7. Fast die ganze Wahrheit

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Am nächsten Morgen (oder besser Mittag) dankte ich meinem betrunkenen Ich, dass ich nachts noch einen halben Liter Elektrolyte getrunken hatte, bevor ich ins Bett gegangen war. Ohne die würde es mir jetzt vermutlich nicht so gut gehen, denn eigentlich hatte ich kaum einen Kater. Gegen die Kopfschmerzen nahm ich eine Kopfschmerztablette und gegen die Müdigkeit gab es eine kalte Dusche.
Meld dich, wenn du wach bist :) hatte ich eine Nachricht von meiner besten Freundin auf meinem Handy.
Während ich aus meiner Zimmertür trat, um mir einen großen, schwarzen Kaffee an der Bar zu holen, wählte ich Marys Nummer. Die ging jedoch nicht an ihr Telefon.
Mit Kaffee in der Hand ging ich wieder zu den Fahrstühlen, wo ich Ashton traf.
„Guten Morgen", begrüßte ich ihn und schielte auf die vier Kaffeebecher in seiner Hand, „hast du Kaffee-Dienst?"
„Uff, wie kannst du denn so fit sein?", lachte er und ließ seinen Blick dabei über mich wandern, da ich selbstverständlich schon frisiert und geschminkt war.
Ich verriet ihm mein Geheimnis.
„Der Abend gestern war lustig", meinte Ash.
Der Fahrstuhl war aktuell in der 15. Etage und würde etwas brauchen, bis er bei uns in der Lobby war.
„Ja", stimmte ich zu, „fand ich auch."
„Hat man gemerkt! Luke und du wart ganz schön... vertraut..."
„Oh man", sagte ich, als mir wieder einfiel, dass wir halb kuschelnd auf dem Sofa gelegen hatte, „ich war wohl ganz schön betrunken."
„Und heute Abend gehts schon wieder weiter!"
Stimmt, das hatte ich schon fast vergessen! Heute Abend war die offizielle Abschlussparty für alle - sowohl Mitarbeitende als auch Künstler und Künstlerinnen.
„Urgh, das hatte ich schon fast vergessen", verzog ich mein Gesicht zu einer Grimasse.
Gemeinsam stiegen Ash und ich in den Fahrstuhl, der mittlerweile endlich im Erdgeschoss angekommen war.
„Hey, kommst du mit Mary nachher mit zum Riesenrad?", fragte er mich beim Aussteigen und ich nickte zustimmend.
Bevor der Fahrstuhl sich wieder zwischen uns schloss, rief ich ihm noch zu, dass Luke mir die Uhrzeit schicken sollte.

Pünktlich zur vereinbarten Uhrzeit trafen Mary und ich uns mit 5SOS auf dem Festivalgelände kurz vor dem Riesenrad. Da die 4 noch einige Zeit im Hotel verbracht hatten, waren Mary und ich schon einmal vor zum Gelände gegangen, damit wir noch mit ein paar Künstlern sprechen konnten.
Mit allen anderen Besuchers des Festivals stellten wir uns in die Schlange, um einige Runden mit dem Riesenrad drehen und dabei die Aussicht genießen zu können. Heute sah ich wirklich etwas davon, gestern galt meine Aufmerksamkeit nämlich weniger dem Gelände unter mir als viel mehr dem Mann vor mir.
Gemeinsam stiegen wir alle in eine Gondel und warteten darauf, dass der Securitymann die Tür hinter uns schloss, als dieser Luke und mich breit angrinste.
„Aber heute nicht so viel rumknutschen, ja?", lachte er laut auf, bevor er die Gondel schloss.
Ich war in dem Moment so perplex und überrascht von der Situation, dass ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte. Unangenehm genug, dass der Security uns wiedererkannt hatte, aber jetzt wussten auch alle unsere Freunde, dass wir uns geküsst hatten.
„Ihr habt euch geküsst?", riefen alle durcheinander.
„Aufgegessen haben sie sich", schaltete der Security sich wieder ein, dem Luke und ich simultan einen vernichteten Blick zuwarfen, sodass er still blieb und das Riesenrad wieder in Gang setzte.
„Spucks schon aus", stupste Mary mich an. Auch Michael, Ashton und Calum wollten mehr wissen.
Unsicher warf ich Luke einen Blick zu, der mir mit einem leichten Nicken das OK gab.
„Ja, Luke und ich haben uns geküsst. Nichts Weltbewegendes. Ich wusste nicht, dass er ne Freundin hat."
„Und du?", stellte Michael Luke die entscheidende Frage.
Luke schwieg, was für seine Freunde Antwort genug war.
„Und jetzt?", fragte Michael weiter.
„Was, und jetzt?", sagte ich, „nichts und jetzt. Das bleibt hier zwischen uns. Was auf dem Riesenrad passiert, bleibt auf dem Riesenrad."
„Was Dee sagt", nickte Luke.
„Dee, Mary, könnt ihr euch mal bitte kurz die Ohren zuhalten und euren Lieblingssong singen oder so?", bat Ashton uns, „ich muss mit Luke sprechen."
Natürlich hielten Mary und ich uns nicht richtig die Ohren zu, weil wir lauschen wollten, was die Jungs miteinander besprachen.
„Alter, was stimmt nicht mit dir?", herrschte Ashton ihn an, „und jetzt willst du Sierra auch noch anlügen?"
„Ich kann ihr das nicht sagen! Du weißt ganz genau, weshalb", antwortete Luke ihm, was ich nicht ganz verstand.
„Genau deswegen will ich von dir wissen, ob du dir sicher bist. Dude, ihr lagt gestern Arm in Arm kuschelnd auf Michaels Sofa, also krieg dein Leben auf die Reihe."
Ich sah Lukes geknicktes Gesicht und Ashtons Geste, dass wir die Hände wieder von den Ohren nehmen durften, was ich augenblicklich tat.
„Alles gut?", fragte ich mit einem Blick auf alle.
„Ja", lächelte Ashton mich mit einem künstlichen Lächeln an.
„Gut, dann können wir das als Ausrutscher und einmalige Sache verbuchen und so tun, als wäre nichts gewesen?"
Alle nickten auf meine Frage hin.
Eine angespannte Stille legte sich über uns alle, in der keiner so genau wusste, was er als Nächstes sagen sollte.
„Guckt mal", rief Mary da, „da unten macht gerade jemand einen Antrag!"
Alle versuchten wir uns auf unseren Plätzen so weit zu drehen, dass wir das Pärchen sehen konnten, das sich gerade verlobte. Nur Luke schien kein Interesse an dem Spektakel auf dem Boden zu haben.
„Du bist schon verheiratet, Michael, oder?", nahm ich das Gruppengespräch wieder auf.
Michael erzählte uns von seiner Hochzeit vor ein paar Jahren und zeigte uns Bilder.
Die anderen standen als Grooms Men natürlich an seiner Seite, als er sich das Ja-Wort gab mit Crystal.
„Wie kann ein Mensch denn bitte so gut aussehen?", schüttelte ich verzweifelt den Kopf bei Crystals perfekter Erscheinung.
„Ach komm, als ob du hässlich wärst", entgegnete mir Calum.
„Ich weiß, dass ich nicht hässlich bin", räumte ich ein, „aber zwischen gut aussehen und perfekt aussehen, liegt ein riiiiesiger Unterschied."
„Warten wir ab, bis du mal heiratest und ein Brautkleid trägst", versuchte Michael die Situation zu entschärfen.
Luke warf mir dabei einen Blick zu, den ich nicht ganz deuten konnte. In dem Moment kamen wir wieder unten an und der Securitymann öffnete uns die Tür zum Aussteigen, sodass ich Luke nicht darauf ansprach. Stattdessen gingen wir alle gemeinsam in den Backstagebereich, in dem wir uns trennten, da Mary und ich ein wenig networken wollten (und mussten). 5SOS hingegen bestellten sich bereits wieder ihr erstes Bier.
Für die große Party, die hier heute Abend stattfinden sollte, musste noch umgebaut werden, weshalb wir alle am frühen Abend rausgeschmissen wurden und uns auf den Rückweg ins Hotel machten.

Im Hotel angekommen, sprangen Mary und ich schnell unter die Dusche, bevor wir uns in meinem Zimmer trafen, um uns gemeinsam zu schminken und dabei zu unterhalten.
„So, Girl, willst du mir jetzt verraten, warum ich nichts von diesem Kuss wusste?", kam Mary direkt auf den Punkt, kaum dass sie auf meinem Bett saß.
„Ich hab Luke versprochen, dass ich es niemandem sage", erklärte ich ihr ehrlich.
„Hast du ihn geküsst oder er dich?"
„Er mich", sagte ich, „und gestern Abend noch mal."
„WAS?", rief Mary laut.
„Als du gestern Abend gegangen bist, bin ich kurz rauf auf den Balkon, um frische Luft zu schnappen. Und Luke kam halt hinterher und wir haben uns unterhalten und er hat mich dabei in den Arm genommen und keine Ahnung... irgendwie war dann da diese Spannung zwischen uns und wir haben uns halt einfach angeguckt und er hat mich geküsst."
„Girl, what? Ich dachte, er hat ne Freundin!"
„I don't know", stöhnte ich auf, „also ja, er hat ne Freundin. Aber alles andere: I don't know!"
„Hast du gehört, was Ashton vorhin zu ihm gesagt hat?", fragte meine beste Freundin mich mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht. Mir war klar gewesen, dass sie sich genauso wenig die Ohren zugehalten hatte wie ich, weshalb ich nickte.
„Und was sagst du dazu, dass er es seiner Freundin nicht erzählen will?"
„Keine Ahnung", schüttelte ich den Kopf, „würdest du es Nico erzählen, wenn du zweimal einen anderen Kerl küsst? Und ich meine das auf dem Riesenrad, das war nicht nur ein kurzer Kuss, wir haben da fast 10 Minuten rumgeknutscht."
„Wenn ich 10 Minuten mit nem fremden Kerl rummache", sagte Mary, „würde ich überlegen, was falsch läuft in meiner Beziehung und Schluss machen."
„Hörte sich nicht so an, als würde er das tun", stellte ich resigniert fest.
„Tut mir leid, Süße."
Ich zuckte mit den Schultern. Was hatte ich auch erwartet? Dass wir uns wiedersehen und er sich augenblicklich unsterblich in mich verliebt, mit seiner Freundin Schluss macht und wir bis an unser Lebensende glücklich miteinander bleiben? Ich musste mir eingestehen, dass es so wohl nicht laufen würde, weil Luke eine Freundin hatte.
Aus einer Trotzreaktion heraus griff ich für heute Abend zu den High Heels und dem Kleid, das für ein Arbeitskleid eigentlich zu kurz war. Mit einigen Klammern steckte Mary mit meine Haare hoch, selbst trug sie ihre in weichen Locken offen.
Perfekt gestylt verließen wir das Hotel zur Aftershow-Party.

Alte Liebe rostet nicht | 5SOSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt