WOLVES - the secrets we remember || BAND 2

Kapitel 1

Wenn es Jemanden gibt, bei dem ich mir zu hundert Prozent sicher bin, dass bei der Führerscheinprüfung irgendwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann, dann ist das definitiv der Freund meiner besten Freundin. Seit gut anderthalb Stunden sind wir nun schon unterwegs und ich weiß nicht, wann es mir in meinem Leben jemals dringender war, endlich am Zielort anzukommen und meine zwei Füße auf festen Boden setzen zu dürfen. Auf der Rückbank festgeklemmt zwischen Getränken, Grillwürstchen und noch einer Menge anderem Zeug habe ich mittlerweile das untrügliche Gefühl, in einer Achterbahn zu sitzen und mindestens zwei Loopings hinter mir zu haben, denn mir ist speiübel. Ich hasse Achterbahnfahren.

„BREMS!", kreischt Mirjam, die vor mir auf dem Beifahrersitz hockt und seit unserer ersten Beinahe-Kollision ebenso durch die Mangel gedreht wirkt, wie ich mich fühle. Im nächsten Moment werde ich einmal mehr mit voller Wucht in meinen Gurt gepresst und muss all meine Konzentration aufbringen, meinen Mageninhalt dort zu halten, wo er hingehört.

„Schrei' doch nicht so!", empört sich Alex lediglich. „Am Ende bau' ich noch 'nen Unfall deswegen."

„Ach", erwidert Miri trocken und funkelt ihn an. „Die ganze Zeit fährst du wie ein Wahnsinniger und dann machst du dir Sorgen, dass du wegen mir einen Unfall baust?"

„Ein Wahnsinniger? Ich bitte dich, das Auto grade war doch noch ewig weit weg!"

„Hm-hm, genauso wie das letzte und das davor?"

„Ach jetzt komm", meint Alex und nimmt bedenklicherweise eine Hand vom Lenkrad, um sie beruhigend auf Mirjams Bein zu legen. „Wir sind doch gleich da, jetzt mach' dir nicht ins Hemd– "

„GUCK NACH VORNE!"

„Jaja...schau mal lieber nach, wo wir mittlerweile sind. Ich hab keinen Plan, wo wir als nächstes abbiegen müssen."

Trotz meines körperlichen Befindens kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Das Gezanke der beiden muss ich mir schon die ganze Fahrt über anhören. Kurz fange ich Mirjams hilfesuchenden Blick auf, die es tatsächlich wagt, sich bei Alex' waghalsigen Manövern auf ihrem Sitz umzudrehen und ich lächle schief.

Um mich von der Tatsache abzulenken, dass wir alle jeden Moment sterben könnten, schaue ich aus dem Fenster. Seit gut einer Viertelstunde sausen statt dem üblichen grauen Stadtbild Berlins nur noch weite grüne Wiesen und bloß ab und an mal ein einsames Haus vorbei. Das heißt hoffentlich, dass Alex Recht hat und wir tatsächlich bald am Ziel sind.

Vor einer Woche haben die Sommerferien begonnen, was wir in Form von Mirjams 18. Geburtstag am letzten Sonntag zu viert gebührend gefeiert haben – Mirjam, Alex, seine beste Freundin Rebekka und ich. Und anlässlich eines weiteren absolvierten Schuljahrs hatte Mirjam vor ein paar Wochen die Idee gehabt, ein Klassentreffen mit unserer alten Grundschulklasse auf die Beine zu stellen. Immerhin sei es mittlerweile sieben Jahre her, seit sich unsere Wege getrennt haben, da wäre es doch interessant herauszufinden, was aus den anderen so geworden ist. Somit hatten wir beide uns daran gemacht, das Ganze zu planen und unsere alten Klassenkameraden zusammengetrommelt. Fast alle haben zugesagt. Und nun sind wir auf dem Weg durch die Pampa, auf der Suche nach dem Waldfeuerplatz, den Mirjam und ich für heute Abend gebucht haben, um unser Wiedersehenstreffen steigen zu lassen. Bei dem Gedanken regt sich ein leichtes Flattern in meiner Brust, das ausnahmsweise nichts mit meiner Übelkeit zu tun hat. Ich bin gespannt, was die anderen zu erzählen haben.

Fünf Minuten später biegt Alex auf einen schmalen Feldweg ab, der nach einer Weile schließlich abrupt in einem verschwindend kleinen Kiesparkplatz endet. Dahinter: nichts als dichter, tiefer Wald.

„Bitte sehr, die Damen", sagt Alex und macht eine alles umfassende Armbewegung auf das Szenario, das sich uns bietet. Froh, endlich der stickigen Enge dieses Autos zu entkommen, kämpfe ich mich aus meiner eingequetschten Position und stehe kurz darauf endlich wieder auf meinen eigenen, wenn auch etwas zittrigen Beinen. Tief die frische Luft einatmend sehe ich mich um.