Kapitel 12

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Die schwere Stille der Nacht umhüllt mich erneut als wir schweigend nebeneinander her durch den Wald wandern und gibt wieder Raum für die quälenden Gedanken, die sich in mir überschlagen.

Hoffentlich geht es Mirjam gut! Mich fröstelt, als ich darüber nachdenke, was ihr alles passieren könnte. Oder vielleicht schon passiert ist. Ich muss nur an das vergangene Jahr denken und schon zieht sich alles in mir zusammen. Wir hatten die letzte Etappe unseres Spiels ebenfalls im Wald gespielt und Mirjam war allein unterwegs gewesen und hatte sich bei einem Unfall den Knöchel gebrochen. Es hatte eine Weile gedauert, bis Alex sie gefunden hatte, und sogar noch länger, bis sie tatsächlich Hilfe bekommen hatte. Das waren Stunden gewesen. Ich schüttle den Kopf. Wir müssen sie einfach finden, und zwar so schnell wie möglich!

Plötzlich spüre ich, wie sich etwas um mein rechtes Bein schnürt und ich schnelle nach vorn. Mein Fuß hat sich in einer Brombeerranke verfangen. Mist! Bevor ich allerdings auf die Nase knallen kann, schlingt sich ein Arm um meinen Oberkörper und fängt mich auf.

„Vorsicht!" Leons Stimme ist ganz nah an meinem Ohr und ehe ich mich's versehe, stehe ich wieder fest auf beiden Füßen. „Geht's wieder?"

Ich nicke. „Jaa, passt schon."

Für einen Moment spüre ich noch seinen Blick auf mir, dann wende ich mich ruckartig ab und gehe weiter, ein seltsames Ziehen in meinem Bauch spürend. Warum kümmert er sich auf einmal so um mich? Die ganze Zeit beim Lagerfeuer war er so distanziert drauf und hat kaum ein Wort mit mir geredet und jetzt? Etwas peinlich berührt denke ich an vorhin. Dass ich scheinbar für kurze Zeit so weggetreten bin und mich die Emotionen übermannt haben, ist mir mehr als unangenehm. Aber dennoch bin ich Leon auch dankbar, dass er mich aufgefangen hat. Für einen kurzen Moment habe ich mich geborgen bei ihm gefühlt und die tiefe Vertrautheit von früher war wieder da. Da waren keine Worte nötig gewesen. Aber jetzt? Jetzt scheint es, als baue er wieder diese Mauer um sich herum auf und gehe innerlich auf Distanz. Lediglich die intensiven Blicke, die er mir von Zeit zu Zeit zuwirft, zeigen, dass da irgendetwas vorgeht in ihm. Ich spüre es genau, obwohl er vielleicht meint, ich bemerke es nicht. Mit einem Mal bin ich mir seiner Nähe vollkommen bewusst und das lässt meine Haut kribbeln.

Das Schweigen zwischen uns wird immer drückender und plötzlich überkommt es mich einfach, das Bedürfnis, Fragen zu stellen – Fragen, die ich den ganzen Abend nicht stellen konnte; die Fragen, die er mir durch sein Verhalten nicht erlaubt hat zu stellen. Aber vielleicht ist es auch einfach nur das Bedürfnis, diese Stille zwischen uns endlich zu durchbrechen und irgendetwas Sinnvolles von mir zu geben.

„Wie ging es dir eigentlich damals? Mit dem Umzug? War es eine große Veränderung für dich, mit dem Schulwechsel und allem?"

Bei diesen vielen Fragen, spüre ich erneut seinen Blick auf mir. Er wirkt überrascht, dass ich so plötzlich ein Gespräch anfange. Bis ich eine Antwort bekomme, dauert es daher ein wenig.

„Ach, es ging eigentlich", meint er dann schließlich. „Natürlich war es erstmal eine Umstellung. Mit dem Umzug in die neue Wohnung und dazu noch der ganze Kram mit dem Laden. Aber so haben wir uns eigentlich recht schnell eingelebt. Und Schule war auch okay."

Die Tatsache, dass er so oberflächlich und emotionslos antwortet, macht mich fast wütend. Warum ist er so distanziert? Meinen aufwallenden Ärger schlucke ich jedoch runter und stelle ihm die nächste Frage.

„Und hast du schnell Freunde gefunden?"

Schweigen. Dann ein langer Seufzer.

„Es ging. Am Anfang war ich schon noch einige Zeit allein. Du kennst mich ja", erwidert er und dann lacht er tatsächlich leise. Bei diesen Worten spüre ich wider Erwarten doch, wie etwas zwischen uns auftaut. Ohne es wirklich beeinflussen zu können ziehen sich meine Mundwinkel leicht nach oben.

WOLVES - the secrets we remember || BAND 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt