Epilog

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Die unangenehme Wärme war es gewesen, die bereits früh am Morgen dafür gesorgt hatte, dass Yennefer das Haus verließ und sich auf die Veranda flüchtete. Dort bot ihr der Schatten zumindest ein wenig Abhilfe und der Wind, der von den nicht allzu weit entfernten Klippen herrührte, auf dem Weg zu ihnen jedoch an Kraft verlor, machte es erträglich. Erneut hatte sie sich gewundert, wie der Sommer die, selbst für den späten Frühling, ungewöhnliche Kälte so schnell abgelöst hatte.

James, der neben ihr noch immer am Schlafen gewesen war, hatte sie absichtlich nicht geweckt. So war ein Buch ihr einziger Begleiter, als sie sich draußen an den Tisch setzte und ihren Blick über die Weinreben wandern ließ, die sich den Bergabhang hinunter schlängelten. Diese Region war reich an Weinbauern und gerade befanden sie sich in der Blütezeit ihrer Ernte. An diesem frühen Mittag war jedoch kein Arbeiter weit und breit zu sehen, was nicht zuletzt daran lag, dass heute arbeitsfreier Tag war, und so wirkte die Landschaft völlig ruhig.

Bisher hatte die Magierin es nicht bereut hierher gekommen zu sein und sich eine Auszeit genommen zu haben. Noch weniger zweifelte sie daran, dass es eine gute Idee gewesen war James hierher einzuladen. Stattdessen hatte seine Anwesenheit ihr die Zeit versüßt und sie waren noch weiter zusammen gewachsen. Ein kleines Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, als sie an ihre gemeinsame Zeit dachte, bevor sie ihr Buch an der betreffenden Stelle aufschlug und zu lesen begann.

Erst ein Klappern, das aus der Küche kam, brachte sie dazu ihren Blick von ihrer Lektüre zu erheben und letztendlich in den Kopf in Richtung der Haustür zu wenden. Ein klares Zeichen, dass James nun ebenfalls wach war und sich Hunger in ihm breit gemacht hatte. Bei der Vorstellung von ihm, wie er in der Küche nach etwas suchte, hoben sich ihre Mundwinkel. Er hatte sich nicht unbedingt als Meisterkoch bewiesen und schien genauso froh darüber gewesen zu sein, dass Yennefers Freundin jemanden beschäftigte, der ihm diese Arbeit abnahm, wie Yennefer selbst. Das Kochen zu lernen war nie eine Fähigkeit gewesen, die für sie Priorität gehabt hatte.

Anstalten sich zu erheben machte sie jedoch nicht, sondern blieb auf ihrem Stuhl sitzen. Irgendwann würde er so oder so anfangen nach ihr zu suchen und sie früher oder später hier finden. Als er zu ihr hinaus trat, erblickte sie jedoch etwas, womit sie nicht gerechnet hatte. In den Händen hielt er ein hölzernes Tablett, auf dem sich Früchte und Brot befanden. Damit brachte er sie dazu ihr Buch zuzuschlagen und zur Seite zu legen.

„Morgen“, begrüßte sie ihn, während sie ihn dabei beobachtete, wie er auf den Tisch zuging.
„Morgen“, erwiderte er und blieb neben ihr stehen, um sich hinunter zu beugen und ihr einen flüchtigen Kuss zu geben. Dabei stellte er das Tablett vor ihr ab und ließ sich dann auf den Stuhl neben ihr sinken.
„Du machst Frühstück gemacht?“, sprach sie überrascht das Offensichtliche aus: “Womit habe ich mir das denn verdient?“
„Das ist mein Dank für die letzte Nacht“, sagte er, während sich ein amüsiertes Grinsen auf seine Lippen stahl.
„Dann wirst du in Zukunft aber noch oft Frühstück machen müssen“, scherzte sie. Dabei streckte sie eine Hand nach einer Traube aus und ließ sie in ihrem Mund verschwinden.
„Vergiss es“, sagte er sofort kopfschüttelnd.

Bevor sie die Möglichkeit bekam darauf noch etwas zu erwidern, erschien eine Person im Hinterhof und brachte sie dazu ihre Unterhaltung zu unterbrechen. Es war ein Angestellter des Hauses, der sich geradewegs auf den Monsterjäger zubewegte.
„Es wurde an der Pforte ein Brief für Euch abgegeben, James. Der Überbringer sagte, dass es von höchster Wichtigkeit ist“, erklärte er ihm und überreichte das Stück Papier, das er in seiner Hand hielt.

Bei diesen Worten wechselten beide Mutanten einen Blick miteinander, doch keiner von ihnen sagte etwas. Beim besten Willen konnte er sich nicht vorstellen, wer ihm einen Brief und ihn mit besonderer Wichtigkeit übermitteln würde, doch trotzdem zögerte er nicht, sondern nahm ihn entgegen. Er riss den Umschlag auf und zog das Papier heraus, bevor er seinen Blick über die Worte wandern ließ, die dort geschrieben standen. Je weiter er las, desto stärker erstarb sein Grinsen jedoch. Damit brachte er Yennefer dazu ihre Stirn in Falten zu legen. Das war kein gutes Zeichen.

„Was ist los?“, fragte Yennefer, als er das Papier langsam auf die Tischplatte sinken ließ. Anstelle von einer Antwort reichte er es ihr jedoch bloß zu ihr herüber. In seinem Blick lag etwas Ernstes. Ihren Blick nicht von ihm abwendend, ergriff sie den Brief und ließ ihren Blick langsam darüber wandern. Was in dem Schriftstück mitgeteilt wurde, ließ sie schwer schlucken und warf ihre Gedanken für einen Moment völlig durcheinander.

Lieber James,
so gerne ich dir auch aus einem anderen Anlass schreiben würde, lassen die Geschehnisse, die sich kürzlich ereignet haben, dies nicht zu. Am Hofe hat sich etwas Schreckliches abgespielt, mit dem keiner von uns gerechnet hat. Niemals hätten wir vorhersehen können, dass sie uns wirklich so nah kommen und bis ins Herzen des Königreichs vordringen würden. Gemerkt haben wir es jedoch erst, als es zu spät war und so konnten wir nichts mehr für den König und seine Gattin tun, als diese das Gift während einer Festivität bereits getrunken hatten. Selbst mit meiner Magie konnte ich nichts mehr für sie tun. Der König und die Königin von Dorn sind tot und wir vermuten, dass dahinter der alterianische Herrscher steckt. Damit ist Prinzessin Grace nun das letzte Mitglied der Königsfamilie und muss den Thron besteigen, wenn das Land nicht völlig führungslos da stehen soll.
Ich weiß, dass du dich nicht in politische Dinge einmischen willst, aber du hast bereits einmal den Auftrag des Königs angenommen und seine Tochter beschützt.

Ich hoffe auf deine Hilfe,
Aldrich

Langsam hob Yennefer ihren Blick wieder und nahm einen tiefen Atemzug. Die Unbeschwertheit war plötzlich wie weggefegt und die Nachrichten lagen ihr schwer im Magen. Für sie stand es jedoch außer Frage überhaupt darüber nachzudenken hier zu bleiben, ohne Anstalten zu machen Grace zur Seite zu stehen.
„Wir müssen ihr helfen“, sprach Yennefer das aus, was sie dachte. Grace war noch zu jung, um diese Aufgabe allein zu bewältigen. Deshalb konnte sie zumindest jemanden brauchen, der ihr die Last, die von nun auf ihren Schultern ruhen würde, erleichterte.
„Ja, ich weiß und das werden wir“, stimmte er ihr mit einem Nicken zu. Vielleicht würde Grace sogar die erste Herrscherin sein, von der er überzeugt war und zu der er eine Loyalität verspürte. Außerdem war er nicht allein, sondern hatte noch immer Yennefer an seiner Seite.

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