23. Kapitel

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Ich ging am nächsten Tag nicht zur Schule. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich nun mit diesem Wissen Katy und Lane gegenüber verhalten sollte. Lev ging ja zum Glück nicht mehr zur Schule.
Mum hatte mir gestern noch verraten, dass sie Jägerkraut vor ein paar Tagen schon vor unsere Haustür und die Fenster geschmiert hatte, auch vor meines. Sollte ein Werwolf versuchen sich Zugang zu unserem Haus zu verschaffen, würde er automatisch zurückschrecken, da es ihm schwere Verbrennungen in seiner reinsten Form zu fügen würde.
Auch im Garten hatte sie es eingepflanzt.
So waren wir zumindest bei uns Zuhause sicher vor diesen Kreaturen.
Mum hatte mich direkt nachdem Mittagessen mit hinunter in den Keller genommen, wo sich nicht nur das Waffenlager befand, sondern auch noch ein weiterer Raum, der mir beim letzten Mal gar nicht aufgefallen war. Es handelte sich bei diesem um einen voll ausgestatteten Trainingsraum. In ihm hatten wir den Rest des Tages verbracht.
Abends war ich mit schmerzenden Muskeln todmüde und völlig geschafft ins Bett gefallen und sofort eingeschlafen.
Heute ging das Training jedoch weiter.
,,Ich habe gestern noch den Rat der Jäger informiert.'', berichtete Mum mir während einer kurzen Pause. ,,Sie schicken ein paar Jäger, die in den nächsten Tagen hier eintreffen sollten.''
,,Das ist gut?'', sagte ich unsicher und trank gierig ein paar Züge aus meiner Wasserflasche. Keuchend ließ ich den Kopf in den Nacken fallen und lehnte mich zurück an die Wand hinter mir, an der ich saß, ein Bein ausgestreckt.
Nach einem weiteren Schluck, stellte ich die Flasche weg.
,,Dir ist bewusst, dass wir sie töten werden?'' Ihre Augen durchbohrten mich hart.
Ich schluckte schwer, mein Herz schmerzte, doch ich versuchte mir nach außen hin nichts anmerken zu lassen. ,,Ja. Aber...muss-‚'' ,,Es gibt keine andere Möglichkeit als den Tod dieser Monster, Jallyne. Das verstehst du doch?'' Sie duldete nur eine Antwort, die ich ihr aber nur zögerlich und mehr als unsicher gab. Es fiel mir immer noch schwer, Lev - oder Levan, wie ich nun wusste - und Katy mit solchen Monstern in Verbindung zu bringen. Ein Teil von mir weigerte sich einfach strikt dagegen, drängte mich sogar, zu ihnen, beziehungsweise zu ihm, zu gehen und das alles zu klären, damit ich wieder in seiner Nähe sein konnte. An seiner Seite.
Mir war aber klar, dass das nur das dem Mateband, oder wie auch immer man das nannte, zu verschulden war. Das hätte Mum sicher auch gesagt, wenn ich es ihr denn erzählt hätte. Hatte ich nur aber nicht. Das wollte ich lieber für mich behalten. Wer wusste schon, wie sie darauf reagieren würde? Sie schien ja regelrecht von Hass zerfressen.
,,Du gehst morgen übrigens wieder in die Schule.'', teilte Mum mir entschieden mit.
,,Was? - Nein!'', widersprach ich ihr trotzdem.
,,Doch, Jallyne. Du musst so normal wie immer wirken. Lass dir nichts anmerken.'', verlangte Mum etwas schier unmögliches von mir. Sie hatte leicht reden. Wie sollte ich mir denn bitte nichts anmerken lassen? Ich war keine Profi-Schauspielerin, sondern ein Teenager, deren Welt gerade komplett auf den Kopf gestellt wurde und das im absolut negativen Sinne. Schließlich waren vorher mein Schwarm und meine Freundin keine Monsterwölfe. Generell gab es vorher in meinem Leben nichtmal einen Glauben an das Übernatürliche. Und jetzt? Jetzt ließ ich mich von meiner Mutter dazu ausbilden, eben diese Kreaturen zu töten. Wobei ich mir nicht sicher war, ob ich letztendlich, wenn es darauf ankam, wirklich den Mumm dazu haben würde.
Das war doch alles verrückt. Fast wünschte ich mich wirklich nach Louisville zurück. Aber nur fast.

***

Wie sich herausstellte, waren meine Sorgen völlig umsonst. Denn in der Schule war weit und breit nichts von Katy und Lane zu sehen. Auch im Unterricht blieb der Platz zwei Stühle hinter mir leer. Und in der Pause konnte ich sie auch nicht ausfindig machen. Ich wusste nicht, was ich darüber nun denken oder fühlen sollte. Natürlich war ich irgendwie erleichtert darüber, aber irgendwie beschäftigte es mich auch.
Als ich Dayna und ihren Freund an den Schließfächern knutschend entdeckte, überwand ich meine Höflichkeit, die es mir eigentlich verbiete sollte, die beiden bei solchen Intimitäten zu stören, doch meine Neugierde war stärker. Also bahnte ich mir kurzentschlossen einen Weg zu ihnen. Neben ihnen stehend, aber immer noch unbemerkt, räusperte ich mich vernehmlich, was das Pärchen auseinander fahren ließ. Fragend schaute Dayna mich an, während ihr Freund mir einen ziemlich genervten Blick schenkte, der deutlich machte wie wenig begeistert er über diese Störung war. Ich schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln, wandte mich dann aber Dayna zu. ,,Ähm, weißt du, wo Katy ist? Oder Lane?''
Bei meiner Frage nahm ihr Gesicht sofort einen abweisenden Ausdruck an und ich dachte schon, sie würde mir nicht mehr antworten, da zuckte sie mit den Schultern. ,,Heute ist Vollmond, da sind die nie in der Schule.''
Und auch der letzte Teil von mir, der bisher immer noch trotz allen Zeichen gehofft hatte, es würde sich um einen riesigen Irrtum handeln, wurde enttäuscht und eines besseren belehrt.
Denn auch darüber hatte ich ja in dem Buch gelesen.
Ich zwang mir ein Lächeln auf das Gesicht. ,,Danke.'' Mein Blick zuckte nochmal kurz zu Zander. ,,Und sorry für die Störung. Ich lass euch dann mal wieder in Ruhe weiter machen.''
Schnell ging ich wieder. Hinter der nächsten Ecke jedoch lehnte ich mich an die Wand. Verdammt. Verdammt, verdammt, verdammt.
Ich wusste absolut nicht, was ich machen sollte. Ich...konnte ich wirklich zulassen, dass Katy, Lev - Levan und auch Lane getötet wurden? Hatten sie das denn verdient? Bilder von Nicks Wohnung und dem ganzen Blut tauchten vor meinem inneren Auge auf. Mit meinem jetzigen Wissensstand und Lanes Worten im Hinterkopf konnte ich mir denken, wer sein Mörder war und aus welchem nichtigen, primitiven Grund das geschehen war. Und dafür hasste ich Lev - Levan. Wenn auch nicht so stark, wie ich eigentlich sollte.
In meiner heillosen Überforderung und Unsicherheit beschloss ich kurzerhand die Schule zu schwänzen. Dafür hatte ich gerade echt keinen Kopf mehr. Und ich denke nicht, dass mir das irgendjemand vorhalten konnte.
Ich verließ das Schulgebäude und lief einfach los. Ich hatte kein Ziel. Da ich jetzt aber auch nicht zurück nach Hause wollte, schlenderte ich in die entgegengesetzte Richtung.
Ich bemerkte erst, dass ich gedankenverloren auf einen Waldrand zusteuerte, als ich schon direkt davor stand. Erschrocken blieb ich stehen. Nein, hier wollte ich definitiv nicht hin.
Ich wollte mich gerade auf dem Absatz umdrehen und so schnell wie möglich wieder in belebtere Gegenden kommen, möglichst weit weg vom Wald, da ließ mich ein Rascheln hinter mir zu Eis erstarren.
Auch wenn Mum mich bereits ein wenig trainiert hatte, ich war alles andere als bereit einem Werwolf wieder gegenüberzustehen. Das letzte Mal war mir noch sehr gut in Erinnerung geblieben. Die Angst lähmte mich, sodass ich nur mit geweiteten Augen auf die dichten Bäume und Büsche starren konnte.
Der Busch direkt vor mir raschelte erneut und mein ganzer Körper spannte sich an. Eine winzige braune Schnauze schob sich vorsichtig hinaus, schnüffelte kurz in der Luft, dann folgte der Rest des Kopfes. Ein kleiner Wolfswelpe kletterte komplett aus dem Busch, wobei seine hintere Pfote kurz an einem Zwei hängen blieb, jedoch mit einem kurzen rüttelten Ruck befreit war. Unschuldige, süße braune Welpenaugen sahen zu mir hoch und ließen mein Herz schmelzen.
Ein erleichtertes Lachen entfloh mir. Kein Werwolf, nur ein kleiner Welpe.
Trotzdem zögerte ich einen Moment, nicht das da Mama-Wolf gleich noch hinterherkam. Als nichts passierte, konnte ich nicht widerstehen und nahm den kleinen Kerl vorsichtig hoch, der schwanzwedelnd mein Gesicht abschleckte. Gott, war der süß. Ich kicherte leise, bei seiner rosanen Mini-Zunge, die mich leicht kitzelte. Süß war er aber auch nur solange, bis seine winzigen Zähnchen sich um meine Kette schlossen und sie abrissen. Sein kleiner Wolfskörper fing plötzlich an so stark zu zappeln, dass ich ihn nicht mehr halten konnte, und mit einem Satz war er von meinem Arm gesprungen und rannte mit meiner Kette im Maul in den Wald.
Ich brauchte einen Moment, um zu realisieren, was gerade passiert war. Fassungslos sah ich ihm hinterher, bevor meine Beine sich in Bewegung setzten und ich ihm aller Gefahren zum Trotz in den Wald folgte. Die Kette war mir einfach zu wichtig, um einen frechen Welpen mit ihr davonkommen zu lassen. ,,Hey!'', rief ich ihm hinterher.
Die Werwölfe, die hier in den Schatten lauern könnten, waren mir in diesem Moment völlig egal, ich wollte nur diese Kette zurück, die mir so viel bedeutete.
Ich sah den braunen Fellball ein Stück vor mir, dann schlug er plötzlich einen Haken und verschwand wieder aus meinem Blickfeld. Musste der so klein, schnell und wendig sein? Ginge nicht auch fett, langsam und tollpatschig?
Wieso musste mein Dieb ausgerechnet eine kleine Sportskanone sein, das war doch nicht fair!
,,Bleib stehen!'', rief ich verzweifelt, übersah eine Wurzel, stolperte, fing mich jedoch im letzten Moment und rannte weiter. Als der Welpe natürlich nicht auf mich hörte, fing ich an ihn zu beleidigen, weil mir nichts besseres einfiel. ,,Hey, du ungezogenes Fellknäul mit spitzen Beißerchen! Lass zumindest die Kette los!''
Wie zu erwarten, blieb auch das erfolglos. Ich fasste nicht, dass ich gerade in einem von Bestien besiedelten Wald, auch noch an Vollmond, mit einem Welpen fangen spielen musste. Konnte dieses gewiefte Schlitzohr sich nicht eine andere Spielkameradin suchen? Außerdem hat Mama-Wolf wohl vergessen, dem kleinen Langfinger beizubringen, dass klauen etwas schlechtes und grundsätzlich verboten ist.
Außerdem waren die Temperaturen schon wieder nicht gerade angenehm und trotz das ich mich bewegte und meinen Wintermantel trug, froren meine Finger mir mal wieder halb ein. Warum hatte es auch ausgerechnet Alaska sein müssen?
Keuchend hielt ich an, Atemwölkchen stiegen vor mir in die Luft. Ich stützte meine Hände auf die Knie und versuchte wieder an Luft zu kommen. War das anstrengend. Wer hätte gedacht, dass Welpen so schnell sein können?
Und wo war eigentlich der verdammte Mama-Wolf? - Die sollte ihren Puppy mal wieder an die Leine nehmen.
Immerhin konnte ich von Glück sagen, dass ich bisher noch keinem der Werwölfe, die sich hier irgendwo rumtrieben mussten, begegnet war. Aber wer wusste schon wie lange das noch anhielt? Die rochen mich bestimmt schon in ihrem Revier. Jetzt bloß keine Panik kriegen. Toll gemacht, Jallyne.
Ich richtete mich wieder auf und schaute mich um. Shit. Ich hatte keine Ahnung, wo und auch nicht wie weit ich gelaufen war. Und durch die ganzen Haken, die dieser absolut nicht süße Dieb geschlagen hatte, auch nicht mehr, in welche Richtung ich wieder zurück zur Stadt finden würde. Ich stand also mitten in einem von Bestien verseuchtem Wald, an Vollmond, wo die noch instinktgeleiteter und blutrünstiger werden würden als eh schon, und hatte keine Ahnung wie ich wieder raus kam. Wundervoll. Absolut perfekt, wirklich. Wenn ich dieses kleine Vieh erwischte....
Nicht weit von mir entfernt erklang ein Heulen. Ich zuckte zusammen. Natürlich, wahrscheinlich mussten jetzt auch noch diese Monster auf mich aufmerksam werden.
Als ein weiteres Heulen daraufhin erklang, wie zur Antwort, übernahmen meine von Angst geleiteten Überlebensinstinkte und ich rannte einfach wieder los. Logisch gesehen, war das absolut dämlich. Doch mein Kopf wollte gerade nicht begreifen, dass es eindeutig klüger wäre zumindest nach hinten zu rennen und nicht weiter nach vorne, noch mehr in den Wald hinein. Vor allem, da ich auch noch merkte, dass der Boden unter mir nicht mehr gerade verlief, sondern sanft anzusteigen schien. Doch meine Beine schienen ihren eigenen Willen zu haben. Instinktgeleitet rannte ich einfach weiter. Bis sich die Bäume plötzlich vor mir lichteten und einen von Felsen und Steinen jeder Größe gesäumten Berganstieg offenbarten. Anscheinend befand ich mich jetzt an den Anfängen des Gebirges. Ich musste ganz schön weit gelaufen sein. Vielleicht konnte ich von da oben ja die Stadt sehen? Dann wüsste ich in welche Richtung ich grob laufen musste. Dieser Gedanke gab mir Hoffnung und Kraft.
Keuchend fing ich an den relativ steilen, steinigen und nur wenig grasbewachsenen Berg zu erklimmen, erleichtert den mir immer dunkler vorkommenden Wald hinter mir gelassen zu haben. So auf relativ freiem Feld konnte ich zumindest meine Angreifer schneller sehen und die Steine waren auch eine praktische Waffe. Bei diesem Gedanken hielt ich an, bückte mich und griff nach einem spitzen Stein, den ich schnell in meiner Jackentasche verschwinden ließ.
Und sicherheitshalber noch einen.
Endlich oben angekommen hatte ich eigentlich geplant, mich gleich umzudrehen und runter zu schauen, um die Stadt ausfindig zu machen, doch dazu kam ich gar nicht. Viel zu perplex war ich von der riesigen Lichtung, die sich hier oben bot und auf der einen Seite mit weiterem Wald gesäumt war und auf der anderen eine breite Straße hatte.
Oder viel mehr von den ganzen schlichten Holz- und Steinhäusern, die hier standen. Oder doch viel mehr von den ganzen Menschen...und Werwölfen, die mitten in ihrem Tun stehen geblieben waren und mich alle anstarrten.
Oh shit. Mein Herz fing an zu rasen. Ich hielt vor Schreck die Luft an, als mir klar wurde, dass ich hier gerade unbeabsichtigt in ein Werwolfdorf gestolpert sein musste.
Mir wurde schlecht und ein paar schwarze Punkte bildeten sich vor meinen Augen, die vor lauter Panik wahrscheinlich riesig groß sein mussten. Ich entdeckte sogar Lev - Alpha Levan, der mit erfreuten und gleichzeitig besorgten Blick auf mich zu kam.
Den Rest gab mir aber der verdammte Welpe, der natürlich kein normaler Wolf, sondern ein Werwolf sein musste, und plötzlich immer noch mit meiner Kette im Maul zu meinen Füßen auftauchte und schwanzwedelnd treudoof zu mir aufsah. Mir wurde schwarz vor Augen.

Alaska Legends - Alpha Levan  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt