Kapitel 2

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Hier stehe ich nun endlich, nach einer langen Autofahrt vor dem großen Waldhaus meines Adoptivvaters. Es hatte die ganze Zeit über heftig geregnet, deshalb schmeichelt der frische Duft der feuchten Erde meiner Nase. Es ist ein großes Haus aus dunklem Holz mit einer Basis aus weiß schimmerndem Gestein. Das Stück sitzt im Zentrum einer kleinen Wiese, die wiederum umgeben ist von goldenen Bäumen. Zahlreiche bunte Blumen an den Fenstern tanzen in der kühlen Brise. In so ein großes Haus zu wohnen, könnte mir gefallen.

"Wunderschön, oder Phillipp? Habe es von meiner Mutter geerbt.", lächelt der schwarzhaarige Mann stolz.

"Oh ja! Es ist der pure Wahnsinn!", übertreibe ich sarkastisch, obwohl ich es tatsächlich bemerkenswert finde, aber das musste er nicht wissen.

"Schon gut", schiebt er meinen unangebrachten Sarkasmus bei Seite, "Willst du reingehen? Es ist noch purer und wahnsinniger als von draußen!", betont er das und ganz besonders.

Ohne auf eine Antwort zu warten geht er Richtung Eingangstür voran. Ich folge ihm weniger seinetwegen und mehr aus Neugier. Wie Häuser, Institute und so weiter gebaut werden, wie sie von innen aussehen, wie die Räume aufgeteilt sind, das alles hat mich schon immer fasziniert. Eine lange Reihe aus schmutzigen Pflastersteinen zeichnet den Weg zum Haus, aber auf halber Strecke führt ein kleiner unbefestigter Weg nach links vom Haus weg.

"Wow, ein Haus aus Glas?!", entgeht es mir beim Anblick eins dunklen Gewächshauses. Es ist schön und doch hat es, weil man nicht reinsehen kann eine finstere Aura um sich.

Die Haustür geht schwer auf, aber als sie es endlich tat, war es mit einem lauten Quietschen. Das nutze er, um auf meiner Entdeckung nicht reagieren zu müssen.

"Also die Treppe hoch stehen etliche Zimmer frei. Such dir einfach eins aus und sag dann Bescheid. Ich geh erstmal ins Bad.", sagt er bevor er zügig hinter irgendeiner Tür verschwindet.

Vor der schmalen Treppe rechts an der Wand war ein großer dunkelroter Teppich mit schwarzem Rand. Das Laminat war unerwartet leise. Als ich die Treppe hoch gehe bemerke ich die vielen Gemälden an der Wand. Auf einem davon war mein Adoptivvater, Bill Crimson, mit einer Frau und einem Jungen in meinem Alter zu erkennen. Beide Erwachsenen hatten je eine Hand auf den Schultern des Jungen gelegt und machten so den Eindruck einer Familie. Ihre starre Haltung und leblose Mimik töten jegliches Glück, das ein solches Gemälde eigentlich einfangen sollte. Nur der Junge erweckt, durch ein zartes Lächeln ein Funken Freude für die Kamera.

Die Treppe hoch sehe ich einen hellen Gang mit vier dunklen Türen, zwei je Seite. Am Ende vom Flur sind keine Fenster, sondern nur zwei kleine schwarze Fressnäpfe, vor einer großen leeren Wand, eingekleidet in der gleichen beigen Tapete, wie die ganze zweite Etage. Neugierig was sich hinter der ersten Tür verbirgt, schreite ich zu ihr.

Bücher, sehr viele Bücher. Alle geordnet auf so vielen Regalen, dass man die Wände dahinter kaum sehen kann. Das Zentrum des Zimmers ist durch den gleichen roten Teppich wie unten belegt. Auf der rechten Seite ist die Regalkette, durch eine etwas kleinere, aber genauso dunkle Tür unterbrochen. An ihr war ein Bilderrahmen mit einer Art Urkunde angebracht. Ich werde ein anderes Mal wiederkommen, um mir das genauer anzuschauen, aber jetzt brauche ich vorrangig mein Zimmer.

Der nächste Raum ist abgeschlossen, oder das Schloss ist kaputt, wie dem auch sei, drücke ich eine weitere Klinke herunter. Das wird mein Zimmer! Ein bereits gemachtes Einzelbett links an der Wand, ein heller Bürotisch mit einem kleinen Holzstuhl unter dem Fenster und zwei großen Kleidungsschränken an der rechten Wand.

Ich setze mich auf das Bett und atme kurz mit geschlossenen Augen tief durch. Es liegt ein würziger Geruch eines warmen und leckeren Essens in der Luft. Hat Bill etwa schon angefangen Abendessen zu kochen? Ich sollte vielleicht runtergehen und ihm helfen, aber ich kann nicht. Das Bett, auf dem ich mittlerweile lag ist zu angenehm.

Es ist so still im Raum und niemand ist hier, sodass mich auf einmal die Einsamkeit packt und ich an mein kleinen Bruder Oscar denken muss. Wir waren beide Waisen und schon immer im gleichen Waisenhaus, aber dann wurde er vor mir aufgenommen und seitdem habe ich drei Jahre lang nichts mehr von ihm gehört. Er war damals gerade 11 geworden und ich habe ihn versprochen, ihn eines Tages zu besuchen und das werde ich auch. Er ist schließlich mein kleiner Bruder und ich liebe ihn über alles. Ich musste den kleinen Künstler außerdem versprechen sein unvollendetes Bild, das er mir zum Abschied schenkte zu beenden und dabei habe ich doch keine Ahnung vom Malen. Aber nur dann ließ er los, denn ohne mich gehen konnte er sich gar nicht vorstellen. Er fand es nicht gerecht, dass er eine Familie gefunden hatte, aber ich nicht, und er hatte recht. Das war es wirklich nicht, aber besser er, als gar keiner von uns. Er ist nie zurückgekommen, also muss seine neue Familie wohl eine gute sein, und meine? Naja, Bill scheint kein schlechter Mensch zu sein. Schlechter als unsere Mutter kann er gar nicht sein.

Ich kann mich kaum an unsere Eltern erinnern und Oscar wohl noch weniger. Ich war fünf Jahre alt und er gerade mal zwei, als unsere Mom uns bei McDonalds zwei Kindermenüs gekauft hat und dann auf Toilette gegangen ist. Wir haben sie seitdem nie wiedergesehen. Ich habe es damals nicht verstanden und das tue ich bis heute noch nicht. Irgendwann habe ich aufgehört mich zu fragen, wieso sie uns nicht wollte, weil es am Ende nur weh tat und nie eine Antwort brachte. Schwieriger war es, es Oscar irgendwie zu erklären, als er fragte, wo denn Mama sei, während wir im Wartezimmer vom Jugendamt saßen.

Was hätte ich den sagen sollen?

Blutig Blaues MaiglöckchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt