»Was wollen wir hier?«, fragte ich Tarek, während sein Wagen durch die ruhigen Straßen eines Vorstadtviertels rollte. Marienfelde. Ich zwang mich dazu, nicht schon wieder auf mein Handy zu sehen. Eben hatte Fede schließlich auch noch nicht geschrieben. Warum sollte jetzt eine Nachricht von ihm da sein? Ich sollte mal chillen, Alter.
Konnte ich aber irgendwie nicht, wenn es um Fede ging.
»Siehste dann schon«, antwortete Tarek mir knapp, während ich meinen Blick über die gutbürgerlichen Häuser schleifen ließ. Hier hingen keine Junks auf der Straße rum, keine Penner. Keine Müllberge, die nie einer wegräumte. Schön verputzte Fassaden, Gardinen hinter den Fenster – die nicht eingeworfen waren und auch nicht notdürftig mit Gaffatape geklebt waren. Einer der Teile von Berlin, in die ich mich selten verirrte.
Typen wie Tarek oder ich waren hier so verdammt fehl am Platz.
»Ich schwöre, wie die einfach nur Bioläden hier haben, diese Missgeburten.« Ich deutete auf den hellerleuchteten Supermarkt, an dem wir vorbeifuhren. Die Scheiben des Ladens sauber geputzt, davor noch viel los. »Dann fressen die irgendwelche komischen Schickimicki-Früchte.«
Er nickte zustimmend. »Und das sind halt einfach genau die Leute, die ein' ankacken würdn, dass wir ticken.«
»Ja, bla bla, unmoralisch. Ich fick euer unmoralisch wie eure Frauen, Alter.« Ich lachte, während Tarek in einen Kreisverkehr bog. Wir erreichten eine etwas ruhigere Nebenstraßen mit Altbauten. An den Bürgersteigen wuchsen Ahornbäume und es war nicht mehr wirklich was los, eine friedliche Stimmung.
Auch über sein Gesicht huschte ein Grinsen. »Wenn du das so sags«, grinst er. »Aber ernsthaft, is lächerlich einfach. Als hätt unsereins nich das Recht, auch'n bisschen Kohle zu haben.«
»Ja, kein Bock einfach wie meine Alte zwei Jobs zu haben und Ende des Monats is der Kühlschrank leer.«
Tarek legte seine Hand auf meine Rückenlehne und sah dann nach hinten, setzte zurück, um in eine Lücke am Straßenrand einzuparken, zwischen zwei Neuwägen. Wie alle anderen Autos hier. Hier wirkte seine klapprige Schrottkarre auf einmal ziemlich auffällig. Eilig warf ich einen Blick auf mein Handy, aber der Wichser hatte mir immer noch nicht geantwortet. Verdammte Scheiße, ey, ich wollte endlich wissen, warum er gefragt hatte.
Aber dann halt nicht. Sein Pech. War wahrscheinlich mal wieder zu konzentriert auf irgendwelche Dokus über Sterne und andere Himmelsphänomene.
Wir stiegen aus, Tarek schulterte die Sporttasche, in der sich jetzt nicht mehr das Geld, sondern ein paar Kilogramm reinstes Kokain befanden. Mittlerweile war mir auch klar, was wir hier vorhatten, als ob ich mir das nicht vorher schon hätte denken können.
Wachsam glitt sein Blick über die Umgebung, genau wie meiner, doch da war nichts. Nur Fenster, hinter deren warmen Licht sich das Leben derer abspielte, die abends zusammenkamen, um gemeinsam zu essen. Die in ihren beheizten Wohnungen niemals frieren mussten und sich nicht anbrüllten, dass sie einander abstechen würden. Oder es taten. Sowas passierte hier nicht.
Tarek kramte einen Schlüssel aus seiner Hosentasche hervor, mit der er die dunkelbraune Haustür mit den detailgenauen Verzierungen im Holz aufsperrte. Noch einmal ließ ich meinen Blick über die Straße gleiten. Zu den Schatten nach oben, hinter den Sprossenfenstern, an denen Vorhänge hingen. Menschen, die kochten oder vor dem Fernseher saßen. Keiner von ihnen interessierte sich für uns, gut so.
Über mein Gesicht huschte ein kurzes Grinsen. Irgendwie genoss ich es, wie sie keine Ahnung hatten, was sich vor ihren Augen spielten. Dass wir hier mehrere Kilo Koks lagerten. Dass das Verbrechen so bei ihnen war, in ihrer kleinen, scheinbar so perfekten Welt. Verblendete Idioten.
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Die Verlierer - Sklaven des Erfolgs
Ficción General[TEIL 2] Während Jay alles gibt, um der gefürchtetste Dealer der Stadt zu werden, dafür, dass jeder in Berlin seinen Namen kennt, sitzt Federico am Schreibtisch und lernt. Für ein besseres Leben, um eines Tages das Viertel mit seinen versifften Pla...