Kapitel 1

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Ein fauliger Geruch stieg James in die Nase. Selbst einige Meter von dem Dorf, das vor ihm liegen musste, entfernt, konnte man die Menschen schon wahrnehmen, die hier lebten. Menschen, die ihr kleines, vorurteilbehaftetes Leben lebten und alles, was sie nicht kannten, konsequent ablehnten und als minderwertig ansahen. Vielleicht aus Angst. Vielleicht aus bloßer Dummheit. Doch egal, was es war, in diesem Punkt glichen sie sich alle. Egal, wie sehr sie das Gegenteil behauptete.

Eine wirklich andere Wahl als einen Fuß in das Dorf zu setzen, blieb ihm in dieser Nacht allerdings nicht. Schließlich verschwand die Sonne bereits hinter dem Gebirge im Norden, das seine Sichtweite limitierte, und eines der Gasthäuser aufzusuchen, um zumindest für eine Nacht ein wenig Ruhe zu bekommen, war seiner Erfahrung nach besser, als die ganze Nacht unterwegs zu sein. Das schwächte ihn nur unnötig und auch sein Pferd konnte ein paar Stunden Pause gut gebrauchen. Außerdem bot sich ihm so die Möglichkeit endlich seine Vorräte aufzustocken, nachdem nicht nur er im Kampf gegen einen Werwolf vor wenigen Tagen, Schaden genommen hatte.

Mit einem leichten Zug an den Zügeln drosselte er die Geschwindigkeit seines Pferdes, das schon lange sein einziger Wegbegleiter war, da sich der Wald, den er nun schon eine Weile durchquerte, allmählich lichtete und einen Blick auf besagtes Dorf freigab. Auch, wenn es mittlerweile dämmerte, fiel es ihm nicht schwer seine Umgebung zu erkennen. In solchen Momenten war er dankbar für die verbesserten Sinne, die man ihm vor vielen Jahren verliehen hatte. So war es ihm möglich auch ohne Sonnenlicht die ersten Häuser vor ihm zu erkennen.

Auf den Straßen waren um diese Tageszeit erheblich weniger Menschen unterwegs, was James in diesem Augenblick nur mehr als recht war. So musste er nicht von allen Seiten das Gestarre der Einwohner auf sich spüren, wie er es sonst von Käffern wie diesen gewohnt war. Allein bei dem Gedanke verspürte er das Verlangen wieder allein mit seinem Reittier auf verlassenen Wegen unterwegs zu sein. Seine Zeit damit zu verbringen für Geld nach Monstern zu jagen, war ihm um einiges lieber, als irgendwelche Dorftrottel zu ignorieren, die meinten, Ärger machen zu müssen. Und das, obwohl sie in den meisten Fällen wussten, dass er stärker, schneller und besser trainiert war, als sie. Zumindest, wenn sein Ruf ihm mal wieder vorauseilte.

Die Lichtkegel, die vereinzelt aus einigen Fenstern drangen, warfen Schatten auf sein Gesicht und hoben seine harten Gesichtszüge hervor, die viele Menschen als schön bezeichnen würden. Seine Haut war hell und damit das perfekte Gegenstück zu seinem dunkelbraunen Haar. Das, was in seinem Gesicht herausstach waren jedoch seine eisblauen Augen, denen ein kämpferischer Ausdruck innewohnte, den sie seit er klein gewesen war, nicht verloren hatten, doch gleichzeitig hatten sie etwas genauso faszinierendes.

„Brr, Raven", machte er und brachte den Rappen damit dazu, langsamer zu laufen und wenige Sekunden später anzuhalten. Er zog die Füße aus den Steigbügeln und sprang aus dem Sattel. Matsch spritzte gegen seine Stiefel, als er auf dem durchnässten Erdboden landete. Scheinbar hatte ein Regenschauer an diesem Tag den sonstigen Sonnenschein zumindest für ein paar Stunden abgelöst.

Er zog die ledernen Zügel über den Hals des Hengstes nach vorn, um ihn neben sich her führen zu können. Sie machten einige Schritte, bevor er in den Hof eines großen, langgestreckten Gebäudes trat. Er knotete die Zügel an einen Zaun, welcher extra für die Pferde der Besucher gedacht war, und klopfte dann sanft den mächtigen, starken Hals ab, bevor er mit den Fingern leicht durch das Fell fuhr, um ein paar grobe Dreckklumpen zu entfernen.

„Wir sehen uns morgen wieder, Kumpel", murmelte er und griff dann nach den Taschen, die er auf seinem Weg über den Rücken des Tieres gelegt hatte. Das Pferd wieherte leicht auf und ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen. Dann setzte er sich  langsam in Bewegung und schritt auf die Eingangstür zu. Bereits von draußen drangen die Stimmen der Gäste der Raststätte an seine Ohren. Ohne zu zögern, öffnete er die Tür und trat in den großen Raum hinein.

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