Kapitel 73 - Please don't leave me

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Davids Sicht

Ich stand gerade vor meiner Klasse, als ich einen Anruf bekam. Ein Anruf von Sams Therapeutin.
Ein Anruf, der alles änderte.
Ein Anruf, der alles zerstörte.
„Ja?" Fragte ich, als ich abnahm.
„D-d-david... S-s-sam..."
„Was? Mach bitte langsam... Was ist passiert?" Langsam wurde ich etwas nervös... Was war da bitte los?
„Ich bin zu Sam nachhause. Er hatte sich gestern nicht mehr bei mir gemeldet... Ich bin in die Wohnung gekommen, wo Chico total nervös auf mich zu gerannt kam. Sam... Sam...lag im Badezimmer... Hat flach geatmet... Ich habe natürlich sofort den Rettungsdienst gerufen... Aber...aber... Sie konnten ihm nicht mehr helfen... Es war zu spät... Er hatte scheinbar während seiner Bewusstlosigkeit Blut gespuckt und es eingeatmet... Sam ist...-"
Noch während die Therapeutin es aussprach, ließ ich mein Handy fallen. Kurz stand ich einfach schweigend und geschockt da... Aber ich hob mein zersprungenes Handy wieder auf und versuchte so normal wie möglich mit der Therapeutin reden.
„Ich habe den Knall gehört... Alles okay?"
„Ähh... Ja..."
„Also ähm... Sam war kurz außer Lebensgefahr... Aber er starb im Rettungswagen an einer Überdosis Schlaftabletten... Es tut mir so leid... Du warst mehr als sein Lebensgefährte... Du warst seine größte Liebe..."
„I-i-i-i-ich muss...auflegen..."
Ich legte hektisch auf. Ich brauchte eine Weile, bis ich alles realisierte. Ich dachte, dass sei alles ein Scherz.
Aber mir wurde es schnell klar.
Mein Freund hatte sich wahrscheinlich mit einer Überdosis umgebracht.
„Warum?" Fragte ich.
Danach brach ich in Tränen aus und setzte mich auf den Boden.
Ich merkte gar nicht, was um mich herum passierte.
„David?! Was ist passiert?!" Thomas' Stimme holte mich zurück in die Realität, also sah ich ihn verheult an und griff sofort nach seiner Hand, um ihn zu mir auf den Boden zu ziehen, damit ich ihn umklammern konnte.
„Pssch... Was ist los?"
Ich heulte weiter. Brachte kein Wort hervor.
Thomas strich vorsichtig über meinen Rücken, umarmte mich...
„Sam..." Fing ich an. Wobei meine Stimme kaum hörbar und kratzig war.
„Sam hat sich...überdosiert..."
Thomas sah mich kurz etwas verwirrt an, wurde dann aber selbst etwas emotional und drückte selbst ein paar Tränen weg.
„Alles ist gut. Ich bin da. Ich werde so lange für dich da sein, wie du mich brauchst. Wir sind ein Team." Flüsterte Thomas und umarmte mich weiterhin.
„Komm, lass uns ins Lehrerzimmer gehen und dort weiter reden..."
Ich nickte kaum merkbar.
„Ich schicke euch eine Vertretung." Sagte nun Thomas zu meiner Klasse und ging mit mir gemeinsam nach oben ins Lehrerzimmer, wo auch Tom und Niels waren.
„Was ist denn passiert?" Fragte Tom bedrückt.
Ich versuchte sachlich über das vorgefallene zu reden.
„Also... S-sams Therapeutin ri-ri-rief mich gerade a-a-n und sagte, d-d-d-dass sie S-s-s-sam im Bad ge-ge-gefunden hat... E-e-e-r ha-ha-ha-hat sich überdosiert..."
So sehr ich auch versuchte nicht zu stottern, so passierte es trotzdem und direkt danach brach ich wieder in Tränen aus und setzte mich an den Tisch.
„Wer würde zur Vertretung in die 6c gehen?"
Niels meldete sich und packte ein paar Bücher für den Matheunterricht.

„David, ich weiß, es ist schwer damit umzugehen. Ich kann mir vorstellen, dass du gerade ziemlichen emotionalen Druck auf deinen Schultern hast. Und ich weiß, wie sehr du dich schämst vor uns, aber besonders vor deinen Schülern geweint zu haben. Du fragst dich sicherlich, warum. Warum hat Sam das getan? Genau das fragst du dich. Ja, warum hat sich dein Freund umgebracht? Aber keiner weiß es. War es wegen der PTBS? Oder wegen etwas anderem? Vielleicht werden wir es früher oder später erfahren. Jetzt ist es wichtig, dass du dir Zeit nimmst. Zeit für dich selbst, okay? In der ersten Zeit ist alleine sein sehr wichtig. Denn Kontakt mit anderen tut weh. Selbst die Familie bedrückt einen. Aber irgendwann kommt die Zeit, wo du nicht mehr alleine zurechtkommen wirst. Weil du immer weiter in ein tiefes Loch fallen wirst. Es wird ein Teufelskreis. Deshalb ist Kontakt mit den Liebsten ab einen gewissen Punkt essenziell. Und irgendwann ist der Punkt gekommen, an dem wieder etwas Licht in den dunklen Raum kommt. Wo man gemeinsam mit Freunde und Familie die schwerste Zeit überwunden hat. Klar, solche tiefen Wunden heilen nicht von heute auf morgen. Das dauert. Sehr lange. Und selbst wenn sie verheilt ist, wird eine Narbe zurückbleiben. Aber diese Narbe macht dich stärker. Sie formt dich. Du wirst lernen, mit ihr zurecht zu kommen. David, wir sind immer für dich da. Vergiss das niemals. NIEMALS, hörst du?"
Tom hielt uns eine lange, aber emotionale Predigt. Und er hatte recht, weshalb Thomas ihm zustimmend zu nickte.
„Komm, lass uns zu mir gehen. Da kannst du erstmal dich hinlegen. Tom, sprichst du mit Max?"
„Ja. Ich kläre das."

Bei Thomas angekommen verkroch ich mich direkt in mein Zimmer, schloss die Tür und legte mich auf mein Bett, wo ich anfing zu weinen und mich unter der Decke zu verkriechen.
Nach einer Weile klopfte es, wo Thomas mir einen Teller mit zwei belegten Broten und eine Wasserflasche auf den Boden stellte.
„Falls du Hunger oder so hast. Wenn du was brauchst, sag bescheid. Ich lasse dich jetzt mal in Ruhe."
Ich nickte schwach und kroch wieder unter die Decke. Dabei ignorierte ich das Brot und die Wasserflasche völlig.
Irgendwann nahm ich mein Handy und betrachtete meinen Sperrbildschirm. Er war nicht nur zersprungen durch den Sturz, sondern am meisten brachte mich mein Hintergrundbild zum weinen. Es war ein Bild von Sam und mir, wo wir gemeinsam mit Chico spazieren waren. Auf den Bild waren wir so glücklich. Küssten uns...

Der Lehrer - Warum ich...?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt