Angelockt vom unwiderstehlich leckeren Geruch der Carbonara Soße betrete ich die Küche, wo Dad bereits hungrig die Nudeln mit der Gabel aufspießt. Als er mich erkennt reißt er die Augen auf und beschleunigt er sein Kauen.
"Mhh...", beginnt er mit vollem Mund, "Da liegt was für dich.", zeigt er auf einen Umschlag am Tischrand.
"Nein, der ist bestimmt für dich. Ich habe niemanden, der mir ein Brief schicken könnte.", streite ich ab.
"Jetzt guck es dir schon an.", ermutigt er mich mit einem Lächeln, das gleiche Lächeln, was man formt, wenn man gespannt zusieht, wie ein Kind das gewünschte Weihnachtsgeschenk aufmacht.
Vorsichtig schneide ich mit einem Buttermesser den Briefumschlag auf. Er ist leicht grau, ungebleicht und aus recyceltem Papier. Kein Absender, nur Empfänger, Phillipp Qlipper. Der Brief selbst ist drei Mal gefaltet und aus dem gleichen Papier.
Hallo Phillipp,
mein Sohn.
MAMA?
Wahrscheinlich hasst du mich und willst nichts von mir hören, aber trotzdem schreibe ich dir diesen Brief. Ich bin schwer krank, Hautkrebs. Ich schätze das ist meine gerechte Strafe. Ach was, es gibt nichts das entschuldigen oder gar wiedergut machen könnte, was ich dir und deinem Bruder angetan habe, aber jetzt, wo meine Atemzüge gezählt sind und ich mein eigenen Herzschlag an einer Maschine beobachten kann, sind mir einige Dinge klar geworden, Dinge die ich bereue. Wie bedauernswert, dass ich keine Zeit mehr habe viel daran zu ändern. Dennoch würde es mich wahnsinnig freuen, wenn ihr mir die Chance dazu gebt, mich vielleicht besuchen würdet. Ich denke euch zu bekommen, war das richtigste das ich in meinem Leben getan habe. Und euch zu verlassen das falscheste und grauenhafteste. Ich frage mich, was ihr für Menscheng geworden seid? Seid ihr nett und höfflich oder gemein und arrogant? Bitte, lasst es mich erfahren. Ihr habt sicherlich viele Fragen. Ich kann euch alles erklären, Bitte.
Ich liebe euch,
Constance Qlipper
Was? Meine Mutter? Meine Gefühle spielen Chaos. Auf der einen Seite will ich sie nie wiedersehen, denn nichts anderes hat sie verdient. Sie hat sich gegen uns entschieden! Aber... auf der anderen Seite ist unsere Mutter.
"Dad?", beginne ich zimperlich, "Wann können wir ins Krankenhaus fahren?"
Er lächelt.
"Würde dir morgen schon passen?"
"Ja! Umso früher, desto besser!", stütze ich meinen brummenden Kopf.
"Alles ok bei dir?", fragt er mich besorgt.
"Nein... hast du eine Kopfschmerztablette oder so?"
"Ja, auf mein Büro müssten welche liegen." zeigt er mit der schmutzigen Gabel gegenüber der Küche.
Sein Versteck ist altmodisch gestaltet. Beige Tapete gemustert mit orangen Pentagons kleidet den Hintergrund ein. Links steht ein dunkler Holztisch mit hellbraunem Ledersessel dahinter und mir gegenüber ist ein Aktenschrank, der bis auf Augenhöhe ragt. Auf ihn sind eine kleine gelbe Vase mit einem kleinen pink blühenden Kaktus, der Weihnachtsmütze und Glubschaugen trägt und daneben eine goldene Handuhr, mit glitzernden Rot hinter den Zeigern. Auf sein Bürotisch ist eine dunkelblaue Tischlampe, eine Wackelkopffigur eines Hundes, der Maxmell äußerst ähnlichsieht, ein paar lose Blätter und neben ein halb volles Glas Wasser, die offene Packung mit Kopfmedizin. Ich nehme mir eine Tablette und verlasse rasch diesen Raum, der mir das Gefühl gibt, als täte ich etwas Kriminelles.
"Hast du es?", ruft Dad aus der Küche nach mir.
"Oh, bitte schrei nicht so, ich komm doch. Ja, lagen auf dem Tisch. Habe mir eine rausgenommen.", gebe ich in der Küche eintretend Bescheid und fülle mir ein Glas mit kaltem Leitungswasser ein. Ich bin kein Fan von dem Sprudelwasser, das Dad in Massen bunkert.
"Ich geh mal hoch, mich etwas hinlegen."
"Ja, ist gut. Soll ich später nach dir sehen?", fragt er mich besorgt.
"Nein, schon Gut. Das sind nur Kopfschmerzen, das geht schon.", beruhige ich ihn mit einem erzwungenen Lächeln und gehe Richtung Treppe.
Das Zischen meines Aspirins im Wasser hallt im ganzen Flur entlang. Auf dem Weg zu meinem Zimmer nehme ich ein paar Schlucke des widerlichen Gebräus ein, und öffne die Tür. Ich kann meine Gedanken nicht vom Brief losreißen. Unsere Mutter will uns kennenlernen? Nach all den Jahren? Wieso hat sie uns nicht früher kontaktiert? Wie hat sie uns überhaupt gefunden? So viele Fragen, die erst morgen beantwortet werden sollen.
Auf meinem Bett liegt Maxmell und spielt zwischen seinen kleinen süßen Pfoten mit etwas, was ein Klumpen Erde zu sein scheint. Wie auch immer, ich stelle erst einmal mein Glas am Tisch ab und setzte mich neben ihn. Sein Fell ist bedeckt von einer grau-braunen Schmutzschicht, größtenteils aus Staub und trocknen Match. Seine Pfoten sind wir feste Erdklumpen versteckt. Mhh.... Er hat ein Bad nötig und ehrlich gesagt... ich auch.
"Junge, du hast hier alles mit Erde versaut!", stelle ich gespielt wütend fest.
Ich atme tief und langsam ein und aus, lasse meinen Gedanken freien Lauf. So sitze ich dar mit geschlossenen Augen, regungslos, gedankenlos, geistlich in einer Leere verirrt bis nach gefühlter Ewigkeit, aber eigentlich höchstens zwei Minuten etwas kommt, hinter mir. Ein Mensch. Nein, nur sein schwarzer Umriss. Kein Gesicht, keine Kleidung, kein einziges Geräusch, nur tonnenschwere Stille komplimentiert mit dem lähmenden Gefühl, dass es mich anstarrt. Aber davor, vor meinen Füßen...
etwas helles, ein kleiner Schimmer im Dunkeln. Ein Irrlicht? Vielleicht. Es ist...
"Das Tagebuch", flüstere ich meine Augen aufreißend voller Erkenntnis. Er muss etwas aufgeschrieben haben. Etwas, dass Antworten schafft. Was ist wirklich das Monster im Gewächshaus? Vielleicht kann ich wenigstens dieses Rätsel lösen. Ich wollte mich von diesem Buch fernhalten, aber ich habe keinen anderen Ansatzpunkt. Die Seiten schweben mir zwischen den Fingern, bis schwarzer Text zu sehen ist.
5. Dezember 2015
Drei Monate. So lange musste ich Papa auf die Nerven gehen, aber endlich hat er nachgegeben. Ich kriege ein Hund. Er mag Hunde nicht, aber ich und Mama konnten ihn endlich überzeugen mir einen kleinen Welpen zu kaufen. Ich freue mich so. Es ist mir auch egal was für einer. Ich werde mich jeden Tag um ihn kümmern, ihn füttern, mit ihm Gassi gehen und so. Ich denke, ich nenne ihn Krümel, oder vielleicht etwas ernsteres. Max? Nein, zu einfach. Hm... ich werde darüber nachdenken!
Seite: 7
16. März 2016
Mama ist schon seit einiger Zeit krank. Sie macht mir Angst ehrlich gesagt, weil sie richtig dünn und blass geworden ist, aber Papa wird wütend, wenn ich es anspreche. Er gibt ihr irgendeine blaue Medizin und schreibt dann etwas auf ein Blatt Papier. Er schreibt sehr oft auf das Blatt, fällt mir gerade auf. Ich hoffe, ihr geht es Bald besser.
Seite: 9
Das ist es! Dieses Schreiben ist sicher eine Akte. Ich muss in Vaters Büro. Ich muss lesen, was er geschrieben hat. Vielleicht setzt das der Unwissenheit hier ein Ende, ein für alle Mal.
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Blutig Blaues Maiglöckchen
Misteri / ThrillerDer 17-jährige Phillipp Qlipper wird von einem Arzt adoptiert, der die Körper seiner Adoptivkinder zu illegaler Medizin verarbeitet. Nun muss er entkommen. Oder doch bleiben und sein Leben für das hundert Fremder aufgeben? Oder für einen einzigen Ve...