Kapitel 25

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"Komm schon, Max, fang den Stock!", versuchte ich ihn vergebens zu animieren.

Er setzt sich auf seinen flauschigen Hintern und sieht mich an, als hätte ich nicht gerade eben ein Stock geworfen, den er hinterherjagen soll, wie es sich für einen Hund gehört. Ich gehe in die Hocke und mustere seine großen Augen aus der Nähe.

"Was bist du den für ein Hund, heh? Merkst nicht, wenn jemand ein Stock für dich wirft geschweige denn, dass du ihn zurückzubringen sollst."

Er sieht still zu Boden.

"Oh, bist du jetzt traurig?", frage ich überrascht, weil er scheinbar meine Kritik verstanden hatte. Er hebt nur die eine 'Augenbraue'.

"Warte, ich weiß was!", stelle ich fest und fange an in den Taschen meiner dunkelgrünen Regenjacke herumzugraben.

"Hier, sieh mal", halte ich ihn ein kleines Stück Wiener Würstchen vor die Nase und ziehe es kurz bevor er abbeißen konnte wieder weg, "Nein, nein, nein, nicht so schnell! Wenn du essen willst, musst du arbeiten!"

Er senkt die Ohren aber nicht den Augenkontakt.

"Wirklich jetzt? Der Hundeblick?", erwidere ich gespielt enttäuscht.

"Hier, guck mal! Das ist ein Stock, ja? Und du bist ein Hund. Simple Tatsachen, kannst du mir folgen?"

Er senkt sein Hinterteil auf dem Boden und sieht mich ernst an.

"Gut, ich werde den Stock jetzt irgendwohin werfen und du wirst hinterherrennen, ihn fangen und mir zurückbringen."

Ich wedle wieder mit den Würstchen vor seiner Nase, ", dann bekommst du deine Belohnung, klar?"

Ein wildes Wackeln mit dem Schwanz zeigt mir seine Bereitschaft. Ich hole mit der rechten Hand weit aus. Mein Blick ist zu dem unweit entfernten Wald gerichtet. Ich zügle meine Kraft, um einige Meter davor zu werfen.

"Ja!", sprang es glücklich aus mir heraus, als ich sehe, wie wild er hinterherrennt.

Er stolperte einige Male, weil seine kleinen Beine ihn nicht so schnell tragen konnten, wie er es glaubte, aber er schafft es. Er fand den Stock im kurzen Gras wieder und umkreist ihn schnüffelnd ein paar Runden. Er dreht sich um und läuft auf mich zu, aber mit leerem Maul.

"Max, was soll das?", bin ich enttäuscht.

"Hast du...", mir formt sich ein Lächeln, "etwa gedacht ich werfe das Würstchen?", lache ich los.

"Du dickes Ferkel, du.", bringe ich zwischen meinen Lachen raus.

Max findet das weniger lustig und geht einfach beleidigt an mir vorbei, ohne mir Beachtung zu schenken. Er ist wie ein wütender Flauscheball.

"Oh nein, jetzt ist er sauer.", versuche ich mein Lachen, mein Bauch haltend zu unterdrücken, was mir aber schwerfällt.

Ich sollte auch rein gehen, weil es bald dunkel wird. Man, dieses dunkle Gewächshaus ist nachts sehr unheimlich. Einige Male habe ich mir eingebildet zu hören, wie es atmet oder wie jemand von Innen leise am Glas klopft, und auch wenn ich ihm nicht vertraue, meinte Bill das wäre nichts. Ich hatte mich bereits seit ein paar Tagen eingelebt, zwei Wochen um genau zu sein. Das ist eine Woche länger, als all die anderen Adoptiveltern, die ich bisher hatte. Ich kann schon rücksichtslos und egoistisch sein, zumindest wurde mir das einige Male vorgeworfen, aber mich deswegen gleich rausschmeißen? Letztes Mal war ich nicht mal schuld daran! Er hat doch angefangen mich zu beleidigen und rumzukommandieren! Du Bastard hier, du Nichtsnutz da, da war es doch klar, dass ich ihn ein kleinen Schrecken einjage, obwohl zugegeben der Küchenbrand im Nachhinein etwas außer Hand geraten ist, aber deswegen gibt man sein Sohn doch nicht gleich auf?!

Naja, zum Glück scheint Bill ein guter zu sein, der mich gut behandelt. Er soll ein guter Arzt sein. Vielleicht denken die beim Waisenhaus schon, ich sei verrückt und übergeben mich deswegen einem Arzt? Vielleicht trifft sich das aber auch ganz gut, denn in letzter Zeit bekomme ich ab und zu starke Hustenanfälle und kann kaum atmen. Bisher ging das immer schnell wieder weg und ich denke das wird auch so bleiben, aber man weiß ja nie. Bill ist netter zu mir als all meiner bisherigen Adoptiveltern, also werde ich mir auch Mühe geben ein guter Sohn zu sein. Naja, ein bisschen Mühe. Ich will es ja nicht gleich übertreiben.

Ich sitze nun am Fenster meines Zimmers und genieße die Aussicht mit einer Tasse heißem Kamillentee in der Hand. Selbst diese hat er für mich vorbereitet. Es regnet, aber es ist trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen schön hier. Ich mag dieses große Waldhaus, auch wenn es schon mal extrem langweilig wurden würde, aber Max ist mittlerweile mein bester Freund geworden, deshalb ist es nicht so schlimm. Nur dieses Gewächshaus ist mir unheimlich. Man sieht nichts, von dem, was drin ist. Ich habe Bill in meinen zwei Wochen kein einziges Mal rein gehen sehen und auch jetzt macht er einen großen Bogen um das Haus, als er mit seinen gelben Besen den gepflasterten Fußweg vor dem Haus kehrt. Er nutzt wohl den Regen, um den Dreck an den Steinen aufzuweichen.

Mein Atem hält still, als ich sehe, wie ein Schatten sich über die schwarzen Ranken, in der gewohnten Gewächshaus hebt. Mein Herzrasen wird nur schlimmer, als sich hinter der Gestalt eine weitere etwas größere Finsternis hebt. Alles sagt mir, ich solle vor dem Glashaus wegrennen, aber allein mein Blick kann nicht entfliehen. Die vordere Gestalt hebt etwas, dass ihre Hand zu seien scheint. Sie ist pechschwarz und ihre Spitze ist beschmiert mit blutroter Flüssigkeit. Ich sehe zu Bill und erwische ihn, wie er mich bereits anstarrt, um zu sehen, ob ich es auch sehe. Sein Gesicht ist ungewohnt streng, als täte ich etwas Verbotenes. Nach ein paar schleppende Bewegungen, auf der Innenseite des Glases, leuchtet hingeschmiert in Signalrot:

H I L F E

Die Schatten fallen. Bill stürmt durch die Eingangstür. Ich höre jeden Schritt durch die Flure rasen. 

Blutig Blaues MaiglöckchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt