Kapitel 7

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Im Klassenzimmer der 11c ist nur das Kratzen der Füller oder Kugelschreiber auf dem Papier zu vernehmen. Die Klasse schreibt einen unangekündigten Mathetest. Das leise Seufzen der Schüler bestätigt dem Lehrer, dass sie keinen leisesten Schimmer haben, wie man manche der Aufgaben löst.

Kimmy zählt zu den Schülern, die keine Ahnung haben. Eigentlich wollte sie gestern ja noch ein wenig Mathe lernen, aber nachdem sie zusammen mit Jez noch bis halb neun an ihrem ‚Zwangsprojekt' gesessen hat, hatte sie eindeutig keine Lust mehr zu lernen. Jetzt bereut sie es. Seufzend lässt sie ihren Kuli knapp über dem Papier schweben und liest sich die Aufgabe noch einmal durch.

2) Bestimme mit Hilfe des Newton-Verfahrens eine Nullstelle der Funktion f(x)=x5+2x2-13 auf 2 Nachkommastellen genau.
Startwert: x0 = 1,5

Kimmy seufzt noch einmal und sieht von ihrem Blatt auf. Max, der schräg vor ihr neben Jez sitzt, lugt über Jez Arm, der anscheinend keine Probleme mit den Aufgaben hat. Unauffällig sieht Kimmy zu Herr Renner vor, der sich gerade mit seinem Laptop beschäftigt. Mit dem Finger drückt sie auf eine Seite ihres Tip-Ex-Stift, sodass er nach vorne fliegt und gegen Max Rücken prallt. Dieser zuckt zusammen und dreht sich um. Mit der rechten Hand macht Kimmy ihm deutlich, dass er sich ein wenig drehen soll, sodass sie freie Sicht auf sein Blatt hat. Er nickt kaum merklich und lehnt sich dann nach unten, um Kimmys Tip-Ex aufzuheben.

In den nächsten fünf Minuten merkt Kimmy, dass Herr Renner sie beobachtet. Sie kritzelt einige Zahlen und Formeln auf das karierte Blatt, das vor ihr liegt, sodass der Lehrer schon bald mehr Interesse an den Spickversuchen anderer Schüler hat. Erleichtert atmet Kimmy auf und sieht dann über Max Schulter auf sein Blatt. Das Gekritzel aus Zahlen und Formelzeichen, das Kimmy entziffern kann, hilft ihr nicht wirklich weiter. Sie überträgt die Zahlen zwar auf ihr Blatt, aber die Hand dafür ins Feuer legen, dass sie keine Fehler rein gebaut hat, würde sie bei Max unleserlicher Schrift nicht.

Kimmy gelingt es noch, die nächsten beiden Aufgaben abzuschreiben, dann muss die Klasse abgeben. Schon allein an den Gesichtsausdrücken der meisten ist zu erkennen, dass der Test nicht unbedingt gut ausfallen wird.

***

„Oh man...", jammert Betty und sieht ihren Freund tadelnd an. „Warum hast du mich nicht abschreiben lassen? Ich habe es so verkackt!" Max hebt schuldbewusst die Schultern und sieht Kimmy an. Betty folgt seinem Blick und verschränkt empört die Arme.

„Sie hat mich mit ihrem Tip-Ex-Stift abgeworfen!", versucht sich Max zu verteidigen. Als Betty Kimmy einen bösen Blick zuwirft, zieht sie nur entschuldigend die Schultern hoch.

„Sorry, aber ich brauch wohl eher mal wieder mehr als nur fünf Punkte in Mathe." Damit hat sie recht. In den letzten beiden Mathearbeiten hat Kimmy je nur fünf Punkte geschrieben. Zu Kimmys Glück beruhigt sich Betty ein wenig. Diese richtet ihren Blick auf Jez, der bis gerade nur belustigt der Diskussion gefolgt war.

„Warum bist du so gut in Mathe?" An ihrer Stimme kann man deutlich erkennen, dass sie gerade von allem und jedem genervt ist. Jez grinst schief.

„Hatten wir alles schon in Köln dran. Da hätte ich normalerweise im Juni schon Sommerferien." Bevor Betty etwas darauf antworten kann, schlingt Max seine Arme von hinten um ihren Körper und drückt ihr einen Kuss auf die Wange. Betty dreht sich zu Max um, stellt sich auf die Zehenspitzen – und auch so ist sie noch mehr als einen Kopf kleiner als Max – und drückt ihre Lippen auf seine. „So schnell kann man sie zum Schweigen bringen", murmelt Jez leise, grinst und weicht Bettys Hand aus, mit der sie zu einer Faust geballt nach Jez ausgeschlagen hat, obwohl ihre Lippen immer noch auf denen von Max liegen.

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