2. Kälte der Nacht

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„Ich meine, ist das zu fassen?! Wieso genau ich? Wieso? Ich meine klar, ich bin die einzige Autorin hier, aber, aber wieso? Wieso tut mir Mr. Harper so etwas an?", schimpfte ich aufgebracht, während ich eine Schüssel hinter meiner besten Freundin in die Küche brachte. Sobald ich mit der Arbeit fertig war, bin ich so schnell wie möglich zu ihr geflüchtet. Einerseits weil sie mich zum Abendessen eingeladen hatte, andererseits weil ich immer noch sehr sauer war und ich jemanden davon erzählen musste.

Nun stellte ich die Schüssel neben das Waschbecken ab und lehnte mich an die Küchentheke. „Schätzchen, vielleicht lässt du dich einfach mal darauf ein. So schlimm hört sich das gar nicht an und ausserdem habe ich ihn gesehen, er ist echt heiss."
Empört sah ich der jungen Frau mit den schwarzen Haaren nach. Diese hatte sie in einen unordentlichere Dutt hoch gebunden. Ein paar Locken lagen ihr über den Schultern. Trotz der unordentlichen Frisur und den Hängerklamotten, die sie trug, war sie attraktiv. „Na und? Es ist trotzdem unfair!", widersprach ich Liora. Liora war meine beste Freundin seit ich denken konnte. Sie war immer für mich da und meistens hörte ich auch auf ihren Rat, doch auf diesen würde ich garantiert nicht hören.

Durch die geöffnete Tür zwischen Küche und Wohnzimmer, sah ich wie Liora gerade zwei Gläser in die Hand nahm, die zuvor auf dem Esstisch standen. Nun drehte sie sich zu mir um und blieb kurz stehen. „Lyra, dass ist die eine Chance. Die Chance einen heissen Typen abzukriegen und berühmt zu werden." Energisch schüttelte ich den Kopf. „Ich will das alles doch gar nicht, ich will einfach nur ein normales Leben.", erwiderte ich immer noch aufgebracht, „Ausserdem will ich einen Mann mit Charakter, nicht einen Mann der nur gut aussieht." Liora war immer darauf aus den heissesten Typen flachzulegen. Ich war da anders. Ich suchte immer nach einem Mann mit Charakter. Ein Mann, der mir meine Wünsche von den Augen ablas und immer für mich da war. Die Frage war nur, ob es sowas überhaupt gab. Bisher wurde ich nur abgewiesen. Manchmal hatte ich schon fast das Gefühl, dass ein Fluch auf mir lag. Ich meine, ich war bereits 22 Jahre alt und niemand von diesem Gott verdammten Dorf wollte Kontakt mit mir. Es waren zwar nicht viele Leute hier, doch jemanden musste es doch geben, nicht wahr?

Meine beste Freundin schüttelte bloss verständnislos ihren Kopf und brachte die Gläser ebenfalls in die Küche, ehe sie wieder zu mir zurückkam. „Lyra, du hast keine andere Wahl als dich darauf einzulassen. Versuchs doch wenigstens einmal. Ausserdem, du weisst doch gar nicht wie dieser Lucifer ist. Vielleicht ist er ja ganz nett und entspricht deinen Erwartungen", meinte Liora nun ruhiger.

Sie hatte recht. Ich hatte keine andere Wahl, doch ich bezweifelte, dass er meinen Erwartungen entsprach. Vielleicht war es aber auch nur mein Wunsch, dass er nicht der war den ich suchte, damit ich mir keine Hoffnungen machte. Nein, nein, nein. Ich wollte das wenn schon weil ich dann einen Grund hatte ihn zu hassen und somit gegen dieses Buch zu sein, dass ich schreiben musste. Wortlos und wiederwillig nickte ich. „Du hast ja recht."

Mein Gegenüber grinste zufrieden, worauf ich ebenfalls leicht grinsen musste. Ich war so froh Liora als beste Freundin zu haben. Nicht nur weil man sie garantiert nicht als Feindin haben wollte, sie war auch immer da wenn man sie brauchte.

„Ich denke du musst langsam gehen Lyra. Es ist schon 22 Uhr und morgen solltest du besser nicht zu spät kommen," meinte die Schwarzhaarige vor mir schliesslich und lief zu ihrer Haustür, um sie mir aufzuhalten.
„Haha.", murmelte ich sarkastisch, aber auch da hatte sie recht. Wenn ich zu spät kommen würde, würde das dezent peinlich werden, besonders nach meiner Aussage. Wenn ich zu spät kommen sollte, hatte er jede menge Material um mich zu verspotten. Diese Blösse wollte ich mir nicht geben.

„Danke, dass ich kommen durfte Liora. Bis dann.", verabschiedete ich mich seufzend von ihr. Wieso musste dieser Abend so schnell vorbei gehen? Das war nicht fair.
Nach einer kurzen Umarmung wurde ich sanft aus Lioras Wohnung gestossen. „Nun geh schon!", meinte meine Freundin lachend, da sie vermutlich bemerkte das ich die Umarmung versuchte in die Länge zu ziehen. Wenn ich bald schlafen gehen würde, würde der morgige Tag schneller anbrechen, zumindest für mich. Ich wollte nicht das der morgige Tag eintraf.

Liora zwinkerte mir kurz zu, ehe sie die Tür vor meiner Nase schloss. Ein leises Klicken ertönte, die Tür wurde abgeschlossen. Eine Weile starrte ich die geschlossene Tür vor mir noch an. Sie war aus einem dunklen Holz. In dem Holz waren ein paar Kratzer. Schon oft fragte ich Liora wieso die da waren, doch sie lenkte dann immer vom Thema ab. Einiges war merkwürdig und einiges wollte sie offensichtlich nicht preisgeben, doch das war egal. Sie war die einzige Person die ich hatte.

Seufzend und lustlos sprang ich schliesslich die Treppen hinunter. Um die Zeit bis ich Zuhause sein würde noch weiter herauszuzögern, zählte ich jede einzelne Treppenstufe und erfand dazu ein Springmuster. Leise murmelte ich vor mich hin: „Eins, nach rechts. Zwei, nach links. Drei in die Mitte. Vier nach rechts. Fünf, nach links," bis ich schliesslich die letzte Treppenstufe hinter mir hatte. Es waren genau 32 Treppenstufen. Oder waren es 31? Kurz überlegte ich nochmals hochzurennen, um genau nachzuzählen. Doch da das Ganze bloss eine billige Ausrede wäre, um nicht nach Hause gehen zu müssen, liess ich es lieber. Es brachte mir sowieso nichts, der morgige Tag würde so oder so eintreffen.

Schwerfällig zog ich also die Tür vor mir auf und trat in die kalte Nachtluft. Da ich nicht mehr als eine kurze Hose, ein T-Shirt und Turnschuhe trug, war es nur noch kälter. Ich schlang meine Arme um meinen Körper. Fröstelnd sah ich nach oben, wo dicke, dunkle Wolken hingen und den Mond verschluckten. Das hiess nichts Gutes. Ich hatte keinen Regenschutz dabei, ich war zu Fuss hier und meine Wohnung lag am anderen Ende des Dorfes. Es war nicht gross, aber so kurz war der Weg nun auch nicht. Ich wusste selbst nicht weshalb ich damals nicht zu Liora hoch gerannt war und nach einem Schirm gefragt habe.
So schnell ich konnte hastete ich los, meine Arme immer noch um meinem Körper geschlungen.

Wie ich befürchtet hatte, begann es schon bald zu regnen. Am Anfang waren es kleine Regentropfen die auf meine roten Haare niederprasselten, doch mit der Zeit begann es immer heftiger zu regnen. Ich spürte wie meine Schuhe die Nässe hindurch liessen. Meine Kleidung klebte an meinem Körper und meine Haare tropften.
Meine Augen verengten sich zu Schlitzen, damit die eisigen, schweren Tropfen nicht hinein gelangen konnten. Nur schummrig sah ich wohin ich lief, das schwache Licht der Laternen schien von dichtem Nebel verschluckt zu werden.
Ich musste mein Tempo drosseln, da ich Angst hatte irgendwo hineinzulaufen.

In der Ferne erkannte ich einen Umriss eines Gebäudes, eines grossen Gebäudes. In diesem Moment wusste ich nicht ob ich das gut finden sollte oder nicht. Einerseits würde ich an meinem Arbeitsplatz Schutz finden, doch andererseits bedeutete es, dass ich gerade mal erst die Hälfte des Weges hinter mir hatte. Ich war bereits komplett durchnässt. Sollte ich bei dem Gebäude anhalten, oder sollte ich weiter gehen?

Was soll's, ich war so oder so bereits von Kopf bis Fuss nass und vermutlich würde ich morgen sowieso krank werden. Ein paar Meter mehr oder weniger würde auch nichts mehr daran ändern. Im schlimmsten Fall könnte ich bei Leuten anklopfen und nach einer kurzen Unterkunft fragen. Schliesslich kannte man sich in diesem kleinen Dorf.

Trotz meinen Gedanken lief ich unschlüssig an dem grossen Gebäude vorbei, das in der Nacht irgendwie bedrohlich wirkte. Im nächsten Moment ging alles schnell. Ein ungünstig gesetzter Schritt und ich knickte ein. Gerade noch so konnte ich mein Gesicht damit schützen, in dem ich meine Hände zuvor aufprallen liess.

Ein Schmerz durchzuckten meine Hände und meine Knie und im selben Moment begannen sie zu brennen. Der Regen trommelte weiterhin rücksichtslos auf meinen Rücken. Eigentlich wollte ich aufstehen und schnellstmöglich weitergehen, doch die Kraft verliess mich. Ich konnte nicht mehr. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus und immer wieder lief mir ein Schauer über den Rücken. Wieso mussten solche Sachen immer mir passieren? Was machte ich bloss falsch?

„Kann ich ihnen helfen, Miss Scott?" Mein Blick fiel auf zwei schwarze, edle Schuhe, auf denen die einzelnen Wassertropfen zu sehen waren. Ohne dass ich nach oben sehen musste, wusste ich wer vor mir stand. Niemand sonst besass eine so anziehende und doch gefährliche Stimme. Und so sehr ich mich gegen das Gefühl, das sich in mir breit machte, sträubte, konnte ich es nicht verleugnen. Ich war froh...

Unknown Love *Pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt