Erneut zerriss das metallische Klappern der Rüstungen die Stille, als die Wachen im Zuge ihres Kontrollganges ein weiteres Mal ihre Zimmertür passierten. Anfangs hatte sie ihre Zeit damit verbracht die Runden zu zählen, die die Angestellten des Schlosses gemacht hatten, doch nach einiger Zeit waren ihre Gedanken abgedriftet und sie hatte mit dem Zählen aufgehört.
Es war nicht immer so gewesen. Tatsächlich war die nächtliche Patrouille erst vor wenigen Wochen eingeführt worden, doch seitdem hatte sie eine Regelmäßigkeit gewonnen, die ihr ganz und gar nicht gefiel. Als sie ihren Vater am ersten Tag gefragt hatte, welchen Zweck es haben sollte, dass Mitglieder der königlichen Garde in der Nacht durch das Schloss liefen, hatte er ihr erklärt, dass es sich um nicht mehr handelte, als eine bloße Übung, um die neuen Rekruten an ihre Arbeit zu gewöhnen.
Diese Erklärung hatte sie ihm jedoch bereits von Anfang nicht geglaubt. Immerhin war sie nicht blind. Auch, wenn ihr Vater das zu glauben schien. Jedoch war ihr bereits von Anfang an aufgefallen, dass etwas nicht stimmte und langsam wurde ihr immer klarer, war es war. Schließlich gingen auch an ihr die Gerüchte nicht vorbei, die man an jeder Ecke in den Dörfern und mittlerweile auch im Schloss hörte. Immer lauter wurden die Stimme, die behaupteten, dass der Krieg zwischen Karthagos und Altera bald auch die Grenzen passierten und dass es Dorn nicht mehr lange möglich sein würde seinen neutralen Status beizubehalten, dass bald mit aller Kraft eine Entscheidung herbeigezwungen werden würde.
Und je merkwürdiger ihr Vater sich verhielt, desto leichter fiel es ihr das auch zu glauben. Denn auch, wenn er sich weigerte mit ihr über Politik zu sprechen – in diesen Dingen behandelte er sie noch immer wie ein kleines Mädchen -, bemerkte sie die offensichtlichen Zeichen. Er traf sich außergewöhnlich oft mit seinen Lords im Schloss und verschwand dann stundenlang mit ihnen und dem Hofstrategen hinter verschlossenen Türen. Beim Dinner mit seiner Familie wirkte er danach entweder unnatürlich in sich gekehrt und nachdenklich oder zeigte sich ungewöhnlich reizbar. Und dann war da noch dieses Fest, auf welchem er anstatt tatsächlich zu feiern die meiste Zeit damit verbracht hatte, sich mit einem Monsterjäger zu unterhalten. Genauso, wie er es zuvor mit einer Magierin getan hatte, obwohl sie bereits einigen Magier am Hof hatten, welcher sich normalerweise um alle magischen Belange kümmerte.
Als die Schritte auf dem Korridor verklangen, nahm sie einen tiefen Atemzug und ihr Körper entspannte sich merklich. Die Tatsachen, dass überall nun verstärkt Wachen herumliefen hatten nicht den Effekt, auf den ihr Vater vermutlich gehofft hatte, als er sich für diese Maßnahme traf. Anstatt ihr ein Gefühl der Sicherheit zu geben, machte es sie nervös und gab ihr das Gefühl, dass jedem Moment etwas unerwartet passieren könnte.
Sie richtete ihren Blick aus dem Fenster, wo die Sonne bereits lange untergegangen war und sie nun nicht mehr sah, als die pure Schwärze der Dunkelheit. Dabei ließ sie ihren Blick umherwandern, als würde sie nach etwas Verdächtigem suchen.
Bevor sie jedoch genauer darüber nachdenken konnte, wonach genau sie suchte, vernahm sie erneut Schritte. Allerdings blieb dieses Mal das Klappern der Rüstungen aus und sie meinte ausmachen zu können, dass es sich nur um eine einzelne Person handelte. Verwundert fuhr sie herum und richtete ihren Blick auf die Tür, als die Schritte immer näher kamen. Die Schritte verstummten und die Türklinke wurde von der anderen Seite heruntergedrückt. Wenige Sekunden später wurde sie aufgestoßen und ihr eröffnete sich der Blick auf die Person, um die ihre Gedanken gerade noch herumgegeistert waren. Ihr Vater, der König von Dorn.
„Vater?", stieß die Prinzessin überrascht von seinem Besuch aus. Normalerweise kam er nur selten in ihr Zimmer und wenn, dann bestimmt nicht um diese späte Stunde. Immerhin sollte sich eigentlich schon lange im Bett liegen und schlafen. Zumindest war das die Anordnung ihrer Mutter gewesen, nachdem das Fest geendet und ihr Vater ein weiteres Mal verschwunden war.
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Kingdom of Despair
Fantasy| 2022 & 2021 WATTY'S SHORTLIST | James lebt als Monsterjäger in einer Welt, in der es nicht angesehen ist, anders zu sein, und fühlt sich nichts verschrieben außer sich selbst. Von dem aufkommenden Krieg zwischen zweien der drei Königreiche will er...