27. Kapitel

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Stille.
Schweigend saßen wir uns gegenüber, er in dem schwarzen Sessel und ich auf der Couch, vor uns auf dem Couchtisch das von dieser Merredith gebrachte Frühstück. Keiner von uns beiden wusste so recht, wie er anfangen sollte.
Schließlich räusperte Levan sich und unterbrach damit die Stille. ,,Am besten, du fragst mich einfach alles, was du wissen willst und ich verspreche dir, auf jede Frage ehrlich zu antworten.''
,,Okay.'' Ich nickte und zog die Beine an. ,,Du bist also ein Werwolf und auch noch ein Alpha?'', stellte ich erstmal die einfachste Frage, um einen Anfang zu machen, auch wenn ich die Antwort schon wusste.
,,Wir bevorzugen die Bezeichnung Mondkind, aber ja. Ich bin ein geborener Alpha.''
,,Und Katy und Lane sind...?'' Ich wusste nicht genau, wie ich es formulieren sollte.
,,Katania ist ein ganz normaler Werwolf, genauso wie Lane. Wobei Lane aufgrund seiner Stärke und Intelligenz und das tiefe Vertrauen, das ich ihm entgegen bringe, als mein schon im Welpenalter bester Freund, mein Beta ist.''
,,Beta ist die Rechte Hand des Alphas, richtig?'', versicherte ich mich und Levan nickte. ,,Ja, in meiner Abwesenheit oder wenn ich gerade nicht in der Lage bin, das Rudel zu führen, übernimmt er. Er ist sozusagen mein Stellvertreter und hilft mir bei wichtigen Angelegenheiten, die das Rudel betreffen.''
,,Und wie groß ist dein Rudel?'' Ich hatte beschlossen, erstmal bei den oberflächlichen Fragen zu bleiben.
,,Die Rudelmitglieder leben über ganz Alaska verteilt. Hier in Valdez befinden sich im Moment so ungefähr knapp Hundertfünfzig Mondkinder. Insgesamt hat mein Rudel aber um die Fünfhundert Wölfe. Welpen und Alte mit eingerechnet.'' Levan lächelte bei meinem schockierten Gesichtsausdruck. ,,Es gibt Rudel, die haben auch noch eine höhere Anzahl Mitglieder. Ich glaube, das größte Rudel besteht momentan aus 1.067 Wölfen.'', verriet er mir, während ich erst mal verdaute, wie viele Werwölfe es dann überhaupt erst auf der ganzen Welt geben musste. Sehr viel mehr, als ich mir vorgestellt hatte, so viel stand fest. Der Gedanke vielleicht sogar in Louisville einem dauernd über den Weg gelaufen zu sein, mich vielleicht sogar mit einem unterhalten zu haben, ohne es gemerkt zu haben, erschreckte mich ein wenig.
,,Wow'', gab ich nur von mir.
,,Du solltest übrigens wissen, das es nun unser Rudel ist, nicht nur meins.'', erwähnte Levan wie beiläufig und schob sich ebenso beiläufig eine Gabel gebratenen Speck in den Mund.
,,Ich bin aber kein Werwolf.'', erinnerte ich ihn und war im Gegensatz zu ihm viel zu nervös, um ans Essen zu denken.
,,Das spielt keine Rolle. Du kannst einer werden.'', entgegnete Levan ruhig, aber mit einer unterschwelligen Anspannung, als wäre er über meine Antwort nervös.
,,Ein Werwolf werden?'', wiederholte ich langsam. ,,Nein.'', stellte ich fest klar. ,,Vergiss es.'' Ich erinnerte mich noch sehr genau, was in dem Buch dazu gestanden hatte und war nicht scharf darauf, mir in den Nacken beißen zu lassen, vor allem nicht, wenn meine Überlebenschancen dabei auf der Kippe standen. No way, vergiss es, Wolf.
Levan schien mir meiner Antwort nicht zufrieden, gab aber nach. Vorerst. Als wüsste er etwas, was ich nicht wusste.
,,Kann dieses Jägerkraut euch wirklich töten?'' Ich wollte es nochmal von ihm bestätigt haben. Es fiel mir einfach nicht leicht zu glauben, dass irgendetwas diese riesigen mythischen Kreaturen umbringen konnte.
Levan wurde total ernst, bei dieser Frage. ,,Das kann es tatsächlich. Es ist die einzige wirklich wirkungsvolle Waffe gegen uns.'' Er schaute mir direkt in die Augen. ,,Erinnerst du dich, als wir uns dir kurzzeitig so komisch gegenüber benommen haben?'' Ich nickte. ,,Das war, weil auf einmal eben dieses Jägerkraut draußen vor dein Fenster geschmiert worden war, sodass ich nicht mehr rein konnte. Wir dachten - verzeih mir deswegen -, dass du das gewesen wärst, weil es war, nachdem du das Buch gelesen hast.''
,,Moment mal'' Ich hob die Hand, seine Worte nochmal überdenkend. ,,Wie oft bist du denn auf diese Weise bei mir eingestiegen?''
Meine Augen verengten sich, als Levan sich tatsächlich ein wenig unwohl zu fühlen schien und meinem Blick auswich. ,,Ähm...ein paar Mal?'', versuchte er der Frage auszuweichen. Ich erinnerte mich an genau einmal, bei der Sache mit dem Bad, nach meinem Horrorerlebnis im Wald. Wann waren also die anderen Male gewesen???
,,Was heißt ein paar Mal? Wann bitte?'', verlangte ich aufhorchend zu wissen.
Levan mied meinen Blick. Seine Stimme war fast ein Flüstern. ,,So...jede Nacht, wenn es mir möglich war?''
Jede Nacht. Ich schluckte. Ich hatte jede Nacht einen verdammten Werwolf in meinem Zimmer gehabt, der mich beim Schlafen beobachtet hatte. Jetzt konnte ich mir auch das offene Fenster erklären und den umgedrehten Bilderrahmen. ,,Du hast in meinen privaten Sachen rumgeschnüffelt'', murmelte ich.
Lev senkte beschämt den Blick. Dann erinnerte ich mich an meinen ersten Tag hier in Valdez. Ich schaute auf. ,,Als ich beinahe eine Panikattacke hatte - du warst da, oder?''
,,Ja. Mates können in bestimmten Situationen auch ohne den eingegangene Bund schon auf das Mateband zurückgreifen und starke Gefühlswellen übernehmen und stattdessen den Partner mit seiner Anwesenheit fluten.'' , erzählte er mir, immer noch nicht sicher, ob ich ihm nun sein nächtliches Stalking übel nahm, oder nicht.
Ich erinnerte mich, als ich nach dem Duschen ein grünen und einen blauen Punkt, die mir damals schon wie Augen vorgekommen waren, in der Dunkelheit gesehen hatte - das war dann wohl auch er gewesen.
Ich schnaubte nur, konnte mir ein kleines Lächeln aber nicht verkneifen. ,,Du bist wirklich mein Stalker.''
Überrascht, aber erleichtert schossen Levs Augen zu mir. ,,Und ich schätze, ich werde es auch immer bleiben. Aber jetzt muss ich zum Glück nicht mehr nachts bei dir einbrechen.''
,,Das heißt, du wirst mich wirklich mit in deine Höhle nehmen?'', fragte ich ihn verunsichert.
Levan zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. ,,Welche Höhle?''
,,Na deine. Du weißt schon, von der in diesem Gesetz die Rede ist.'', hatte ich den genauen Wortlaut noch im Kopf.
Er starrte mich einen Moment an, dann lachte er rau. ,,Süße, unser Gesetz ist ein wenig veraltet, was das angeht. Es wurde im 20 Jahrhundert verfasst, da haben wir noch zurückgezogen in Höhlen gelebt. Aber heute lebt der Großteil von uns in abgelegenen Villen und Häusern. So gesehen, befindest du dich also schon längst in meiner Höhle.'' Verschmitzt grinsend stand er auf und beugte sich soweit zu mir vor, dass seine Hände sich links und rechts auf dem Polster neben mir abstützten. Seine faszinierenden Augen durchdrangen mich intensiv. ,,Aber, wenn du lieber von mir in eine richtige Höhle mitgenommen werden willst, musst du es nur sagen. Solange wir in Alaska bleiben, also innerhalb meines Reviers, können wir überall hin, wo wir wollen.''
,,Nein, nein. Ist schon gut, so meinte ich das nicht.'', versuchte ich mich rauszureden und legte meine Hände auf seine Brust, die sich meiner Berührung gleich entgegen drückte. Mit geröteten Wangen sah ich zu Lev hoch, dessen Blick noch eine Spur intensiver geworden war. Aber soweit waren wir noch lange nicht, und das schien er auch zu wissen, denn auch wenn es ihm sichtlich viel Willen abverlangte, entfernte er sich wieder von mir und setzte sich zurück.
Jetzt kamen wir zu den ernsten Themen.
,,In meinen ersten Nächten hier habe ich Wölfe und Schreie gehört. Die Schreie einer Frau. Habt ihr sie umgebracht, weil sie nach Anbruch der Dunkelheit noch draußen war?'', fragte ich direkt.
Zu meiner maßlosen Erleichterung schüttelte Levan den Kopf. ,,Nein. Das waren Rouge.''
,,Rouge?'', wiederholte ich verwirrt. Dieses Wort hatte ich noch nie gehört.
,,Rouge sind Ausgestoßene und Rudellose unserer Art. Sie sind völlig wild und verfallen meist schnell dem Blutrausch, ohne Ordnung und der Macht eines Alphas.'', erklärte Levan und führte fort. ,,Sie sind vor ein paar Wochen in unser Revier eingedrungen und haben für ein wenig Chaos gesorgt. Wir haben sie natürlich gleich gejagt, aber ein paar konnten bis in die Stadt gelangen und haben dort eine menschliche Frau erwischt, die schon nicht mehr lebte, als wir eintrafen. Es ist den Menschen nicht umsonst geraten, sich, wenn die Nacht anbricht, nicht mehr draußen aufzuhalten. Das ist einzig und alleine zu ihrer Sicherheit, weil viele Mondkinder die nächtliche Jagd bevorzugen. Durch unsere Nachtsicht haben wir vielen Lebewesen gegenüber einen Vorteil, der gerne auch ausgenutzt wird.''
,,Der Werwolf, mit dem du unglücklicherweise zusammengestoßen bist, gehörte übrigens ebenfalls zu den Rouge und war bereits dem Blutrausch verfallen. Er ist uns als einziger entwischt und das ausgerechnet du, auf ihn stoßen musstest..'' Seine Augen glühten auf. ,,Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben Angst, als ich dich schreien und seinen Geruch vernommen habe. Wäre ich auch nur eine Sekunde später gekommen...'' Er brachte es nicht über sich, seinen Satz zu beenden. Es schien der blanke Horror für ihn zu sein.
Gäbe es nicht noch so viel anderes, was noch ausstand, hätte ich ihn jetzt liebend gerne in den Arm genommen, obwohl es eigentlich meine Nahtot-Erfahrung war, von der er da gerade sprach.
,,Und...Nick, also Fynnick?'' Das beschäftigte mich mit am meisten. Ich hoffte so sehr, dass Levan ihn nicht ermordet hatte, auch wenn Lane da etwas anderes angedeutet hatte. Ich wollte, dass Lev diesen schrecklichen Verdacht aus dem Weg räumte.
Ich wurde enttäuscht. Und zwar so richtig.
Knurrend fuhr Levan auf, seine Augen hellblau glühend und ich konnte auch mit dem ungefähr eineinhalb Meterabstand zwischen uns das bebende Zittern erkennen, das ihn durchfuhr. Schneller als ich reagieren konnte, war er bei mir, drückte mich zurück in die Polster und ragte über mir auf. Ein wenig Angst kam dann doch auf, als ich seine verlängerten, spitzen Zähne entdeckte. Der würde sich jetzt aber nicht auf mir verwandeln, oder?, bekam ich es dann doch mit der Panik zu tun. Ich wollte unter ihm weg, aber Levan ließ es nicht zu. Ein dunkles Knurren entrang sich seiner Kehle. ,,Wieso denkst du immer noch an diesen Menschenjungen? Ich sollte der Einzige sein, dem deine Gedanken gelten!''
Erschrocken zuckte ich zusammen. Das war dann wohl ein besitzergreifender Werwolf. Ein wenig zu besitzergreifend vielleicht.
Ich überhörte seine Worte einfach mal großzügig und wiederholte einfach möglichst ruhig, auch wenn das nicht über das leise Zittern in meiner Stimme hinwegtäuschen konnte, meine Frage, ausdrücklicher diesmal. ,,Hast du Fynnick getötet, Levan?''
,,Ja.'', teilte er mir doch tatsächlich wölfisch grinsend mit, wobei wieder der tiefe Doppelklang in seiner Stimme mitschwang. ,,Konkurrenten müssen beseitigt werden.''
Mein Mund klappte auf, für einen Moment war ich sprachlos. Ich wusste nicht, ob ich über diese Offenheit und dieses tierische Steinzeitdenken nun lachen oder weinen sollte.
,,Aber Nick war kein Konkurrent für dich'', brachte ich schließlich hervor und schaute zu ihm auf.
Meine Worte schienen ihn jedoch nicht wirklich zu erreichen. ,,Ich dulde kein anderes männliches Wesen in deiner Nähe, kleine Mate.'' Er besaß doch tatsächlich danach auch noch die Frechheit, seine Nase an meinem Hals zu vergraben.
Ich zappelte aufgebracht. ,,Levan! Du kannst nicht einfach jeden Jungen umbringen, der in meine Nähe kommt! Nick hätte ein toller bester Freund werden können, hörst du? Bester Freund, nicht fester Freund!''
,,Das ist mir egal. Du sollst auch keinen besten Freund haben. Ich sollte der Einzige in deinem Leben sein, du brauchst nur mich.'', raunte er uneinsichtig gegen meinen Hals und verpasste mir damit völlig ungewünscht eine Gänsehaut, die er auch gleich erfreut schnurrend zur Kenntnis nahm.
Ich presste aufgebracht die Lippen aufeinander und schaute an die Decke. ,,Lane duldest du doch auch in meiner Nähe?'', versuchte ich es anders, mit seinen Worten.
,,Lane ist mein Beta und bester Freund, er weiß, dass du mir gehörst. Außerdem ist er befugt dazu gewesen, dich in der Schule zu beschützen und andere Jungs von dir fern zu halten. Nur deswegen hat er extra nochmal das Jahr wiederholt.''
Jetzt ergab sein Sitzplatz-Tick einen Sinn und warum er jeden einzelnen Kurs mit mir hatte. So fügte sich alles nach und nach zusammen.
,,Trotzdem Levan. Nick war nur nett gewesen.'', flüsterte ich. ,,Er hatte es nicht verdient, dass du ihn tötest. Vor allem nicht so grausam. Hast du denn gar kein Gewissen deswegen?''
Ich schluckte schwer, als er seinen Kopf ein wenig hob, sodass ich seine glühenden Augen erblicken konnte, die nicht das leiseste Fünkchen Reue enthielten. ,,Nein, warum sollte ich?''
Ich begriff, dass es keinen Sinn hatte. Levan schien bei diesem Thema ein Brett - nein, gleich eine ganze Stahlwand vor dem Kopf zu haben. Meine Worte drangen einfach nicht zu ihm durch. Da dachte wohl mehr das Tier in ihm, als sein menschlicher Verstand.
Doch trotz dieses Wissens, gelang es mir nicht mehr, ihn als Monster zu betrachten.
,,Warum hast du mir an Vollmond nichts getan?'', wollte ich leise wissen. Hauptsächlich aus eigener Neugier heraus, aber auch, um Levan weiter mit Fragen abzulenken, da sein Blick sich schon wieder auf meinen Hals fixierte. Nicht, dass der gleich noch auf die Idee kam, mich einfach zu markieren. Denn das die Markierung aus einem Biss bestand, hatte ich mir auch selbst zusammenreimen können. Wobei es dafür, fürchtete ich, schon fast zu spät war, so wie Levan meinen Hals anvisierte. Es fiel ihm sichtlich schwer, seinen Blick von ihm loszureißen und stattdessen auf mein Gesicht und meine Augen zu richten. ,,Ich wollte dich markieren, wirklich. Aber der größte Instinkt eines Werwolf ist die Gesundheit und Sicherheit seiner Mate sicherzustellen. Zumindest ist das bei den meisten so. Und ich wusste, dass ich dich stark verletzten, sogar töten würde, wenn ich dich jetzt in meiner Wolfsform beißen würde. Also hab ich mich einfach nur auf deine Nähe und möglichst viel Körperkontakt beschränkt. Wobei es mir kurzzeitig echt schwer fiel und ich beinahe doch noch zugebissen hätte.'' Er bedachte mich mit einem gefährlichen Lächeln. ,,Du solltest aufpassen, dass nächste Mal, wenn du mir deine Kehle so verführerisch präsentierst, halte ich mich nicht mehr zurück.''
Seine dunkle, verheißungsvolle Warnung verfehlte ihre Wirkung nicht. Mein Körper reagierte auf seine Worte und seine Stimme peinlicherweise ziemlich erregt und für einen kurzen Moment wand ich mich unter ihm, um dem ungewohnten Gefühl zu entkommen. Levan nahm dies sehr erfreut zur Kenntnis. ,,Hm. Möchte da vielleicht sogar jemand markiert werden?'', schnurrte er und fixierte mich intensiv, während seine eine Hand zu meinem Hals wanderte und quälend langsam meine Haare zur Seite strich, um ihn freizumachen.
Es verlangte mir echt viel ab, aber mir gelang es zu widerstehen. Ich schüttelte den Kopf. ,,Levan - Lev, noch nicht.'', hauchte ich und das ,noch' in meinem Satz schien ihn zum Glück nach einem kurzen Zögern zu überzeugen, mich noch nicht zu markieren. Er knurrte leise unzufrieden, gab mich aber wieder frei. Anstatt sich jedoch zurück auf seinen Sessel zu begeben, blieb er neben mir auf der Couch sitzen. Ich hatte nichts dagegen.
Es dauerte nicht lange, um genau zu sein nur wenige Sekunden, da schloss sich schon wieder sein Arm um mich und zog mich zurück an seine Brust. Ich schmunzelte.

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