Val's POV
Mit einem Ächzen sank ich auf einen der freien Sitze im Wartebereich des Check-ins. Sonderlich bequem waren sie nicht, aber alle mal besser als stehen. Kurz blickte ich mich um, aber außer mir hatte es sich niemand auf den Sitzgelegenheiten niedergelassen. So früh am Morgen war der Incheoner Flughafen noch recht leer.
Logisch, keine Menschenseele mit ein bisschen Verstand würde einen Flug um halb fünf Uhr morgens nehmen, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Schon gar nicht so kurz nach Silvester, obwohl das ja auch eher eine europäische Tradition war. In Südkorea und anderen asiatischen Ländern begann das neue Jahr zu einem anderen Zeitpunkt.
Ich unterdrückte ein Gähnen und beugte mich vor, um aus meinem Handgepäck meine Kopfhörer hervorzukramen. Bei meinem Glück waren sie wohl mal wieder nach ganz unten gerutscht.
Gestern hatte ich, nachdem ich mich so bald wie möglich von der Veröffentlichungsfeier verdrückt hatte, so gut wie den ganzen Tag mit Packen verbracht.
Der Rest der Feier und Mr Bang's Rede waren unspektakulär an mir vorbeigezogen, dass einzig nennenswerte war wohl, dass Taehyung und Jimin halb betrunken in den Turm aus Champagnergläsern gestolpert und ein gigantisches Chaos verursacht hatten. Passiert war beiden nichts, und statt sich aufgrund dieser Glanzleistung peinlich berührt zu fühlen, hatten sie vor Lachen auf dem Boden gerollt.
Bei dieser Erinnerung musste ich schmunzeln, was eindeutig ein Fortschritt war zum ständigen Nachgrübeln über Yoongi's und meinen... Fast-Kuss.
Oder was auch immer das gewesen war.
Nachdenklich wühlte ich mich weiter durch meinen Kram. Für ein halbes Jahr hatte sich bei mir erstaunlich wenig Zeugs angesammelt, den ich nicht mitnehmen konnte oder wollte und die letzten zwei Wochen hatte ich eh bereits angefangen auszumisten oder meinen hiesigen Freunden meinen Krempel anzudrehen.
Mein Handy hatte ich dabei die meiste Zeit ausgeschaltet gelassen.
Es war leichter so.
Bei jeder Nachricht hätte ich nur nachgeguckt, ob sie von ihm war und wäre mir hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht mehr zum Packen gekommen, weil meine gesamte Aufmerksamkeit dann dem Überlegen der perfekten Antwort gewidmet gewesen wäre.
Die ich am Ende vermutlich nichtmal abgeschickt hätte.
Weil ich ein Feigling bin. Und mir schon tausend Gründe überlegt hatte, warum es keinen Sinn hatte.
Das mit Yoongi und mir hätte nie hingehauen, da war ich mir sicher.
Meine Hände streiften etwas metallisch-kühles. Meine Kamera. Für einen Moment hielt ich inne.
Jahrelang war mein YouTube Kanal meine liebste Beschäftigung gewesen. Nicht nur eins von vielen Hobbies, nein, ich hatte Zeit und Schweiß hinein gesteckt und am Ende hatte es sich gelohnt. Die harte Arbeit hatte sich bezahlt gemacht.
In den letzten Wochen hatte ich nichtmal einen Gedanken daran verschwendet ein Video zu machen.
Meine Prioritäten hatten sich geändert. Klammheimlich. Ohne, dass ich es bemerkte.
Zögerlich umfasste ich das Gehäuse der Kamera und zog sie langsam aus meinem Rucksack.
Ich hatte noch eine Menge Zeit bis ich in das Flugzeug steigen würde, was vermutlich an meiner typisch deutschen Erziehung lag, Stunden vor Abflug am Flughafen aufzukreuzen, um ja nicht zu spät zu sein.
Ich positionierte die Kamera auf dem leeren Sitz neben mir und drückte den Aufnahmeknopf.
Wenn nicht jetzt, wann dann?
„Hallo... Lang nicht gesehen."
Ich schluckte und fuhr mir etwas nervös durch die Haare. Normalerweise überlegte ich mir immer im Voraus was ich ungefähr sagen wollte. Jetzt gerade war ich jedoch absolut planlos. Was vermutlich auch der Grund war, warum ich einfach los plapperte.
„Nun, wie ihr wisst, dieses Auslandssemester war nicht so leicht für mich. Studium, Praktikum. Ich hatte alle Hände voll zu tun. Das soll jedoch keine Entschuldigung oder Ausrede sein, dafür, dass ich immer seltener von mir hab hören lassen.
„Wie heißt es doch so schön? Leben ist das, was passiert während du andere Pläne schmiedest. Und das ist mir tatsächlich immer wieder dazwischen gefunkt. Das Leben.
„Ich weiß noch mit welchem Mindset ich hierher, nach Seoul gekommen bin. Ich war irgendwie verklemmt, unsicher, nicht gerade so weltoffen wie ich es gerne gewesen wäre und... unerfahren. Aber wie soll man Erfahrungen machen, wenn man zuvor an einem Ort festgesteckt hat, der einem nicht beim Wachsen hilft? Beim Weiterentwickeln?
„Tatsächlich denke ich, dass ich mich im Laufe dieses halben Jahres ziemlich verändert habe. Ich habe einen neuen Teil der Welt für mich erschlossen, neue Dinge gesehen und erlebt. Neue Menschen kennen und lieben gelernt-"
Ich stockte, als Yoongi's Gesicht in meinen Gedanken auftauchte, gerade als ich den letzten Satz aussprach. Mein Herz schien sich nicht entscheiden zu können, ob es schneller schlagen oder sich verkrampfen wollte. War beides gleichzeitig möglich?
„Und ja, ich gebe zu, das alles hat mich zu einem komplett neuen Menschen geformt. Naja, vielleicht nicht komplett komplett, aber ich habe auf jeden Fall neue Seiten an mir entdeckt. Gute, sowie schlechte. Trotzdem kann ich nur jedem, der darüber nachdenkt ein Auslandsjahr zu machen, meine ehrliche Empfehlung dazu aussprechen.
„Es kommt vielleicht nicht alles so, wie du es dir erhoffst, aber das muss es nicht. Denn das, was dann wirklich passiert ist so viel besser. Ihr glaubt mir nicht, was für verrückte Sachen ich erlebt hab. Diese Erfahrungen werden Erinnerungen sein, die ich für immer in meinem Herzen bewahren werde. Mein eigener, persönlicher Schatz."
Das war wahr.
Wie könnte ich nur eine Sekunde meines Praktikums vergessen? Wo mein Bauch sich doch jetzt noch vor Nervosität und Vorfreude zusammenkrampfte, wenn ich daran zurückdachte?
Aber das war jetzt vorbei. Als ich diese Tatsache wirklich realisierte, brach mein Herz ein wenig- aber gleichzeitig oder vielleicht gerade deswegen schaffte ich es, meinen Frieden damit zu machen.
Ich würde die Jungs nie Wiedersehen. Nicht richtig. Es würde nie wieder sein, wie noch vor wenigen Tagen.
Aber das war okay. Die Zeit, die ich mit ihnen verbracht hatte, war vielleicht keine Ewigkeit, aber sie war genug. Um nichts in der Welt würde ich das Geschehene auf irgendeine Art ändern wollen. Die Erinnerungen machten mich glücklich.
Rasch wischte ich eine einzelne Träne von meiner Wange, die sich unauffällig aus meinem linken Augenwinkel gestohlen hatte.
Ich bereute kaum etwas. Trotzdem fragte ich mich, wie manche Situationen wohl ausgegangen wären, hätte ich anders reagiert. Ein gewisses Bedauern breitete sich in meinem Bauch aus, bevor ich es verhindern konnte.
Wäre ich nur anders mit Yoongi auseinander gegangen.
Ich hatte mir noch nie ernsthaft gewünscht die Zeit zurückdrehen zu können, weil alles, was geschah wahrscheinlich einfach geschehen musste. Doch könnte ich nur einmal in die Vergangenheit springen...
Hätte ich tatsächlich noch einmal die Möglichkeit Yoongi's Hände in meinem Nacken, seine Augen auf mir, seine Lippen Millimeter von meinen entfernt zu spüren- natürlich würde ich dieses Mal keine Sekunde zögern ihn zu küssen.
Und wäre es auch nur für einen kurzen Augenblick. Für die Dauer eines Wimpernschlags.
Bevor ich noch anfing richtig zu flennen, lächelte ich wieder tapfer in die Kamera und überwand mich die letzten Sätze auszusprechen.
„Ein letzter Ratschlag für den Weg- lebt im Moment und tut Dinge einfach, auch wenn ihr euch nicht immer hundertprozentig sicher seid, ob es das richtige ist. Damit ist alles gesagt. Das war es dann also...
Mein Praktikum bei BigHit."
-Fin-
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Taxi thief -yoongi x oc
Fanfiction»Die Tür flog auf und ein junger Mann rauschte ins Zimmer. Er sagte kein Wort, keine Begrüßung, nichts. Das kann doch nicht sein, ist das etwa...? „Yoongi!", rief Namjoon. „Suga.", seufzte Bang PD. „Der Taxi-Dieb.", zischte ich.« So hatte sich Val...