13. Kapitel

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Es klingelte.
Nein! Ich war noch nicht soweit! Nervös warf ich einen letzten Blick auf mein Spiegelbild und rannte dann nach unten, um vor meiner Mum an der Tür zu sein. Ich war mir nicht sicher, was sie von Lev halten würde. Oder davon, dass ich auf ein Date ging.
Ich schaffte es, die Tür vor ihr zu erreichen und riss sie vielleicht ein wenig zu überstürzt auf. Bei Levs Anblick musste ich erstmal schwer schlucken. Er sah so gut aus wie immer. Und der sollte wirklich noch nie ein Mädchen gehabt haben? Wirklich schwer vorstellbar.
,,Hey'', ertönte seine raue Stimme und ich begegnete seinen einzigartigen Augen, die mich erneut fesselnden. Für einen Moment stand ich einfach wie erstarrt im Türrahmen und starrte ihn nur an, bis mich das Geräusch von Schritten hinter mir aus meiner peinlichen Starre riss. Eilig trat ich zu ihm nach draußen und knallte die Tür hinter mir zu.
Lev zog eine Augenbraue hoch.
,,Hey, lass uns los.'', meinte ich nur und wollte schon losgehen, als die Tür auch schon hinter mir aufging. Zu spät.
,,Wo willst du denn hin, Jallyne, und wer ist dieser junge Mann?'' Ihre Stimme klang unfreundlich und sie musterte Lev mit einem kalten Blick. Dann verengten sich ihre Augen und ihre Züge nahmen einen harten, geradezu verbissenen Ausdruck an.
Verwirrt sah ich Mum an. Diesen Ausdruck hatte ich bei ihr noch nie gesehen.
Als ich zu Lev blickte, erkannte ich einen ähnlich distanzierten Ausdruck auf seinem Gesicht. Die beiden starrten sich nahezu berechnend an. Hatte ich irgendetwas verpasst? Kannten sie sich?
,,Ähm'', räusperte ich mich. ,,Mum, das ist Lev.''
,,Aha, Lev.'' Sie betonte seinen Namen so komisch. Fast höhnisch. Das kannte ich gar nicht von ihr. Was war nur mit ihr los?
,,Ja, Lev, Mum.'', meinte ich verwirrt, aber fest. ,,Er holt mich ab. Wir gehen aus.''
Ihre Augen, die Lev unablässig fixierten, verfinsterten sich. ,,Nein.''
,,Wie ,Nein', Mum?'' Langsam wurde ich gereizt. Was sollte das?
,,Du wirst mit diesem Jungen nicht ausgehen!'', verlangte sie kalt.
,,Was?'', entfuhr es mir aufgebracht. Aus dem Augenwinkel sah ich wie Levs Hände sich zu Fäusten ballten. ,,Ich bin siebzehn Mum und kein Kind mehr, dem du vorschreiben kannst, mit wem es was zu tun haben darf. Ich kann meine eigenen Entscheidungen treffen!''
,,Nein.'', erwiderte Mum und zum ersten Mal richtete sie ihre Augen von Lev auf mich. Die Unnachgiebigkeit in ihnen machte mich wütend. So würde ich mich nicht behandeln lassen, vor allem nicht vor Lev!
,,Doch, Mum. Wir gehen jetzt.'' Damit schnappte ich mir Levs Hand, ignorierte den Stromschlag, der mich dabei prickelnd durchfuhr, und zog ihn hinter mir her auf die Straße.
Vor unserer Einfahrt stand der schwarze Range Rover von letztens, in den wir nun schweigend einstiegen. Lev startete still den Wagen.
Vorsichtig schaute ich zu ihm rüber, während er das Auto aus unserer Siedlung lenkte. ,,Sorry wegen meiner Mum.'', sagte ich leise in die Stille hinein. ,,So ist sie sonst eigentlich nicht.'' Ich überlegte, ihm von der schweren Zeit zu berichten, die wir gerade durchmachten und die sich wohl auf ihr Gemüt ausgewirkt hatte, ließ es dann aber bleiben.
,,Kein Problem'', meinte Lev, doch an seinen Händen, die den Griff ums Lenkrad verstärkten, erkannte ich, dass es sehr wohl ein Problem war.
,,Nein, ehrlich -‚'', setzte ich also wieder an, doch Lev unterbrach mich. ,,Ich sagte doch, ist schon gut, Jallyne. Du musst dich oder sie nicht rechtfertigen.''
,,Aber -‚''
,,Vergessen wir es einfach.''
Ich gab nach und hielt meinen Mund. Das würde ich Mum übelnehmen. Ihr Verhalten war nicht nur peinlich für mich gewesen, sondern absolut unterirdisch. Unhöflich kam dem nämlich nichtmal annähernd nah.
Mein Blick glitt aus dem Fenster und ich beobachtete die Natur, die an uns vorbei zog. Wir ließen die Stadt immer weiter hinter uns.
,,Wohin fahren wir?'', fragte ich, als Lev in den Wald abbog und wir uns den Bergen immer weiter nährten.
,,Zu einem Ort, der dir gefallen wird. Valdez ist bekannt dafür.'' Mehr verriet er nicht.

Äste brachen unter unseren Schuhen, während Lev mich querfeldein durch den Wald führte. Ich erinnerte mich an Daynas Warnung, nicht in den Wald zu gehen und vor allem nicht ins Gebirge, konnte aber nichts verdächtiges oder gar gefährliches ausmachen. Außerdem fühlte ich mich bei Lev ausgesprochen sicher. Sollte es aber darauf ankommen, hielten seine Muskeln hoffentlich, was sie versprachen.
Wir verließen den Wald und überquerten grüne Wiesen.
,,Hier'' Lev trat zur Seite und offenbarte mir den Blick auf einen von Felsbrocken umgebenen See. Ich wollte fasziniert stehen bleiben, doch Lev zog mich weiter näher auf den See zu, bis zu einer Stelle mit einer Bank neben der ein Schild mit der Aufschrift Glacier View Park stand.
Ich trat dicht an den Rand des Sees und betrachtete die Aussicht, die sich mir bot. Um den See herum waren immer wieder vereinzelt Eisüberzüge zu finden und mit dem klaren Himmel und den Bergen, die ihn umgaben, ließ sich ein märchenhafter Anblick einfangen.
,,Der Valdez Glacier Lake. Vor allem im Winter, wenn er von Eis überzogen ist und die Berge richtigen Gletschern ähneln, ein Anblick, der es wert ist herzukommen.'', informierte mich Lev und trat zu mir.
,,Kann ich mir vorstellen'', murmelte ich und schaute weiter auf das Wasser.
,,Ich nehme dich im Winter nochmal hier hin mit. Bei strahlendem Sonnenschein ist er dann noch schöner.''
Ich drehte mich zu ihm. ,,Versuchst du mich gerade auf ein weiteres Date einzuladen?''
,,Würdest du denn zu stimmen?'', stellte er eine Gegenfrage und brachte mich damit zum Lächeln. ,,Kommt ganz drauf an.''
,,Worauf?'', hakte Lev gespannt nach.
,,Wie der Tag heute verläuft.''
Lev hob eine Augenbraue hoch. ,,Du meinst, nachdem deine Mutter uns den Start schon so schön versaut hat?''
Ich schloss peinlich berührt die Augen. Das war echt unangenehm. ,,Hast du nicht gesagt, wir vergessen das?''
Lev lachte.
,,Kann man in dem See schwimmen?'', erkundigte ich mich und wechselte gekonnt das Thema.
,,Wenn du erfrieren willst, klar.''
,,Oh'' Ein wenig enttäuscht war ich schon darüber.
,,Wir sind hier in Alaska, Jally. Und dann auch noch in den Bergen.'', machte mich Lev darauf aufmerksam, dass ich das eigentlich hätte wissen müssen.
,,Jally?'', wiederholte ich kritisch und sah ihn mit gehobenen Augenbrauen an.
Er zuckte mit den Schultern. ,,Ich probiere mich noch aus.''
Dummerweise musste ich ausgerechnet jetzt zweideutig denken. Verdammt. Meine Wangen färbten sich rot und ich konnte es nichtmal auf die Kälte schieben, da mir in seiner Nähe unerklärlich heiß war.
Lev bemerkte meine Reaktion und konnte sich anscheinend denken, was mir peinlicherweise im Kopf vorging.
Ein leises, sehr raues Lachen entfuhr ihm und er kam ein wenig näher. Seine Augenbraue war spielerisch gehoben und um seine Mundwinkel lag ein verschmitzter Zug. ,,Aber, aber, Jallyne. Woran hast du denn gerade gedacht?'' Er beugte sich ein wenig zu mir herunter. Sein hübsches Gesicht schwebte direkt vor meinem, während seine warmen Finger meinen Kopf wieder zu sich drehten, den ich peinlich berührt abgewandt hatte. ,,Das muss dir doch nicht peinlich sein. Ich habe auch sehr oft unzüchtige Gedanken über dich. Möchtest du sie hören?''
Knallrot schloss ich die Augen, um der unheimlich starken Intensität der seinen entfliehen zu können. ,,Ich..Ähm, nein.'', stotterte ich zittrig hauchend. Oh Gott.
Katy hatte mich doch verarschen wollen, als sie meinte, dass dieser Typ noch nie körperliche Erfahrung gesammelt hatte!
,,Hm.'', raunte er und hätte ich die Augen offen gehabt, hätte ich den hellblauen Schleier sehen können, der sich auch wieder über sein grünes Auge gelegt hatte. So bekam ich davon aber nichts mit. ,,Ich verrate dir trotzdem einen. Gerade jetzt zum Beispiel würde ich dich wirklich gerne einfach packen, über die Schulter werfen und in eine der Höhlen hier verschleppen.'' Sein heißer Atem prallte gegen meine Lippen. Er musste mir mit jedem Wort ein klitzekleines bisschen näher gekommen sein. Ein hitziger Schauer brachte meinen Körper zum Zittern. Eine unbekannte Sehnsucht erfüllte mich plötzlich und ich fühlte mich seltsam benebelt.
Lev lachte wieder leise und rau. ,,Was? Gar keine Widerworte?''
,,Ich..'', war das einzige, was ich schwach keuchend herausbrachte.
Sein Arm schlang sich um meinen Körper und drückte mich an ihn. ,,Was soll mich denn dann davon abhalten, genau das jetzt und hier in die Tat umzusetzen?'' Plötzlich spürte ich seine Lippen an meinem Ohr. ,,Oder willst du das vielleicht sogar?''
,,Ich...- Nein!'' Endlich gelang es mir wieder zurück zu mir selbst zu finden. Immer noch knallrot schubste ich ihn von mir weg. Lev ließ es geschehen. ,,Verdammt, Lev! Was soll das?'', fuhr ich ihn an, um die Schwäche, die er bei mir ausgelöst hatte, zu überspielen.
Lev grinste nur schief und vergrub die Hände in den Hosentaschen. ,,Was denn?'' Er legte den Kopf leicht schief. ,,Angst, dass ich dich auffresse?''
,,Was? Du - ich - ach, verdammt!'' Schnaufend drehte ich ihm den Rücken zu. Der Kerl war doch echt unmöglich.
Wieder erklang dieses raue Lachen hinter mir, was mich innerlich ganz verrückt machte.
,,Hast du Hunger?'', erkundigte Lev sich zum Glück und zog mich nicht weiter auf.
,,Wir haben doch gar nichts mitgenommen.'', meinte ich und drehte mich zu ihm um. Spöttisch sah ich ihn an. ,,Oder willst du jetzt ganz Steinzeitmäßig in den See steigen und den Fisch selber erlegen?''
Lev grinste wieder so umwerfend. ,,Wenn dir das lieber wäre und du mir so schneller verfällst, könnte ich das natürlich auch machen, aber eigentlich dachte ich eher hier ran.'' Er holte hinter einem Busch einen mit einem Tuch bedeckten Korb hervor und hielt ihn hoch.
,,Oh'' meinte ich überrascht. ,,Du bist vorbereitet.''
,,Natürlich.'' Lev schaute auf den Korb. ,,Also, ich habe Sandwiches, Oma Magrets Apfelkuchen und Obst im Angebot, aber der frische Fisch ließe sich natürlich auch organisieren.'' Bei letzterem sah er wieder zu mir und klang tatsächlich ernst dabei.
,,Nein, nein, ist schon gut.'', wank ich schnell ab und lächelte schüchtern. ,,Hört sich toll an.''
Lev wies auf die Sitzgelegenheit und ich half ihm dabei den Korb auf den groben Holztisch auszuräumen. Jedesmal, wenn unsere Hände sich dabei streiften, durchfuhren mich kleine, angenehm prickelnde Stromstöße. Ich spürte dabei immer wieder seinen Blick auf mir, mied den Augenkontakt aber konsequent.
Wir setzten uns gegenüber auf die beiden Holzbänke.
Ich nahm mir ein Stück des Apfelkuchens, von dem ich noch sehr gut in Erinnerung hatte, wie lecker der schmeckte.
Lev tat es mir gleich.
,,Das ist mein erstes Date.'', sagte Lev plötzlich und ich schaute von meinem Kuchen auf. Unsere Blicke trafen aufeinander.
,,Meins auch.'', meinte ich und konnte erkennen, wie in seinen Augen Erleichterung aufblitzte. Seine Haltung schien sich zu entspannen. ,,Dann hattest du noch nie einen Freund?''
Ich schüttelte den Kopf.
,,Gut'', meinte er schlicht und ich zog eine Augenbraue hoch. ,,Gut?''
Lev nickte ernst und ich musste schmunzeln.
,,Als was arbeitest du eigentlich?'', fiel mir plötzlich ein und ich musterte ihn neugierig.
Lev runzelte die Stirn. ,,Wie kommst du denn darauf?''
,,Naja, du gehst ja nicht mehr zur Schule und hier gibt es kein College, also studierst du vermutlich auch nicht. Es sei denn, es sind gerade Semesterferien?''
,,Nein.'' Lev schüttelte den Kopf. ,,Meine Familie besitzt eine große Firma. Ich bin im Familiengeschäft tätig.'' Ausführend erklärte er mir noch. ,,Wir haben in Valdez einen Rückzugsort, deswegen bin ich für einige Zeit hier. Noch bin ich zu jung, um die Geschäftsleitung ganz zu übernehmen, deswegen kann ich momentan auch noch gut von hier aus alles regeln.''
Verstehend nickte ich. ,,Ah.''
,,Und, weißt du schon, was du nach der Schule machen möchtest?''
Ich wiegte den Kopf hin und her. ,,Noch bin ich mir nicht ganz sicher. Aber ich möchte auf jeden Fall studieren, denke ich. Vielleicht Richtung Journalismus oder Literatur.''
Levs Gesichtsausdruck hatte sich bei dem Wort studieren stark verfinstert. ,,Und wo willst du studieren?'', brachte er zähneknirschend hervor.
,,Weiß ich noch nicht genau.'', meinte ich unsicher.
Er nickte nur, seine eine Hand war unter dem Tisch verschwunden.
,,Und..Ähm..'' Ich dachte fieberhaft über ein neues Thema nach oder eine andere Frage, die ich ihm stellen könnte.
,,Warum bleibst du hier?'', fragte ich schließlich.
,,Wie meinst du das?''
,,Na, Valdez scheint ja nicht gerade der sicherste Ort zu sein.'', deutete ich an.
Er zog die Augenbrauen zusammen.
,,Die Wölfe, die Morde?'', führte ich weiter aus, als er nicht antwortete.
Lev schien plötzlich sehr vorsichtig und angespannt. ,,Warum beschäftigt dich das?''
,,Wie bitte?'' Ich verengte die Augen. ,,Natürlich beschäftigt mich das! Ich kannte Nick vielleicht nicht gut, aber ich mochte ihn. Und ich verstehe nicht, warum die lokalen Zeitungen nicht davon berichten. Auch von dem anderen Opfer nicht.''
,,Wieso nennst du ihn beim Spitznamen?'', knurrte Lev plötzlich. ,,Und warum, verdammt, denkst du immer noch an ihn?!''
Die entspannte Stimmung war verflogen. Warum hatte ich auch mit diesem Thema anfangen müssen?
,,Was?'' Empört und mehr als aufgebracht erwiderte ich seinen feurigen Blick und sprang auf. ,,Geht's noch?''
Lev presste die Augen aufeinander, seine Züge waren verzerrt. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn.
Ich konnte die aufkommende Besorgnis nicht unterdrücken. ,,Lev? Alles okay?''
Er antwortete nicht. Seine Augenbrauen zogen sich angestrengt zusammen.
Was hatte er? ,,Geht es dir nicht gut?'', ein Hauch von Hysterie schlich sich in meine Stimme. Was machte ich, wenn er mir gleich umkippte?
Überfordert, was ich tun sollte, beugte ich mich vorsichtig über den Tisch und legte meine Hand auf seinen Arm.
Seine Muskeln schienen sich unter meiner Berührung erst an und dann zu entspannen.
Er öffnete die Augen. ,,Alles okay.'', meinte er leise.
Ich seufzte erleichtert.
,,Sorry'' Entschuldigend sah er mich an, ich lächelte nur leicht. Die Anspannung fiel von mir ab.
,,Besser du bringst mich jetzt wieder zurück.'', meinte ich schließlich. ,,Sonst bekomme ich wohl mit Mum ein echtes Problem.''
Lev nickte widerwillig und stand auf. Als er Anstalten machte, die Sachen einfach stehen zu lassen, hielt ich ihn verwirrt auf. ,,Was ist mit dem Korb und dem Essen, Lev?''
,,Das räumt jemand anderes weg.'', teilte er mir schulterzuckend mit.
Da ich mir sicher war, eh keine zufriedenstellendere Antwort mehr von ihm zu erhalten, nickte ich nur still und warf einen letzten Blick auf die Reste. Wie durch Zufall fiel mein Blick dabei auf die Bank, auf der Lev gesessen hatte.
Oder genauer gesagt, auf die fünf tiefen Kerben in ihr.

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