Kapitel 1

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„Alex, warum sieht man dich nie oberkörperfrei?" fragte dieses kleine Blondchen von Reporterin. Wie sehr ich diese Frage hasste. One Direction gibt es nun seit drei Jahren und von Anfang an war ich dabei gewesen. Schon beim ersten Videodreh wollten sie, dass wir uns ohne Shirt zeigten. Ich lehnte es kategorisch ab. Ich zeigte nie, wirklich nie meinen Oberkörper. Seitdem kam die Frage immer und immer wieder. Man müsste meinen, dass es sich auch bis zum letzten Provinzreporter rumsprach, aber Pustekuchen.

„Als kleines Kind hatte ich einen schweren Autounfall. Ein Großteil meines Oberkörpers und meiner Oberschenkel ist dadurch entstellt. Glauben Sie mir, das muss man nicht der Öffentlichkeit präsentieren", erzählte ich in einem freundlichen Ton.

Sofort wirkte sie sehr betroffen. Ich konnte das „Armer Junge" aus ihren Augen förmlich ablesen. Naja, sie konnte ja nicht wissen, dass alles, wirklich alles erstunken und erlogen war. Ich hatte als Kind nie einen Autounfall gehabt, mein Oberkörper war auch nicht entstellt, zumindest nicht so wie sie es dachte und nun ja, ich war auch keine Junge.

„Das tut mir wirklich leid", sprach sie mitfühlend, während sie sich mit ihren künstlichen Fingernägeln durchs kaputtgefärbte Haar fuhr. Offensichtlich war sie mit mir fertig und wendete sich nun Harry zu.

Es folgten die üblichen Fragen über Harrys aktuellen Beziehungsstatus.

Ich schweifte mit meinen Gedanken ab. Seit dreieinhalb Jahren spielte ich nun schon die Rolle als Alex. Das Ding war, dass es mein wirklich Name war. Ich hieß Alexis Jameson. Mein geschlechtsneutraler Vorname hatte mich erst auf die Idee gebracht mich bei X-Factor als Junge zu bewerben. Ich hatte beim Singen eine sehr tiefe Stimme. Sie ging locker als Männerstimme durch, wenn auch als recht hohe. Beim Sprechen hatte mir meine Mutter geholfen mir eine tiefere Stimme anzueignen. Sie war Logopädin und über die Zeit hinweg hatten wir meine Stimmlage ziemlich perfektioniert. Natürlich hatte ich nicht die männlichste Stimme, aber niemand hatte bisher Verdacht geschöpft. Es gab durchaus Männer mit höheren Stimmen als ich. Ihr fragt euch, warum ich das ganze überhaupt gemacht habe? Es war eigentlich eine spontane Idee gewesen. Ich hatte mir gedacht, dass Jungs und Männer in Castingshows häufiger gewählt wurden, weil mehr kleine Mädchen anriefen als Jungs. Das war doch immer so. Wann gewann schon mal eine Frau? Man musste als Frau einfach noch besser sein, um beliebt zu sein. Dementsprechend höher sah ich meine Chancen, wenn ich als Junge antreten würde. Vier Monate lang hatte ich mich mit Stimmentraining und dem Einstudieren von männlichen Bewegungen befasst. Eine Bekannte meiner Mutter, die Stylistin war, hatte mir dann noch die perfekte Tarnung verpasst. Ich war als Solokandidat angetreten. Ich hätte ja nicht ahnen können, dass ich auf einmal in eine Boyband geschmissen wurde! Und schon gar nicht hatte ich mit so einem Erfolg gerechnet. Mittlerweile waren wir die erfolgreichste Boyband aller Zeiten und ich steckte einfach schon zu tief drin um es rückgängig zu machen. Ich hatte irgendwie den Punkt verpasst, an dem ich es hätte sagen können. Und so wussten es nur fünf Leute von meinem Doppelleben. Mom, Dad, mein Bruder Sam, meine beste Freundin Lola und Lou, die Stylistin. Die Band hatte keine Ahnung. Ihr könnte euch wahrscheinlich vorstellen, wie schwer es ist so eng mit jemanden zusammen zu leben und gleichzeitig so ein großes Geheimnis zu hüten. Die Geschichte mit dem entstellten Körper machte vieles einfacher. Ich gab vor, dass ich mich dafür schämte und sie akzeptierten es. Wahrscheinlich hielten sie mich für traumatisiert oder so, was das betraf. Aber so musste ich nicht spontan im Meer baden gehen oder nach einem Fußballspiel mit ihnen zusammen duschen. Ich trug so eine Art Bodyanzug, der mit ziemlich viel Muskelmasse dazu schummelte. Das Problem war gewesen, dass ich eine Körbchengröße C hatte, was man nicht einfach so wegschnüren kann. Dementsprechend breit wurde meine Schaumstoffmännerbrust. Mit 1,73 war ich für eine Frau recht groß und als Mann war es gerade noch so grenzwertig um nicht als sonderlich klein zu gelten. Ein weiteres Problem war die Sache mit dem Ausweis. Wir reisten ständig in andere Länder, da konnte ich schlecht mit einem Ausweis ankommen, auf dem ich meine langen blonden Haare hatte. Doch da kam mir zu Hilfe, dass ich die doppelte Staatsbürgerschaft besaß. Die deutsche und die britische. Ich hatte mir einen neuen britischen Pass machen lassen, wo mein Profilbild männlich war. Die Frau auf dem Amt hatte zwar komisch geguckt, doch ich erklärte ihr, dass ich transsexuell sei und mich nun entschieden hatte als Mann zu leben. Sie hatte komisch geguckt, doch letztendlich den Ausweis ausgestellt. Nur das kleine ‚F' für ‚Female' verriet mich noch. Doch darauf achtete eh niemand. Nur am Zoll bekam ich manchmal einen seltsamen Blick zu geworfen. Von meiner deutschen Staatsbürgerschaft wusste die Band ebenfalls nichts.

Als Mann sah ich komplett anders aus. Braune Kontaktlinsen überdeckten meine blauen Augen. Eine braunhaarige Perücke mit einem modernen Kurzhaarschnitt versteckte meine blonde Wallemähne. Lou hatte mir am Anfang einen intensiven Kurs gegeben, wie ich mich männlich schminken musste. Meine weichen weiblichen Züge verschwanden unter einem falschen Dreitagebart und einer dicken Schicht Makeup. Selbst meine schwarzen dichten Wimpern wurden abgepudert, da auch sie mich weiblich aussehen ließen. Sogar Augenbrauen wurden mir aufgeklebt. Am Ende sah ich wirklich aus wie ein Kerl und zwar ein richtig gutaussehender Kerl. Mädchenherzen lagen mir zu Füßen. Unsere Fans kreischten bei mir nicht weniger und ich bekam genau so viele Liebesbriefe.

„Alex", flüstert Liam und stieß mir in die Seite. Erst jetzt bemerkte ich, dass die Reporterin wohl doch noch eine Frage an mich gerichtet hatte.

„Wie dein Beziehungsstatus ist?" fragte sie mit diesem Fake-Lächeln und dem viel zu pinken Lippenstift.

„Glücklich vergeben", sagte ich routiniert. Auch diese Frage kam oft.

Lola war meine beste Freundin, offiziell waren wir jedoch ein Paar und das schon seit drei Jahren. Es machte es einfacher, wenn ich vergeben war. So kamen keine Gerüchte über Homosexualität oder so auf. Lola und ich galten als Traumpaar.

„Schade", seufzte sie.

Was für eine blöde Kuh.

„Was war das denn für eine?" regte sich auch Zayn auf, als wir endlich das Studio verlassen dürften.

„Naja, nen bisschen dumm war sie schon, aber heiß war sie auch!" gestand Harry.

Entgeistert sah ich ihn an. Was hatte er nur für einen Frauengeschmack? Diese Frau sah aus, als ob sie einem diese Barbiefilme entsprungen war. Aber was wunderte ich mich? Er schleppte öfter mal die seltsamsten Frauen ab. Eigentlich war er ein Gentleman, lustig und sogar mit Hang zur Romantik. Er konnte im Prinzip jede haben, aber irgendwie suchte er sich immer die schrägsten Hühner aus. Eine dümmer als die andere.

„Kannst sie ja um eine Date bitten!" schlug ich ironisch vor.

Er verdrehte die Augen.

„Ich glaube, dann würde ich morgen alle Einzelheiten des Dates in der Zeitung lesen können. Darauf kann ich verzichten."

War das wirklich der einzige Grund, warum er es nicht machte? Zayn und ich tauschten Blicke aus und schüttelten und unverständlich den Kopf. Auch er konnte Harry oft nicht verstehen. Eigentlich war Harry echt normal und ein cooler Typ, nur was seine Frauenwahl anging, wurden wir nicht schlau aus ihm.

„Dann date ich sie halt", sagte Niall scherzhaft.

Bei ihm wussten wir, dass er es nicht ernst meinte. Außerdem hatte er eh gerade was mit einem französischen Model laufen. Nichts Ernstes, aber für die nächsten Tagen war er wohl versorgt. Es war schon komisch. Irgendwie hatte ich mich daran gewöhnt, die Mädels kommen und gehen zu sehen. Ich als Frau konnte nicht wirklich nachvollziehen, wieso man sich für eine Nacht so ausnutzen ließ, aber es war deren Entscheidung. Ich wollte mich da nicht einmischen und schon gar nicht den Moralapostel spielen.

„Mann!" sagte Harry ein wenig sauer über die Kritik an seinem Frauengeschmack."Nicht jeder hat so ein Glück wie du und mit 19 schon die Liebe des Lebens gefunden."

Ich wünschte es wäre so, aber es war für mich unmöglich einen Freund zu haben, wenn ich den ganzen Tag aussah wie ein Kerl. Das war wohl das Frustrierendste an der ganzen Sache.

„Apropro Lola, ich soll von El fragen, ob sie heute Abend auch mit feiern geht?"

„Ja, bestimmt", antwortete ich.

Wir machten gerade eine Welttour und ich hatte Lola einfach mitgenommen. Sie hatte ihren Abschluss im Sommer gemacht und bevor sie studieren wollte, hatte sie eh ein Jahr Auszeit nehmen wollen. So tourte sie mit uns durch die Welt. Fake-Freundin von mir zu sein, hatte durchaus etwas Gutes. Seit einer Woche war nun auch Louis Freundin Eleanor bei uns. Lola und El verstanden sich super. Sie hatten in den letzten Tagen viel Zeit miteinander verbracht, während wir ‚Jungs' beruflich zu tun hatten.

MY Direction ♂♀ (1D FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt