Ganz gleich, wie fertig ich war, mir war schon bewusst, dass das keine besonders gute Idee war. Bisher war es noch nie eine gute Idee gewesen, nachts besoffen bei Federico aufzutauchen. Und doch ließ ich meinen Finger über die endlose Reihe an Klingelknöpfen gleiten. Fuck, was mussten hier auch so elendig viele Menschen wohnen. Konnten die nicht einfach alle verrecken? Das würde meinen heutigen Abend erheblich vereinfachen.
Ich schwankte zurück und der ganze Spaß ging von vorne los. Aydin ... Phan ... Bolschakow ... Dass sich das Schild mit den vielen Namen die ganze Zeit nach rechts und nach links bewegte, nach oben und nach unten, machte mich auch wahnsinnig. Warum konnte das Teil nicht einfach ruhig halten?
Was ein Wichser.
Da, endlich. Ich presste meinen Finger auf den passenden Knopf und sah nicht ein, ihn wieder zurückzuziehen. Wäre nämlich echt zu viel Arbeit, wieder draufzudrücken, sollte keiner rangehen.
»Hallo?«, blaffte mich eine männliche Stimme an. Sie gehörte wohl seinem Vater und es gab keinen Zweifel daran, dass er wütend war.
»Ähm, dings ...«, lallte ich und brauchte einen Moment, bis mir wieder in den Sinn kam, was das hier werden sollte. Schnell erklärte ich: »Ich will zu Fede.«
»Es ist mitten in die Nacht!«, klang seine Antwort mit deutlich empörtem Unterton aus dem Lautsprecher. »Komm anderes Mal wieder«, gefolgt von einem Knacken in der Leitung.
»Du verdammter Hur'nsohn, lass mich rein! Es is' wichtig!«, fuhr ich ihn an, doch es regte sich nichts mehr. Ich spürte die Anspannung, die durch meinen Körper jagte, für einen Moment die Erschöpfung aus meinen Knochen vertrieb. Die Härte meiner Muskeln, als ich ausholte und wütend meine Faust gegen die Betonwand hinter den Klingelschildern schlug. Schmerz durchzuckte meine Knöchel und ich taumelte zurück.
»Fuck«, keuchte ich, während der Druck aus meinen Knochen nicht verschwand. Ich biss meine Zähne aufeinander. Starrte vor mich hin. Asphaltboden, ein Abflussgitter.
Warum konnte ich nicht einfach ruhig stehen bleiben? Irgendwie funktionierte das nicht. Da, endlich. Ich spürte den unebenen Putz unter meinen Fingerkuppen und lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand. Erschöpft schloss ich meine Augen.
Am besten würde ich einfach hier pennen. So im Stehen, war doch auch eine Möglichkeit. Und wenn ich schlafen würde, dann müsste ich mir auch keine Gedanken um diese elendige Ratte namens Kiral machen.
Ratten waren echt erbärmliche Tiere. Vor allem waren da die Eier so groß wie das halbe Vieh. Musste voll anstrengend sein, immer seine eigenen Hoden hinterherzuschleppen.
»Hey, Jay«, vernahm ich mit einem Mal eine Stimme neben mir. Auch sie war männlich, doch klang deutlich jünger als die von vorhin. Schwerfällig öffnete ich meine Augen, während jemand an meiner Schulter schüttelte. Da war die verrostete Eingangstür, die offenstand. Ich bewegte mich ein wenig zur Seite, blinzelte. Dort entdeckte ich auch die dunklen Locken am Rande meines Blickfelds und als ich mich noch ein wenig drehte, Fede, der vor mir stehen geblieben war. Er steckte in einer dunkelroten Sweatjacke, seine Haare waren durcheinander und das Gesicht wirkte zerknautscht.
»Alles gut bei dir?«, fragte er und ließ seine Hand auf meinem Oberarm ruhen.
Ich brauchte einen Moment, um die passenden Worte zu finden. Reden war schon irgendwie kompliziert. »Ja ... Also echt«, erklärte ich und richtete mich etwas mehr auf. So gut es ging halt. »Richtig gut.«
»Achso.« Skeptisch hob Fede die Augenbrauen und führte seine Hand von meinem Arm vor seinen Mund. Er gähnte ausführlich. »Und was machst du hier?«
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Die Verlierer - Sklaven des Erfolgs
General Fiction[TEIL 2] Während Jay alles gibt, um der gefürchtetste Dealer der Stadt zu werden, dafür, dass jeder in Berlin seinen Namen kennt, sitzt Federico am Schreibtisch und lernt. Für ein besseres Leben, um eines Tages das Viertel mit seinen versifften Pla...