu und kam zu mir in die Mitte.
„Wenn du mit Chili fertig bist, willst du dann mal auf Shilou?" Ich nickte zustimmend und klopfte der Haflinger Stute auf den Hals.

Nun war ich dabei Shilou fertig zu machen und auf den Platz zu bringen, wo wir uns erstmal aufwärmten. Shilou war ein Holsteiner Apfelschimmel mit einer sehr schönen Blesse und einer rosa Schnippe.
Immer wieder hoffte ich, dass er mal zum Verkauf stehen würde und ich ihn kaufen könne, aber vergebens. Leider blieb er erstmal meine Reitbeteiligung.
Aber der Besitzer war wirklich sehr nett. Er ließ mich Turniere reiten, ihn so oft sehen wie ich wollte, ließ mich ins Gelände... Alles in allem... Sehr angenehm.
Nachdem wir aufgewärmt waren stellte mein Vater einige Hindernisse auf, über welche wir sprangen und uns so Lob meines Vaters einsammelten.
Aus der Ferne sah ich Becki.
Oje, sie soll sich doch ausruhen...
„Komm Shilou, ein bisschen noch." Ich trieb den Hengst wieder an und sprang erneut. Aber dann... Bei einem Sprung stoppte er kurz davor und ich flog über seinen Kopf.
Gut, dass ich geübt in diesem Szenario war und mich gut an den Zügeln halten und - mehr oder weniger elegant - auf den Füßen landen konnte. Blöd war nur, dass mir die Brille runterfiel, und ich nun praktisch blind war. „Das hätte echt böse ausgehen können." Schnaufte nun mein Vater erleichtert. „Ja... Aber was war denn los? Shilou ist doch sonst nicht so!"
Ich suchte meine Brille, sah nur verschwommen wie Shilou an etwas braunen schnüffelte und mich leicht am Bein anstupste. „He, er will dir zeigen wo deine Brille ist!" Sagte nun mein Vater erstaunt. Also bückte ich mich zu Shilous Kopf... Und tatsächlich, da lag meine Brille.

„Was wünschst du dir eigentlich zu deinem Geburtstag?" Fragte mein Vater während ich Shilou noch in der Box eine Möhre gab. „Ich hatte mir überlegt mir die Augen lasern zu lassen. Hast ja gesehen wie beschissen die Brille ist." Becki war damit beschäftigt Shilou zu streicheln, während mich mein Vater seltsam ansah. „Und wie viel würde das kosten?"
„Naja... Pro Auge muss man schon mit tausend Euro rechnen. Ein Auge könnte ich mir definitiv schon mal leisten... Halt das zweite nicht."
Mein Vater sah mich geschockt an. „Tausend Euro?! Also Daniel... Sorry, aber das ist bei uns finanziell nicht drinn..."
Ich zuckte enttäuscht mit den Schultern. „Dann kratze ich irgendwie etwas Geld zusammen und muss halt etwas länger warten."
Ich seufzte und nahm Beckis Hand. „Daniel, können wir heim? Mir wird echt kalt..." Murmelte sie. „Klar. Wir fahren heim und dann machen wir es uns auf der Couch bequem." Erwiderte ich und ging gemeinsam mit Becki zum Auto.

Zuhause angekommen entledigten wir uns unseren Jacken und Schuhe. Becki legte sich auf die Couch, während ich die Heizung etwas wärmer stellte. Nun gesellte ich mich dazu. Sie legte ihren Kopf auf meine Brust und schlief ein, als ich uns zugedeckt hatte. Solch eine tolle Wärme...
Die Vorstellung, dass hier in einigen Monat ein Kind in dieser Wohnung sein würde... Sie war unbeschreiblich.
Ich stellte mir vor, wie ich mit meinem Kind schlafend auf der Couch lag, während Becki einkaufen wäre...

Thomas' Sicht

Wo war ich?
War ich tot?

„THOMAS!" Raf eine mir ziemlich bekannte Stimme.
Erst als ich richtig die Augen öffnete sah ich sie... Ich wurde stürmisch von zig Leuten umarmt, während eine andere irgendwie mit ihrem Handy auf mir zeigte.
Und dann konnte ich sie alle erkennen...
Max, Tom, Niels und...Emma...
Ich erwiderte nun glücklich die Umarmung von den vieren und Emma fing vor Freude an zu weinen.

„Oh Mann Thomas... Das ist doch kein Grund ohne was zu sagen abzuhauen." Sagte nun Tom, als ich ihnen die Geschichte erzählte, warum ich abgehauen war.
Nun kam ein spanischer Arzt herein und erklärte etwas auf Spanisch. Niels übersetzte es für uns.
„Thomas, du hast wohl eine Aortenklappenstenose. Das kann solche Synkopen die du öfters früher und auch heute noch hast begünstigen."
Ich wirkte irritiert und Niels übersetzte nun die Erklärung des Arztes.
„Bei der Aortenklappenstenose handelt es sich um den häufigsten behandlungsbedürftigen Herzklappenfehler. Ursache ist meist eine erworbene Verkalkung. Das sauerstoffreiche Blut kann nicht mehr ausreichend in den großen Kreislauf gepumpt werden. Symptome der Aortenklappenstenose sind eine Minderversorgung des Gehirns, Schwindel und geringere Belastbarkeit."
Ich nickte gespannt und hörte weiterhin zu.
Auch alle anderen schienen gespannt.
„Die Aortenklappe besteht aus drei halbmondförmigen Taschen. Sie liegt zwischen linker Herzkammer und Hauptschlagader. Sie dienst dort als Ventil, damit das Blut nur in eine Richtung - und zwar in den großen Blutkreislauf - strömen kann und nicht ins Herz zurückfließt.
Dieser „Ausgang" aus dem Herzen ist bei der Aortenklappenstenose verengt. Das Herz muss aufgrund dieses Widerstandes mehr Kraft aufbringen, um die Klappe zu öffnen und das Blut weiter zu pumpen. Infolgedessen verdickt sich der Herzmuskel zusehends. Im Lauf der Zeit wird er dann immer weniger dehnbar und schwächer, die Pumpleistung lässt nach. Gerade bei einer fortgeschrittenen Aortenklappenstenose schafft es der Muskel schließlich nicht mehr, ausreichend sauerstoffreiches Blut in den Körperkreislauf zu befördern."
Nun waren alle im Raum etwas geschockt. Auch Niels realisierte, was er da übersetzt hatte.
Nun hatte ich jedoch eine Frage... „Wie konnte das elf Jahre nicht entdeckt werden?" Fragte ich, was Niels für den Arzt nun übersetzte.
„Ahora pregunta cómo esto no pudo ser detectado todos estos años." Sagte Niels nun.
„Also Thomas...Du bist nicht sein erster Fall, bei dem das ewig nicht entdeckt wurde. Sowas passiert. Da kann keiner etwas für."

Daniels Sicht

Die Sterne strahlten am Himmel, und ich joggte ein wenig durch die Straßen. Ich hatte es bitter nötig, um meinen Kopf klar zu bekommen.
Ich hatte gerade etwas erfahren, dass mich einfach zerriss.
Ein Freund aus meiner Schulzeit könnte jederzeit sterben.
Er war wirklich viel zu krank, um ihn noch zu retten.
Auf halber Strecke fing ich an zu weinen, joggte jedoch einfach weiter und versuchte jegliche Blicke der Passanten zu ignorieren.

Am nächsten Tag besuchte ich meinen Freund im Krankenhaus. Er durfte nach hause, bis es soweit war.
Wir liefen ein wenig durch die Stadt, gingen in den Steiger Wald zusammen.
Dort setzten wir uns auf einen Baumstamm, lehnten uns gegenseitig aneinander und genossen die Stille.
„Wenn ich weg bin... Wirst du mich vermissen?"
„Natürlich! Du warst in der Schule mein einziger richtiger Freund..." Antwortete ich und hielt seine Schulter um ihn an mich zu drücken.
Doch dann...
Löste er sich von mir, sah mich an und küsste mich...
Was zum...
Erst erwiderte ich denn Kuss, aber irgendwann, wurde mir die Realität klar und ich stieß ihn von mir.
Mein Schulfreund sah mich verwirrt und verletzt an, und legte seinen Kopf schief.
„Mike, ich...ich...ich..."
Stotterte ich und wurde leicht rot.
„Sorry Daniel...war wirklich 'ne blöde Idee. Sorry..."
Er stand auf, sah mich mit Tränen in den Augen an und fing an zu zittern. Ich ging auf ihn zu, wischte seine Tränen weg und umarmte ihn, sah ihn aber verwirrt an. „Man... Daniel, ich bin schwul. Ich stehe echt seit unserer Kindheit und Jugend auf dich... Ich habe gehofft, dass es dir so erging wie mir..." Stammelte Mike, worauf ich ihn über die Schulter strich. „Mike, ich habe eine wundervolle Freundin und werde in einigen Monaten Vater. Ich mag dich echt, aber als Freund. Das mit uns beiden...das würde nicht funktionieren. Ich habe keinerlei Interesse an einer Beziehung mit Männern." Versuchte ich ihm schonend bei zu bringen.
„Ja... Ich...ich..ich, weiß, dass das nicht gut war von mir..."
Ich fing an zu seufzen. „Aber... warum hast du den Kuss erst erwidert?"
„Mein ganzer Tag ist durcheinander. In meinem Leben passiert aktuell viel und jede Kleinigkeit die nichts mit meinem Alltag zu tun hat bringt alles ins wanken. Dieser Kuss zum Beispiel... Mein Gehirn hat kurz ausgesetzt... Ich wollte dir echt keine falsche Hoffnung machen..."
Versuchte ich zu erklären.
„Ist schon okay."

Der Lehrer - Warum ich...?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt