„Mirjam!"
Ohne jetzt noch auf irgendwelche dornigen Ranken oder Zweige zu achten, die mir den Weg versperren, renne ich in die Richtung, in die Justins ausgestreckter Arm zeigt. Geradewegs auf die Lichter zu, die dort tatsächlich wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm herumwirbeln. Die aufgeregt durcheinanderredenden Stimmen, die mit jedem meiner Schritte lauter werden, bestätigen mir dann endgültig, dass Justin Recht hatte: Sie sind hier! Wir haben die andere Gruppe endlich gefunden.
Auf einer kleinen Lichtung haben sich alle versammelt, ihre Gestalten unruhig umherhuschend. Hektisch springen meine Augen von einem zum anderen und endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, sehe ich Mirjam am Rand etwas abseits vom Rest stehen. Ohne lange zu überlegen renne ich zu ihr und schlinge stürmisch meine Arme um sie.
„Louisa! Da bist du ja. Geht's dir gut?"
Ich bringe für einen Moment nichts weiter als ein Nicken zustande und für ein paar wunderbare Sekunden halten wir beide uns einfach nur fest und alles ist gut. Dann packt Mirjam mich energisch an den Schultern und mustert mich mit durchdringendem Blick.
„Wie siehst du aus? Bist du sicher, dass es dir gut geht? Du bist total zerkratzt...und dein Gesicht..."
Sie fährt mit der Hand leicht über meine Wange und es dauert einen Moment, bis mir einfällt, dass mein Gesicht immer noch leicht verquollen ist von meiner Heulerei bei meinem kleinen Zusammenbruch vorhin. Schnell wende ich mich ab und nicke noch einmal.
„Es ist alles gut, wirklich. Das ist wegen den Brombeerranken, ich...bin hingefallen." Ihren Röntgenblick werde ich damit allerdings nicht los.
„Du weinst aber. Was ist los?"
Erst als sie das sagt, bemerke ich, dass ich tatsächlich Tränen in den Augen habe. Neue Tränen. Genervt blinzle ich und wische sie schnell weg, um Mirjam nichts von dem Gespräch mit Leon erzählen zu müssen. Es ärgert mich auch so schon, dass ich meine Gefühle nach dem, was grade war, scheinbar doch nicht so unter Kontrolle habe, wie ich mir das gewünscht hätte. Noch einmal schüttle ich vehement den Kopf und versuche dabei, Mirjams Augen diesmal standzuhalten.
„Es ist alles in Ordnung, wirklich. Aber was ist denn mit dir?" Grade fällt mir der kleine Kratzer an ihrer Stirn auf und ich strecke die Hand aus. Sie winkt ab.
„Ach, das ist nichts. Ich bin vorhin quasi über Melanie gestolpert, als ich ihr gefolgt bin und wir sind zusammen hingeknallt. Da hab ich mir den Kopf irgendwo angeschlagen. Nichts Weltbewegendes."
Melanie. Ohne es wirklich zu wollen, folge ich ihrem Blick, der bei der Erwähnung ihres Namens in eine bestimmte Richtung gezuckt ist und sehe, wie Melanie sich in Leons Arme schmiegt, ebenfalls etwas weiter entfernt von den anderen. Schnell wende ich mich ab und bemühe mich, den fetten Kloß in meinem Hals runterzuschlucken, der sich da zu bilden droht. Ich muss mich jetzt davon distanzieren, wenn ich die restliche Nacht durchstehen will. Und überhaupt – es ist einfach vorbei.
Mirjam allerdings scheint diese kleine Regung in meinem Gesicht nicht entgangen zu sein, denn sie runzelt die Stirn.
„Ist irgendwas?"
„Nein" Ich schüttle schnell den Kopf. „Es ist nichts. Alles gut."
Vielleicht würde ich ihr irgendwann davon erzählen. Später, wenn wir diesen ganzen Mist überstanden haben. Aber dann fällt mir die Sache mit Jolina wieder ein und während ich noch überlege, ob ich Mirjam jetzt über das aufklären soll, was Leon mir über die ganze Sache erzählt hat, oder ob nicht auch das jetzt fehl am Platz ist, kommt sie mir zuvor.
„Du, hör mal...ich hab vorhin mit Melanie ein bisschen geredet. So zufällig, sie hat eigentlich sogar damit angefangen. Und zwar haben wir über das gesprochen, was früher passiert ist."
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WOLVES - the secrets we remember || BAND 2
HorrorBAND 2 der "WOLVES"-Trilogie _________________________________________ Zweiundzwanzig Schüler. Ein Klassentreffen. Ein Feuerplatz im Wald. Und ein tödliches Spiel, das die Geister der Vergangenheit wieder heraufbeschwört... Ein Treffen mit der alten...