Kapitel 5

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Vivian.

Maya.

Nathan.

Ida.

Mit jedem meiner Herzschläge taucht einer dieser Namen in meinem Kopf auf. Namen, die über ein Jahr lang verschüttet waren in meinem Gedächtnis – nein, mehr als das: sie hatten nicht einmal existiert. Waren ausgelöscht gewesen. Genauso, wie das Leben dieser Personen sowie jegliche Erinnerung an sie. Ein unkontrolliertes Zittern hat von meinem Körper Besitz ergriffen und schüttelt mich, als wolle es mich wachrütteln. Wachrütteln aus einer Art Dornröschenschlaf, in dem ich über ein Jahr lang gefangen war. In den ich hineinversetzt worden war, kurz nachdem ich sicher war, dass ich diesen Horror ein für alle Mal überstanden hatte. Ich versuche, meine Atmung unter Kontrolle zu halten, doch ich schnappe immer schneller nach Luft, bis ich meine, gleich zu hyperventilieren.

Es ist wieder da. Nach einem Jahr des Vergessens ist es nun wieder da – dieses Spiel das uns beinahe alles gekostet hätte. Mehr als das Leben dieser Personen, deren Namen grade unaufhörlich in meinem Kopf ihre Kreise ziehen.

Ich kneife die Augen zu und schüttle heftig den Kopf. Vivian. Maya. Nathan. Ida. Und jetzt auch Lana. Ich öffne die Augen.

Die Szene vor mir sieht aus, wie verschwommen. Undeutlich. In mir drin fühlt sich alles wie taub an. Ich bin mittendrin, doch irgendwie fühle ich mich wie eine unbeteiligte Zuschauerin. Die Realität dessen, was ich sehe, dringt nur wie durch Watte zu mir durch. Ich sehe – aber ich realisiere nicht, was da vor meinen Augen geschieht.

Lanas Körper liegt auf dem Boden, um sie herum Mila und einige der anderen, die sie berühren, verzweifelte Worte an sie richten, als könnten sie sie doch wie durch ein Wunder wieder zum Leben erwecken. Doch in Wahrheit wissen sie genau, dass das nicht geht. Lana ist tot. Tot. Getötet von ihrer besten Freundin. Isa.

Eine Bewegung links von mir lenkt meinen Blick von Lana weg. Jemand spricht; so laut, dass ich fast zusammenzucke und ein Teil meiner Taubheit verflüchtigt sich.

„Sag mal, bist du wahnsinnig?!"

Lukas wendet sich an Isa und in seiner Stimme liegt fassungslose Wut.

„Warum?" Isa steht etwas abseits und erwidert Lukas' Blick mit zusammengekniffenen Augen. Ihre Hände sind blutverschmiert, genau wie die Nagelfeile, die sie immer noch in der geballten Faust hält. Doch das ist es nicht, was mich schaudern lässt. Es ist der feindselige, kalte Ausdruck in ihren Augen. Es ist, als würde sie das gar nicht jucken, was hier abgeht.

„Ich hab gemacht, was ich tun musste. Sie hat es verdient!" Bitte? Mir wird grade schlecht.

„Verdient?", braust nun Maribel auf und stampft ein paar Schritte auf Isa zu. „Willst du uns eigentlich alle verarschen? Du hast sie umgebracht, verdammt nochmal!", kreischt sie. Mit einer ausholenden Armbewegung deutet sie auf Lana. Doch das einzige, was Isa dafür übrig hat, ist ein abfälliges Schnauben und sie zuckt mit einer Schulter. Als würde ihr das Ganze nichts ausmachen, als würde es sie kaltlassen. Als würde sie tatsächlich selbst glauben, was sie da grade gesagt hat. Einige andere verlieren dabei ebenfalls ihr letztes bisschen Fassung und wieder beginnt ein wildes Durcheinanderreden und -rufen. Alle stürzen sich nun auf Isa und ich spüre, wie sich ihre Fassungslosigkeit und Ungläubigkeit immer mehr in Wut verwandelt. Denn sie verstehen es nicht. Wie denn auch? Für sie ist Isas Verhalten einfach nur unerklärbar und selbst ich, die ja eigentlich weiß, dass Isa unter Einfluss von etwas anderem steht...selbst ich muss mir grade mehrmals einreden, dass die Person, die da grade vor uns steht, nicht sie ist.

„Wir müssen einen Krankenwagen rufen!", ruft schließlich jemand und einige stimmen sofort zu. „Genau! Ruf mal bitte einer an, vielleicht – "

WOLVES - the secrets we remember || BAND 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt