Ihre Schritte hallten von den Wänden wieder, während sie durch den Gang auf den größten Raum des ganzen Gebäudes zugingen. Yennefer konnte sich noch immer an jeden Zentimeter erinnern, als wäre sie nie weg gewesen, doch in Wirklichkeit waren bereits einige Monate vergangen, seit sie die Entscheidung gefällt hatte fortzugehen. Eine Entscheidung, die ihr im ersten Moment schwergefallen war. Immerhin war dieser Ort für sie zu einem Zuhause geworden, nachdem sich ihre Kräfte zum ersten Mal bemerkbar gemacht und ihre Eltern sie hierhergeschickt hatte, ohne sich danach jemals wieder bei ihr zu melden oder nach ihr zu sehen. Und so waren auch die anderen Magier, mit denen sie gemeinsam vom Meister unterwiesen worden war, für sie mit der Zeit zu guten Freunden geworden. Freya war früher einer von ihnen gewesen. Jedoch hatte Yennefer einfach nicht hier bleiben können.
„Wohin führt sie uns?", fragte James sie von der Seite flüsternd und machte sich damit zum ersten Mal wieder richtig bemerkbar. In dieser Situation musste er sich völlig auf Yennefer verlassen, was leider etwas war, was ihm mehr als nur schwerfiel. Denn auch wenn er sich langsam daran zu gewöhnen begann, war es noch immer völlig neu für ihn mit jemandem zusammenzuarbeiten und er war sich noch nicht sicher, was er davon halten sollte. Denn obwohl es sich in ein paar Situationen bereits als hilfreich erwiesen hatte Yennefer an seiner Seite zu haben und er herausgefunden hatte, dass es leicht war in brenzligen Situationen auf sie zu zählen, fiel es ihm weiterhin schwer sich anderen wirklich zu öffnen. Außerdem fiel ihm auf, dass er eine Sorge um sie entwickelt hatte, die er zuvor eigentlich für niemanden empfunden hatte und die er auch nie gewollt hatte. Langsam begann sich seine Sichtweise jedoch ein wenig zu verändern. Irgendwie war Yennefer doch eine bessere Weggefährtin, als er anfangs erwartet hatte. Ihre Fähigkeiten ergänzen seine und sie war alles andere als dumm. Tatsächlich würde er sie sogar als durchaus Intelligent bezeichnen. Auch wenn ihr Stolz, ihr Starrsinn und ihr Problem damit sich von anderen helfen zu lassen ihn noch immer in den Wahnsinn trieben.
„Zu jemandem, der uns helfen wir", antwortete sie ebenfalls leise, innerlich hoffen, dass er ihnen wirklich helfen würde. Wenn er jedoch noch immer der weise, alte Mann war, der sie ausgebildet hatte, würde er es ohne zu zögern tun. Auf etwas anderes hoffen konnte sie nicht. Immerhin beruhte ihr Plan darauf, dass er ihr bei den Zaubern helfen würde, die sie geplant hatte. Außerdem hatte sie innerlich die Hoffnung, dass er ihr auch in Sachen Dschinn weiterhelfen konnte. Der Mann hatte schon immer für ein riesiges Wissensrepertoire verfügt und konnte deshalb auch möglicherweise herausfinden, was mit ihnen passiert war.
Als Freya die nächste Tür öffnete, die ihnen den Weg versperrte, ermöglichte sie ihnen den Blick auf einen großen Raum, an dessen Fensterseite ein langer Tisch aufgestellt war, während in die gegenüberliegende Wand eine Feuerstelle eingelassen vor, die leise vor sich hin knackte. Yennefer hatte jedoch keinen Blick für die Einrichtung, sondern sah geradewegs auf eine Person, die langsam um den langen Tisch herum ging und hin und wieder einen Blick über die Schulter des ein oder anderen Kindes warf, das dort saß und mit einer rabenschwarzer Tinte die merkwürdigsten Zeichen schrieb. Sofort erinnerte Yennefer sich zurück an ihre eigene Zeit, in der sie auf die gleiche Weise unterwiesen worden war, wie der Meister es in diesem Moment bei den jungen Schülern tat. Dann warf sie einen Blick auf den Mann, der sich kaum verändert zu haben schien. Noch immer war sein Schritt aufrecht und er strahlte eine Weisheit aus, die den meisten im Laufe ihres Lebens möglicherweise nie zuteil werden würde. Schon als sie hier aufgenommen worden war, war sie sein Haar völlig ergraut gewesen, zeigte jedoch keine Anzeichen davon auszufallen. Stattdessen vervollständigte es das Bild des weisen Lehrers, dem Kinder mit magischen Mutationen anvertraut wurden, um sie auf den richtigen Weg zu lenken und ihnen zu zeigen, wie sie ihre Begabung richtig einsetzten.
„Meister?", Freyas geflüsterte Worte rissen Yennefer aus ihren Gedanken und sie spürte, wie ihr Herz ein wenig schneller zu schlagen begann. Gerade war sie froh, dass James an ihrer Seite war. Der Angesprochene hob den Kopf, als er angesprochen wurde und richtete ihn direkt auf die Gruppe der Neuankömmlinge. Kurz musterte er James, bevor sich sein Blick auf Yennefer legte. Sofort spürte sie, wie ihre Lungen sich zuzuschnüren begannen und sich ein Kloß in ihrer Kehle bildete.
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Kingdom of Despair
Fantasy| 2022 & 2021 WATTY'S SHORTLIST | James lebt als Monsterjäger in einer Welt, in der es nicht angesehen ist, anders zu sein, und fühlt sich nichts verschrieben außer sich selbst. Von dem aufkommenden Krieg zwischen zweien der drei Königreiche will er...