Dunkelheit hatte sich über das Tal gesenkt und es war, als wären mit ihr auch alle Geräusch der Waldbewohner verstummt. Nur die Sterne, die nach dem Verschwinden der Sonne und dem Aufgehen des Halbmondes aufgetaucht waren, prangten nun am Himmelszelt und zerrissen die Schwärze.
Eine Weile hatten beide Mutanten einfach da gelegen, nachdem sie einen guten Platz gefunden hatten, an dem sich die Nacht verbringen ließ. Sie hatten ihren Blick hinauf gerichtet und es war, als würden beide auf die Stille lauschen. Auch wenn er den Auftrag anfangs so schnell wie möglich hatte hinter sich bringen und die Belohnung einstreichen wollen, konnte er nun nicht fassen, dass es wirklich so weit war. Sie hatten es geschafft die Prinzessin erfolgreich an den auserwählten Ort zu bringen – wenngleich es nicht so unkompliziert gewesen war, wie er es sich erhofft hatte – und auch den Bann des Dschinns zu brechen. Damit war ihre gemeinsame Reise nun offiziell vorbei.
Ein Gedanke, der James einen festen Stich versetzte. Früher hätte er es gehasst so etwas aufgrund von irgendwem anders zu fühlen, doch je länger sie gemeinsam gereist waren, desto weniger hatte es ihn zu stören begonnen. Tatsächlich war er sogar so weit zu sagen, dass sie ihm wichtig geworden war und er ihre Gesellschaft schätzte. Deshalb wünschte er fast, dass ihre Wege sich nicht trennen mussten.
„Du wirst nicht zu deiner Ausbildungsstätte zurückkehren, oder?“, warf er in den Raum hinein, meinte die Antwort jedoch bereits zu kennen. Immerhin war sie bereits einmal von dort weggegangen und die Gründe, die sie dafür gehabt hatte, schienen sich bisher nicht verändert zu haben. Verstehen konnte er diese Entscheidung allerdings. Er besaß genauso ein großes Bedürfnis nach Freiheit wie sie und für ihn würde es niemals infrage kommen sich an irgendeinen König oder einen Rat und dessen Regeln zu fesseln. Früher hätte er nicht einmal darüber nachgedacht sich an eine Person zu binden. In Bezug darauf hatte er jedoch eine Hundertachtzig Grad Wendung gemacht.
„Nein, werde ich nicht“, antwortete sie und wandte ihren Blick zum Himmel ab, um ihn anzusehen: “Zwar hat Alaric uns wirklich geholfen, aber das ändert nichts daran, dass ich den Lebensweg, der für einen Magier vorgesehen ist, nicht will und niemals wählen werde. Dafür ist mir meine Freiheit viel zu wichtig.“
Bei der Vorstellung ihr ganzes Leben lang nach der Pfeife von jemandem tanzen zu müssen, egal ob für einen König oder einen höhergestellten Magier, drehte sich ihr fast der Magen um. Wäre sie nicht dumm sich ihr eigene Freiheit zu nehmen und sie dafür zu opfern nur aufgrund ihrer Magie ausgenutzt zu werden? Die Anerkennung, die sie dafür erhalten könnte, wollte sie nicht oder zumindest wollte sie sich diese nicht auf so eine Weise verdienen. Sie war mehr als irgendein Handlanger, der blindlings irgendwelche Befehle für einen Herrscher ausführte, ohne dabei selbst entscheiden zu können, ob es das Richtige war oder nicht.„Was das angeht, sind wir uns wohl ziemlich ähnlich, denkst du nicht?“, fuhr sie fort. Bereits bei ihrer ersten Begegnung hatte sie gewusst, dass er niemand war, der sich einem König verschrieben. Höchstens dessen Gold, das bei einem Auftrag für ihn herausspringen konnte.
„Ja, so ist es“, stimmte er ihr ohne zu zögern zu. Glücklicherweise waren die Monsterjäger noch nie eine Art gewesen, die sich großartig aneinander band und sich Herrschern verschrieb. Zwar hatte auch er in der Vergangenheit seine Ausbilder gehabt und die anderen Jäger, die gemeinsam mit ihm ausgebildet worden waren, mochten für ihn wie Brüder sein, doch nie hatte man von ihm verlangt sich seiner eigenen Ausbildungsstätte oder einem Adeligen zu verschreiben. Stattdessen war es für seine Gattung üblich, dass sie umherreisten und die Aufträge annahmen, die gerade anstanden. Wie glücklich er sich darüber schätzen konnte, war ihm jedoch erst klar geworden, als er einen tieferen Einblick in Yennefers Leben erhalten hatte.„Aber willst du denn für immer allein sein? Könntest du dir niemals vorstellen von jemandem auf deinen Reisen begleitet zu werden?“, kaum hatte er aus ausgesprochen, hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen und seine Worte rückgängig gemacht. Dass es vielleicht dumm sein könnte sie danach zu fragen und er eine Antwort erhalten könnte, die ihm nicht gefiel, war ihm jedoch erst eingefallen, als er es ausgesprochen hatte.
Einen Moment lang musterte Yennefer sein Gesicht, bevor ihre Mundwinkel sich leicht hoben. Es war unverkennbar, dass ihr bewusst war, weshalb er sie danach fragte. Zu seiner Verwunderung konnte er in ihrem Gesicht jedoch keinerlei Zeichen von Ablehnung oder Missfallen an dieser Frage bemerken.
„Denkst du denn, dass es jemanden gibt, der mich gerne begleiten würde?“, stellte sie eine Gegenfrage, auf die sie die Antwort allerdings bereits wusste. Verraten hatten es ihr sein Ton und sein Gesichtsausdruck, als er seine Frage gestellt hatte. Während sie sprach, beugte sie sich ein Stück vor und verringerte somit den Abstand zwischen ihnen.
„Ja, da kommt, mir auf Anhieb in den Sinn kommt“, antwortete er und versuchte sich von ihren leichten Sticheleien nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Eindeutig wusste sie, dass er dabei von sich sprach und das war auch James deutlich bewusst.
„Ich denke, dass ich für dich eine Ausnahme machen würde“, er konnte ihren Atem auf seinem Gesicht spüren, als sie sprach. Aus einem Instinkt heraus hob er seine Hand und legte sie an ihre Wange, bevor sie sich nach vorne beugte und ihr Mund seinen berührten. Ihre Lippen fühlten sich sanft an und waren genau das Gegenteil zu seinen rauen. Das Gefühl war berauschend und sein ganzer Körper war, wie in Ekstase versetzte. Sie fühlte sich so gut an, dass er einen Arm um sie schlang und sie näher an sich zog._____
Die Sonne hatte sich schon lange wieder am Himmel erhoben und warf für die Region ungewöhnlich warme Sonnenstrahlen in das Tal. Langsam begann der Sommer überall im Königreich einzuhalten und überall Blumen aus dem Boden sprießen zu lassen.
Prüfend ruckte James einmal leicht an dem Riemen seiner Satteltaschen, um sicherzugehen, dass sie sich während des Galopps nicht einfach lösen würden, und betrachtete für einen Moment sein Werk, bevor er den Blick hob. Yennefer selbst war bereits fertig und stand mit den Zügeln in der Hand, leicht gegen die Seite ihres Pferdes gelehnt, da. Obwohl sie nicht weiter darüber gesprochen hatten, ob jeder von hier aus seinen eigenen Weg einschlagen oder sie weiter zusammen reisen würden, hatte sie nicht daran gedacht einfach auf ihr Pferd zu steigen und davon zu reiten, bevor er selbst fertig war. Tatsächlich dachte sie gar nicht daran davon zu reiten. Stattdessen war sie in ihren Gedanken noch immer bei ihm. Nicht zuletzt aufgrund der Ereignisse der letzten Nacht.
„Bist du fertig?“, fragte sie, als er zu ihr herüber blickte und stellte sie wieder gerade hin.
„Ja, genauso wie du, wie es aussieht“, sagte er und löste Ravens Zügel von dem Baumstamm, um die er sie geknotet hatte. Dann führte er den Hengst ein paar Schritte, bis er neben ihr stand. Das nahm sie als Zeichen dafür, dass er bereit war jeden Moment loszureiten, stellte einen Fuß in den Steigbügel und stieg auf. James tat es ihr gleich und schwang sich ebenfalls auf den Rücken seines Pferdes, doch keiner von ihnen machte Anstalten loszugaloppieren und den anderen ohne einen letzten Blick über die Schulter hinter sich zu lassen. Stattdessen verharrten beide auf der Stelle und sah in die Ferne, die sich vor ihnen erschreckte und von der keiner von ihnen genau sagen konnte, was dort auf sie warten würde.„Eine Freundin hat mir ihren Landsitz im Nord-Westen überlassen. Sie dient an Hofe und ist deshalb kaum dort, hat mir jedoch erlaubt jederzeit dort unterzukommen, wenn ich es möchte“, setzte Yennefer an und brachte ihn damit dazu überrascht zu ihr herüber zu sehen: “Die Region ist wirklich schön und ich hatte mir schon bevor ich den Auftrag angenommen habe, überlegt dort eine Pause von meinen Reisen einzulegen. Allerdings würde es mir dort sicher besser gefallen, wenn du mich begleiten würdest.“
Während sie sprach, schlug Yennefers Herz schneller. Auch wenn sie nicht davon ausging, dass es so kommen würde, wollte sie nicht, dass er es ablehnte.
„Wie könnte ich dazu nein sagen“, seine Antwort ließ ihr einen Stein vom Herzen fallen.
DU LIEST GERADE
Kingdom of Despair
Fantasy| 2022 & 2021 WATTY'S SHORTLIST | James lebt als Monsterjäger in einer Welt, in der es nicht angesehen ist, anders zu sein, und fühlt sich nichts verschrieben außer sich selbst. Von dem aufkommenden Krieg zwischen zweien der drei Königreiche will er...