Kapitel 34

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In diesem hellen Zimmer umrandet ein hellblauer Tapetenstreifen das offene Fenster über den kleinen Akteschrank. An beiden Wänden rechts und links ist eine lange Theke mit einer schwarzen Marmorplatte oben drauf. In der Mitte des schmalen Raumes ist ein dünner Tisch und zwei Stühle aus Plastik. Alles in Weiß bis beige gehalten.

"Er ist cool.", nehme ich einen großen Schluck aus dem Glas Leitungswasser, das er mir gab, "Wir verstehen uns gut."

Er mustert mich, gegen den Tresen angelehnt, mit einem Lächeln, als hätte er was vor. Ein verstecktes Ziel, dass er eigentlich verfolgt.

"Das freut mich. Ich nehme an du bist nicht sein leiblicher Sohn?"

"Was?", bin ich etwas beleidigt, obwohl er recht hat, "Nein, bin ich nicht. Aber woher wusstest du das?"

"Weißt du... ich und Bill arbeiten schon sehr lange zusammen und deshalb kenne ich ihn ausgezeichnet gut. Du bist nicht sein erstes Adoptivkind."

Ich weiß, dass ich weder sein leiblicher noch sein erster Adoptivsohn bin, aber dennoch verletzt es mich, wie er es mir direkt vor der Nase hält. Dieser Treffer, den er bei mir erzielt unterdrücke ich zu zeigen.

"Es gab andere vor mir?"

"Oh ja. Zwei Jungs. Leider habe ich sie nie kennengelernt. In dieser Hinsicht bist du der erste. Wie lange bist du schon bei Bill?", nippt Adeola an seiner Tasse schwarzen Kaffee.

"Ugh... zwei Wochen, glaube ich."

"Das ist wenig.", überlegt er.

"Wenig wofür?"

"Lass uns ein Spiel spielen. Ich beantworte dir eine Frage ehrlich und dann beatwortest du mir eine Frage absolut ehrlich, einverstanden?", wechselt er das Thema.

"Einverstanden.", wusste ich genau, was ich ihn fragen würde, "Was ist mit denen vor mir passiert?"

Er seufzt und setzt seine Tasse, die er bislang in der Hand hielt auf der Marmorplatte ab.

"Sie leben. Das ist die gute Nachricht.", fällt mir ein Stein vom Herzen, als er das sagt, "Aber sie sind gefangen. Sie leiden jeden Tag, damit andere es nicht brauchen. Sie sind bei euch Zuhause... im Gewächshaus."

Die Personen im Glashaus sind Bills vorherige Adoptivkinder gewesen? Was ist falsch mit ihn? Wieso foltert er immer seine Familie? Bin ich der nächste?

"Deinen Blick zufolge, wusstest du bereits, dass dort Menschen sind, die er für seine Zwecke missbraucht?"

"Ja, aber seine Adoptivkinder?"

Er nickt, "Das ist genau seine Masche. Er adoptiert sie und entweder sie helfen ihn oder sie werden zu Treibstoff."

"Treibstoff wofür?"

"Das weißt du doch schon längst."

"Das Blaue Maiglöckchen", flüstere ich.

"Ja genau. Nun du bist du an der Reihe. Vertraust du ihn wirklich?"

"Ja"

Er beißt die Zähne zusammen und dreht seinen Kopf weg, eh er beginnt gereizt zu sprechen.

"Er tötet jeden, der vorher an deiner Position war. Du könnest genauso der nächste sein! Wie kannst du ihn da noch irgendwie vertrauen?"

"Wir sind ein Team. Das würde er niemals machen!"

"Wie kannst du dir da so sicher sein?"

Ich springe gereizt auf, "DAS REICHT JETZT! Das muss ich mir nicht länger anhören.", und gehe zur Tür, als mich seine Hand an der Schulter packt.

"Ich versuche dir nur zu helfen!", sagt er als ich mich umdrehe und ihn wütend in den Augen schaue, "Ich habe genug Beweismittel, um ihn hinter Gittern zu bringen. Wenn du mir hilfst können wir ihn loswerden. Du könntest in Sicherheit sein.", spricht er mir zu.

"Wer soll für mich sorgen, wenn er im Gefängnis geht? Soll ich zurück ins Waisenhaus? Ist es das, was du willst?"

"Nein, mit einem guten Anwalt könntest du von den Entschädigungsgeldern locker jeden aus deinem Waisenhaus eine drei Zimmer Wohnung kaufen. Ich will ein Mörder aufhalten! Hilfst du mir dabei?"

"Wieso brauchst du mich dazu, wenn du doch 'genug' Beweise hast?"

"Weil ein Zeuge, jemand der alles aus nächster Nähe bestätigen kann, so einer wie du es bist, mehr wert ist als tausend Beweise. Hilfst du mir, helfe ich dir!", reicht er mir die Hand, für einen Handschlag, der meine Kooperation bestätigen würde.

"Du willst das ich mein Vater verrate?"

"Ich will, dass wir ein Mörder stecken, wo er hingehört!"

"Bist du nicht genauso schuldig, wie er Herr 'Wir haben schon so lange zusammengearbeitet'?"

"Genau wie du bin auch ich nur ein Komplize. Auch ich habe niemanden Umgebracht. Uns beide würde nur ein Bruchteil seiner Strafe treffen. Das ist es mir aber im Namen der Gerechtigkeit absolut wert und dir?", schaut er mich hoffnungsvoll an.

Ich lege seine Hand von meiner Schulter ab, "Selbst, wenn ich dir helfen wollte...", löse ich die obersten drei Knöpfe meines schwarz-karierten Hemdes, "...kann ich das nicht."

"Ah, du Scheiße.", zieht er mit Schock in den Augen tief Luft ein und lässt seine Hand zur Seite fallen.

Ich knöpfe wieder zu und gehe aus dem Raum. Beides in beunruhigender Stille.

"Falls du anders entscheidest bin ich immer um diese Zeit hier!", höre ich ihn hinter mir rufen.

Ich hasse es, sie jeden zeigen zu müssen. Die Bürde, die mir aufgezwungen wurde. Diese Last mit der ich leben muss und die mich an Bill bindet. Ich helfe ihn und das ist keine Frage von wollen, sondern eine Pflicht, ein müssen. Wenn ich es nicht tue, lande ich genauso, wie diese Idioten im Glashaus und werde zu Futter für irgendeine dumme Pflanze. Die Wahrheit ist... dass man mit ihr das Leben anderer retten kann mich kaum weniger jucken könnte.

"Entschuldige, Junger Mann?", höre ich eine kratzige Frauenstimme hinter mir.

Reflexartig drehe ich mich um, sofort aus meinen Gedanken gerissen, "Cam?"

Mir blick eine ältere Dame entgegen. Eine Patientin vermute ich.

"Ich habe sie zusammen mit Doktor Crimson gesehen.", beginnt sie, "Sind sie verwandt?"

"Ich bin sein Sohn, wieso fragen sie?"

"Oh gut,", atmet sie aus, als wäre ihr eine Last von den Schultern gefallen, während sie mir einen weißen Umschlag hinhält, "Können sie das bitte ihren Bruder geben?"

Gänsehaut bildet sich an meinen Armen und Schulter, "Meinen Bruder?"

"Ja, bitte!", fleht sie.

"Wieso geben sie das nicht einfach meinen Vater?"

"Ich habe meine Gründe. Nur ihr Bruder soll es lesen, bitte."

"Wer sind sie überhaupt?"

"Ich heiße Karolin Bram. Bitte helfen sie mir dieses eine Mal das richtige im Leben zu tun!"

"Gut", nehme ich der fast bettelnden Frau seufzend den Brief ab, "Er wird es bekommen und nur er allein wird den Inhalt lesen.", verspreche ich ohne zu wissen an wem ich den Brief eigentlich weiterleiten soll.

"Haben sie vielen Dank!", verabschiedet sich die Alte.

Ich klemme den Brief hinter meinen Gürtel und unter mein Hemd ein. Ein Arbeitskollege der von mir verlangt Dad zu verraten und eine ältere Dame die genau das gerade geschafft hat, auch wenn nicht um dieselbe Größe. Das ist nicht was ich erwartet hatte, als ich vorschlug mit in das Krankenhaus zu kommen.

Blutig Blaues MaiglöckchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt