"Dad", ich muss schlucken, weil mein Mund trocken ist, "bist du das?"
Mit einer gehobenen Hand zeigt er mir sofort sein Desinteresse an meiner Frage. Er lässt die schwere Tür langsam zu fallen und dreht sich, in sein weißen Laborkittel um. Seine Augen führt er langsam von meinen gefesselten Füßen bis zu meinen Augen hoch. In seinen Blick ist nur Reue und Schmerz.
"Was tue ich nur? Phillipp Qlipper... du bist so wunderschön und unschuldig. Du bist noch nicht soweit, aber du hast zu viel gesehen.", klärt er mich auf, während er sich neben meinen Kopf hinhockt und meine Augen aus der Nähe betrachtet.
"Weißt du... ich kann dich nicht einfach so gehen lassen, weil du vielleicht zur Presse gehst und das Drama kann ich nicht riskieren!", schüchtert er mich mit aufgerissenen Augen ein.
"Ich... ich wollte gar n... n... nicht", versuche ich mich zu verteidigen, aber er schließt nur die Augen und schüttelt langsam mit dem Kopf.
"Doch... doch das wolltest du! Aber ist schon okay. Das hätte ich an deiner Stelle vermutlich auch getan."
"M... m... mir ist echt k... kalt", stotterte ich, weil mich der eiskalte Boden dem Unterkühlen kritisch nahebringt.
"Ja, ja ich weiß, aber darüber hättest du vorher nachdenken müssen.", sieht er mich gleichgültig an.
"I... i... ich habe nichts ge... ge..."
"Oh, sei still!", bricht er mein Wort und springt auf, "dein Stottern ist nicht zu ertragen!"
"D... Dad?"
"Nenn mich nicht so! Das macht es nur noch schwieriger.", murmelt er letzteres in sich hinein, während er ziellos durch den Raum streift.
"Wovon r... redest du?"
"Wovon ich rede? Du hast doch die Akten gesehen. Du weißt, was mit meiner Frau und Sohn passiert ist.", gestand er kaltherzig, denkend es würde mich nicht überraschen. Das tat es wirklich nicht.
"Ab...ber wieso?", will ich wissen. Ich habe mein Leben lang auf eine Familie gehofft und dieser Mann hat seine freiwillig weggeworfen!?
"Wieso?! Oh, du hast wohl immer noch nicht eins und eins zusammengezählt, oder? Mein Junge hör mir genau zu ja! Es hat etwas gedauert, aber nach anfangs ein paar Schwierigkeiten war es vollbracht. Ich habe kein einfaches Heilmittel erschaffen, nein. Es ist eher ein Deal, so wie mit dem Teufel, weißt du? Leben für Leben. Ja, die Blume kann heilen, das stimmt, aber es gibt ein Preis.", schaut er bedauernd auf seinen Händen.
"Was hast d...d...du ihnen angetan?", schleichen sich in mir die Befürchtungen.
"Ich... Ich habe sie geliebt, ich habe sie über alles geliebt, aber...", diese Worte kamen nicht aus seinem Mund, nein, ich spüre es, sie kamen aus seinem Herzen, "...aber der Haken ist blutig. Die Hauptwurzel ist wie ein riesiger Blutegel. Nur solange, wie sie einen Menschen das Blut aussaugen kann, können die Blumen wachsen und gedeihen."
Ich sinke noch tiefer in den Boden, als mich die Wahrheit trifft. Meine Befürchtungen werden übertroffen.
"Du h...hast sie ge...tötet! Du Bastard!"
"Du bist hier der einzige Bastard.", kaum ausgesprochen, trat er mein Gesicht plötzlich so stark zur Seite, dass ich sehen und schmerzhaft fühlen konnte, wie ein meiner Schneidezähne über den Raum mit blutigen Spuren flog. Dort wo er mal war schmeckt meine Zunge nun nur salzige Leere. In meinen Kopf zieht Nebel ein, aber ich muss beim Bewusstsein bleiben, sonst werde ich erfrieren, verbluten oder beides!
"Es ging nicht anders! Ich musste sie ausbluten lassen.", hält er inne und atmet ein paarmal durch, eh er mit gebrochener Stimme und glasigen Augen weiterspricht.
"Weißt du eigentlich wie viele Menschen", er sieht mich an und schluckt, "wie verdammt viele Menschen ich sterben sehen musste?! Es war eine fast Routine, so oft musste ich Familien anrufen, weil ein Angehöriger die verdammte Chemotherapie nicht überlebt hat! Scheiße man, einmal war es ein 5-Jähriger. Wie sagt man einer Mutter über das Telefon, dass man versagt hat, ihren 5-jährigen Sohn zu retten? Ich habe so viel versucht den Menschen zu helfen und dann habe ich endlich einen Weg gefunden, wie hätte ich da aufhören sollen?!"
"Ich rette Leben, Phil.", blicken mich zwei nasse Augen an. Ich hasse es, wie er mein Name ausgesprochen hat, als wäre ich ein Teil von dem ganzen Scheiß.
"N...nein du n... nimmst es!"
"Ugh... wieso erwarte ich eigentlich, dass du es verstehst?", alle Tränen und jeglicher Kummer waren verschwunden.
"Hör zu. Ich stelle dir jetzt eine einfache Frage okay? Würdest du ein Mensch opfern, um 10 zu retten?"
"I...i...ich weiß n...n...nicht!"
"Gut, gehen wir ein Schritt weiter. Würdest du einen geliebten Menschen eigenständig umbringen, um 10 oder gar 100 fremde zu retten?"
"Was ist w...w...wenn ich nicht an...t...t...worten will?!"
"Dann schlage ich dir jeden Tag ein Zahn aus dem Mund bis du es tust. Ich habe mich bereits 3-mal entscheiden müssen, aber wie entscheidest du dich, mein Junge?"
"Es g...g...gibt keine richtige Ant...t...twort oder?"
"Nein, gibt es nicht. Aber darum geht es auch nicht. Es geht hierbei nicht um richtig oder falsch. Nein, es geht darum, wie du handeln würdest, nicht, ob dieses Handeln in den Augen irgendeines Richters korrekt sei. Verstehst du?", erklärt er mir mit seinen Händen in der Luft hin und her werfend.
"Ich w...w...würde für andere l...l...leiden!"
"Schade", seufzt er, "Ich komme morgen wieder.", verabschiedet er sich.
"W...warte!", schaffe ich es mit Mühe ihn aufzuhalten.
"D...darf ich ein l...letzten Wunsch äuß..ßern?"
Er atmet durch und sieht mich dann aufrichtig an.
"Ja, spucks aus."
"K...kann ich m...m...mein Bruder ein l... l... letztes Mal s... s... sehen?", begleiten Tränen meine Worte.
"Du wirst ihn wiedersehen, bald, sehr bald. Darauf hast mein Wort!"
"D...dann bin ich ja b...b...beruhigt.", schließe ich meine Augen und höre auf gegen die Kälte anzukämpfen.
Tut mir leid kleiner. Ich habe dein Gemälde ja ganz vergessen. Ich hoffe, du bist mir nicht böse.
Und Mama... ich verzeihe dir. Bitte mach dir nicht so viele Vorwürfe.
Ich werde auf euch beiden warten, versprochen!
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Blutig Blaues Maiglöckchen
Mystery / ThrillerDer 17-jährige Phillipp Qlipper wird von einem Arzt adoptiert, der die Körper seiner Adoptivkinder zu illegaler Medizin verarbeitet. Nun muss er entkommen. Oder doch bleiben und sein Leben für das hundert Fremder aufgeben? Oder für einen einzigen Ve...