Ich taste wild mit meiner linken Hand, in den zwei Sekunden, die dieses menschenähnliche Monster brauchte, um ein Schritt von mir entfernt zu stehen, den Boden ab. Seine Arme stürzen sich auf meine Schultern, werfen mich zur Seite, mein Körper einige Male wie ein Sack voller Mehl seitlich rollen lassend. Er verschwendet keine Zeit. Sofort stürzt er sich erneut auf mich. Wie eine Katze spielt er zuerst mit seiner Nahrung, wie es scheint. Ich konnte ein Hauch seines warmen und nach Verrottetem stinkenden Atem auf meiner Nasenspitze spüren, eh ich sein Gesicht mit einem spitzen Stein zur Seite schlage. Mein Arm pocht nach dieser mühevollen Bewegung. Ich habe kaum Kraft im Körper. Seine blutangelaufenen Augen sind umrandet von stark ausgeprägten blauen Venen auf blasser Haut. Das ist eine lebendige Leihe eines Menschen.
Er blutet am Kopf, wo ich ihn getroffen hatte. Ich nutze diese Zeit, in die er regungslos auf dem Boden liegt, um mich möglichst weit weg von ihm zu schieben, möglichst viel an der Erde entlangzuziehen, mit einer langen Blutspur mein Weg markierend. Aber alles dreht sich, ich bin am Ende meiner Kräfte. Meine Lippen, Hals sind trocken, mein Brustkorb spüre ich kaum noch und mein Körper wird immer schwerer und schwerer.
Er fängt an am Boden zu riechen, wie ein Polizeihund auf der Suche nach Drogen. Er leckt den Boden. Seine Zunge schaufelt in meiner Blutlache, als sei es Wasser. Seine Augen treffen meine. Unter normalen Umständen würden mir wahrscheinlich die Adern gefrieren aber ich bin so kraftlos, dass mich der Anblick dieses Chupacabras nicht beeindruckt. Auf allen Vieren kriecht es pochend und knochenknackend in meiner Richtung. Langsam, schreckenerregend und hungrig setzt es eine Hand, ein Fuß nach dem anderen. Sein Schatten ist wie ein kalter Schleier, der langsam meinen Körper hinaufwandert. Es setzt sich auf meinen Bauch, als sei ich sein Kissen und beginnt meinen nackten Brustkorb mit reasiermesserscharfen Fingernägel auf- und abzulaufen, jedes Mal ein kleines Stückchen schneller werdend und sich ein kleines Stückchen tiefer in meiner Haut schneidend. Ich spüre die Schnitte, wie als wären die Stellen betäubt. Es tut nicht weh, aber man fühlt es. Sein fauler Speichel tropft zwischen seinen schwarz-gelben Zähnen aus seinem blutbeschmutzten Mund und landet auf meinen Hals, ekelhaft warm.
Erneut greife ich mit halb geschlossenen Augen träge nach einem Gegenstand, der sich als Waffe eignet, während ich aufgeschlitzt werde. Er wird immer unruhiger und lauter, ein Geräusch, das ähnelt ein Lachen, aber kein gesundes. Er stoppt. Erstaunt betrachtet er meine abgerissene blutige Haut unter seinen Fingernägeln, während einige feuerrote Tropfen herunterlaufend seiner blassen Hand Farbe verleihen. Mir steigt Erbrochenes im Hals, aber ich schlucke es herunter.
Meine Fingerspitzen nehmen etwas auf. Etwas holziges, spitzes, nicht besonders dick, aber lang wie vom Finger bis zum Ellbogen. Ich beiße mit aller letzter Kraft meine Zähne zusammen, spanne meine Muskeln an und nutze den Moment der Gelassenheit, die dieser Vampir auf mich genießt zu meinem Vorteil.
"STIRB!"
Mit einer starken und schnellen Armbewegung ramme ich ihm den Zweig seitlich im Kopf, direkt neben sein rechtes Auge. Es sieht aus, als würde ein Baum aus seinem Kopf herauswachsen. Blutspritzer landen auf mein Gesicht, bevor er wie gelähmt kreischend zur Seite von mir herunterfällt. Er zuckt hin und her wie eine sterbende Kakerlake auf dem Rücken, bis er schließlich auch alle Gliedmaßen leblos fallen lässt.
Ich muss hier weg! Aber ich bin so müde, so erschöpft und der dunkle Nebel zieht mich in seinen Schlaf. Ich muss wieder Husten. Dieses Mal mit dem Gefühl dabei innerlich zu verbrennen und zugleich tausend Mal erstochen zu werden. So sehr spüre ich die Schäden meiner Lunge und meines Rachens. Als beständen sie aus Rasierklingen. Ich wische mir die Blutauswürfe am Ärmel ab.
Ich kann nicht... ich kann nicht länger dagegen ankämpfen. Ich lasse es. Schließe langsam die Augen. Alles wird friedlich.
Der Wolf stinkt nach Verwesung. Sein hungriger Blick spring zwischen mir und Bill. Im Gegensatz zu ihn, vermeide ich Augenkontakt, weil ich mal gelesen hatte, dass es Hunde aggressiv mache. Vielleicht ist es bei Wölfen auch so. Bills Revolver spring ebenfalls aber zwischen mir und den Wolf. Eine Krähe krächzt einmal von einem hohen Baum auf uns herabschauend.
Mit Schweiß auf meiner Stirn wage ich ein Schritt nach vorn. Sobald die Pistole auf mich zeigt tut es der Wolf auf Bill. Mit dem Blick ins Gewehrloch und Beine, die ich zwingen muss nicht zu wackeln, wage ich einen weiteren Schritt. Bill geht einen zurück. Plötzlich springt der Wolf in seiner Richtung und rast wie besessen auf ihn zu, wirft Erde und Steinchen hinter sich her. Die Krähe fängt an wie verrückt zu krächzten. Lautes Knallen der Pistole schallt durch den Wald, aber davon lässt das Tier sich nicht aufhalten. Bill wird auf dem Boden geworfen, die Waffe zur Seite und es beginnt ein Ringen, um Leben und Tod. Es wuchern Bisse, Schläge, Bellen, Flüche und Schreie.
Ich nutze diese Chance, renne möglichst schnell an den beiden vorbei, schnappe mir beiläufig die Waffe und rase weiter in den HALT! Ich drehe mich und laufe langsam zu Bill und den Wolf zurück. Sie sind beide verletzt. Der eine mit Schuss- und der andere mit Bisswunden bedeckt. Scheinbar haben sie beide ein Treffer einstecken müssen. Ich richte den Revolver auf den Vierbeiner und drücke ab. Sein Geknurre und Gebell verstummen schlagartig. Er sackt in sich zusammen. Bill schmeißt ihn von sich herunter und richtet sich beschwerlich wieder auf.
"Phil, schön dass du wieder vernünftig geworden bist. Komm! Gib mir die Waffe und lass uns Nachhause, mein Sohn.", streckt er mir seine linke Hand einladend entgegen.
"Du hast mir alles genommen.", spreche ich ihm ruhig zu.
"Was?"
"Du hast mir alles genommen!", richte ich den Revolver auf ihn.
"Phil, mach jetzt bitte keine Dummheiten, die wir später alle bereuen werden!"
Kaum hat er das zu Ende ausgesprochen stürzt er winselnd auf die Knie. Die fliegende Kugel aus dem qualmenden Pistolenlauf durchbohrt schneller als ich sie sehen kann Bills linke Hand. Blutspritzer bedecken die Erde hinter ihm. Eine Kaskade an Adrenalin schießt durch meinen Körper.
"Das ist für Quinn!", sage ich unter schnellen Atem, "Denn ohne dich hätte ich ihn nicht verraten müssen!"
"DAS IST DOCH NICHT MEINE SCHULD, DU IDIOT! DU HAST IHN ZURÜCKGELASSEN! DU WARST SO EGOISTISCH!", höre ich ihn kaum, da meine Ohren vom Knall angefangen hatten zu piepen.
Eine zweite Kugel durchbohrt sein Fleisch. Dieses Mal das seiner rechten Hand.
"Das ist für Oscar! Dafür das du ihn jahrelang im Glashaus hast leiden lassen."
"Phil, denk an all die Menschen die ich, die wir retten können!", spricht er in gebrochener, schmerzerfüllter Stimme.
Er verstummt. Kippt nach hinten und prallt mit geschlossenen Augen und dumpfen Schlag auf den Moosteppich. Sein aus dem Loch im Kopf austretende Blut färbt kreisförmig das Moos weinrot. Die Kugel traf ihn genau zwischen den Augen. Ich wollte ihn keine Sekunde länger zuhören. Er verdiente keine letzten Worte.
"HIER CHEFF!", höre ich ein Mann laut schreien, begleitet von mehreren hellen Lichtscheinen von starken Taschenlampen, die unweit entfernt ein Weg zwischen den Bäumen finden, "DER KNALL KAM VON DORT DRÜBEN OFFICER!"
OFFICER?! Die Polizei...
Wie als sei ich hinter dem Vorhang einer Bühne höre ich das Publikum, die Polizeimänner, nach mir rufen und die Scheinwerfer, ihre Taschenlampen, auf mich gerichtet. Hundebellen holt mich in der Realität zurück. Eine Realität in welche mehrere Polizeihunde auf mich zu stürmen und noch mehr Polizeimänner bereit sind auf mich zu schießen.
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Blutig Blaues Maiglöckchen
Misterio / SuspensoDer 17-jährige Phillipp Qlipper wird von einem Arzt adoptiert, der die Körper seiner Adoptivkinder zu illegaler Medizin verarbeitet. Nun muss er entkommen. Oder doch bleiben und sein Leben für das hundert Fremder aufgeben? Oder für einen einzigen Ve...