WOLVES - the secrets we remember || BAND 2

Kapitel 8

Diese Nachtphase kommt mir bis jetzt am kürzesten vor, wobei ich auch nicht sagen kann, wieso. Wahrscheinlich, weil ich es aufgegeben habe, auf irgendeine Reaktion zu lauschen, die mir verrät, wer den Hinweis bekommen haben könnte. Stattdessen fokussiere ich mich auf die kommende Dorfversammlung und nehme mir innerlich vor, diesmal genauer darauf zu achten, ob alles was gesagt wird, wirklich der Wahrheit entspricht. Ich wappne mich. Umso überraschter bin ich, dass kurz bevor Runa uns aufwachen lässt, links neben mir jemand nach Atem ringt, so verschreckt, dass ich mich unweigerlich in die erste Nacht zurückversetzt fühle.

„Mirjam?", frage ich und öffne die Augen, grade als Runa das Okay dazu gibt, und packe Miris Arm. Doch bevor die mir eine Antwort geben kann; bevor sie mir überhaupt einen Blick zuwerfen kann, höre ich eine hohe, verängstigte Stimme: Lotte hat sich auf ihrem Stuhl aufgerichtet und ihr ausgestreckter Arm weist unmissverständlich auf eine ganz bestimmte Person.

„Er! Er ist es! Er ist der dritte Wolf, ich habe den Hinweis!"

„I-Ich?"

„Du meinst André?"

Zögernd folge ich der Richtung, in die Lottes Arm weist und sie zeigt tatsächlich auf André. Der sitzt auf seinem Stuhl, als hätte ihn grade jemand mit einem Eimer eiskalten Wassers übergossen.

„Ihr wollt mich doch verarschen, oder?", murmelt er leise und seine Augenbrauen ziehen sich mit jedem Wort mehr zusammen. „Hey. Jetzt mal ganz locker bleiben, okay? Was auch immer sie da sagt, es stimmt nicht." Seine Stimme klingt bemerkenswert ruhig, dennoch kann ich mir denken, dass er mindestens genauso angespannt ist, wie ich.

„Doch!" Lotte schaut sich hilfesuchend um. „Doch, es stimmt. Er ist der Wolf. Ich habe ganz deutlich den Hinweis bekommen, er ist gefährlich. Bitte, schmeißt ihn raus!"

Kurz herrscht Stille, in der ein paar verunsicherte Blicke getauscht werden. Die andern erinnern sich, genau wie ich, noch sehr deutlich an Mirjams Worte von vorhin. Die lässt es sich auch nicht nehmen, sie nochmal zu wiederholen.

„Leute, denkt dran, was ich gesagt hab", erklärt sie noch einmal mit Nachdruck. „Vertraut nicht direkt der ersten Aussage. Sorry Lotte, aber ich will hier echt keinen Fehler machen."

Ihr kurzer entschuldigender Seitenblick verfehlt seine Wirkung jedoch meilenweit.

„Aber ihr müsst mir vertrauen. Ihr müsst mir glauben!", erwidert Lotte schon fast beschwörend.

„Warum sollten wir?", wirft Lukas dazwischen und seine Stimme trieft nur so vor Sarkasmus. „Wenn wir eins gelernt haben heute Abend, dann doch wohl, dass wir uns nicht mal mehr gegenseitig vertrauen können. Oder nicht?"

„Lukas hat Recht", fügt Justin hinzu. „Vielleicht sollten wir stattdessen lieber erstmal rumfragen, ob nicht noch jemand einen Hinweis bekommen hat. Einen Ernstzunehmenden, meine ich." Mit hochgezogenen Augenbrauen blickt er durch den Stuhlkreis und die anderen erwidern seine Blicke schweigend. Als von niemandem etwas kommt, steht er auf. „Gut. Dann will ich mal einen beisteuern. Wenn's nach mir geht, labert Lotte nämlich Mist. Und ich weiß, das hört sich jetzt blöd an für euch und ihr werdet mich dafür wahrscheinlich steinigen oder so...aber den Hinweis, den hat nicht Lotte bekommen, sondern ich. Sie ist Wolf Nummer Drei."

Für einen Moment starren ihn alle an. Dann springt Lukas auf und versetzt seinem Stuhl einen so heftigen Tritt, dass der einige Meter in Richtung Waldrand katapultiert wird. „Was soll der Scheiß denn jetzt, verdammt? Schon wieder zwei Anschuldigungen – wollt ihr mich eigentlich verarschen, oder was?"

„Nein, will ich nicht!", faucht Justin zurück. „Aber wenn du mal ein bisschen deinen Grips gebrauchen würdest, anstatt immer direkt auszurasten– "