Kapitel 16

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Vorsichtig zieht Kimmy ihr Handy aus ihrem Mäppchen und entsperrt es hinter ihrem aufgestellten Schulbuch. In der dunklen Leiste am oberen Displayrand ist das kleine WhatsApp-Zeichen zu sehen. Schon die ganze Deutschstunde über schreibt Kimmy heimlich mit Finn. Betty lehnt sich ein wenig zu ihr herüber und liest interessiert die letzten Nachrichten von ihm. Am Vortag hat Kimmy sie schon fast vollkommen über Finn informiert. Anfangs war Betty nicht begeistert, hat es aber versucht vor ihrer Freundin zu verbergen, aber dennoch sie weiß, dass Kimmy es sonst schwer fällt, neue Bekanntschaften zu machen. Sie gönnt es ihrer Freundin, auch wenn sie heimlich die Hoffnung hatte, dass sie doch noch einmal mit Jez reden könnte und die beiden sich vielleicht wenigstens gegenüberstehen könnten, ohne dass Kimmy Jez mit ihren Blicken beinahe tötet. Als Kimmy ihre Antwort getippt hat, schiebt sie ihr Handy - von dem sie die pinke Hülle abgemacht hat, sodass es nicht zu viel Platz in ihrem Mäppchen nimmt - wieder unter die vielen Stifte. Sie verbirgt ihren Mund hinter der Hand, sodass Herr Weiler nicht sehen kann, dass sie lächelt. Er reagiert, wie die meisten älteren Lehrer, allergisch auf wohl alle elektronischen Geräte. Bestes Beispiel: Jez Handy. Das Lächeln verschwindet aus Kimmys Gesicht. Da ist er wieder. Der Gedanke an Jez... Warum denkt sie immer an ihn? Sie sollte an Finn denken! Einfach aus Prinzip! Er ist viel netter als Jez! Und er würde nie auf die Idee kommen, sie so eiskalt auszunutzen! Mit den Fingern streicht sie über die Kanten ihres Blocks, von dem sie alleine in dieser Stunde wieder einmal drei ganze Blätter doppelseitig beschrieben hat. Kimmy stützt den Kopf auf die andere Hand und zuckt im selben Moment zusammen, als ein kleiner Schmerz durch ihren Finger blitzt. Warmes Blut bahnt sich den Weg durch den kleinen Schnitt. Betty lehnt sich auf ihrem Stuhl nach hinten und grinst amüsiert. Kimmy schneidet sich andauernd an ihren Büchern, Blöcken oder an sonst was. Kimmy kneift die Augen gespielt eingeschnappt zusammen und wühlt dann ein Päckchen Taschentücher aus ihrer Tasche. Perfektionistisch wickelt sie es um ihre Fingerkuppe und hebt den Blick erst, als sie das unterdrückte Lachen von Betty wahrnimmt. Diese schüttelt nur ganz sanft den Kopf und wendet den Kopf ab, sodass sie nicht noch mehr lachen muss. Kimmy grinst und stützt ihren Kopf dann wieder auf die Hand. Auch wenn sie sich jetzt für einen Moment dazu gezwungen hat, nicht an Jez zu denken, trotzdem wandern ihre Gedanken wieder zu Jez und zu Finn. Er würde nie auf die Idee kommen, sie so eiskalt auszunutzen... Das Grinsen verschwindet aus Kimmys Gesicht. Ist es ihr Plan dann wirklich eine gute Idee? Jez mithilfe von Finn eifersüchtig zu machen? Ihm zu zeigen, dass sie ihm nicht nachtrauert? Dass er ihr scheißegal ist? Sie selbst wäre doch auch kein Stück besser als Jez. Leise seufzt Kimmy. Aber anders herum gesehen - versucht Kimmy die Zweifel zu verscheuchen – nutzt sie Finn ja nicht aus. Er hilft ihr nur bei etwas. Vielleicht, ohne wirklich davon zu wissen, aber ausnutzen ist das noch nicht, oder?

***

Jez lässt die Füße von der kleinen Mauer herunter baumeln und starrt quer über den Schulhof. Max und einige der Handballjungs stehen oder sitzen vor und neben ihm und unterhalten sich. Anfangs hat Jez noch versucht dem Gespräch zuzuhören, mit über die teilweise echt versauten Witze zu lachen, doch Kimmy lenkt ihn viel zu sehr ab. Sie steht in der Gruppe Mädchen, mit denen sie zusammen Hockey spielt. Links von ihr steht Romy, das blonde Mädchen, mit dem Kimmy wohl am meisten – abgesehen von Betty – zu tun hat, rechts Betty und ihr gegenüber ein Mädchen mit rötlichen Haaren. Ein Junge hat seine Arme von hinten um ihre Hüfte gelegt, neben den beiden steht ein blonder Junge, mit dem Kimmy und Romy sich angeregt unterhalten. Warum versteht sich Kimmy so gut mit diesem Typen? Woher kennt sie ihn überhaupt? Und warum guckt Betty so gequält? Gefällt es ihr etwa auch nicht, dass Kimmy sich so gut mit dem Typen versteht? Jez ist so in seinen Gedanken versunken, dass er gar nicht merkt, wie Betty alleine auf sie zugesteuert kommt. Erst, als sie sich in Max Arme schmiegt und ihre Mundwinkel sich noch immer nicht heben, löst Jez den Blick von Kimmy und sieht nun Betty und Max an. Max gibt Betty einen Kuss auf ihr dunkles Haar und legt seine Arme von hinten um das kleine, zierliche Mädchen. Ihr Blick wandert über den gepflasterten Boden bis hin zu Jez. Einen Moment sieht sie ihm in die Augen und drückt dann sanft Max Arme von sich. Dieser sieht seine Freundin ein wenig verwirrt an und folgt ihr mit dem Blick, als sie nach Jez Handgelenk greift.

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