1. Türchen - Yoongi

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1. Türchen: Yoongi

Die Luft in seinem Studio steht. Sie ist so trocken, dass sie ein Teil der Sahara sein könnte, aber sicherlich nicht in ein Musikstudio mitten in Daegu gehört. Er kann mit ihr nicht arbeiten.
Yoongi beobachtet gespannt, wie einzelne Staubkörner durch den Raum schweben. Seinem Equipment hat er den Rücken zugekehrt. Er kann nicht mehr mitansehen, wie ihn die leere Benutzeroberfläche seiner Produktionssoftware verhöhnt. Dort wo eigentlich lässige Beats und wilde Rhymes auf ihn warten sollten, befindet sich nichts weiter als ... nichts.

Er kann in diesem scheiß-stickigen Studio einfach nicht arbeiten. Der Sommer in Daegu ist zu brutal. Das Thermometer hat nicht mal in der Nacht die 26°C Marke verlassen. Yoongi konnte bei der Hitze nicht mal ordentlich schlafen und das geht eigentlich immer.

Es gibt viele Dinge, für die Min Yoongi in seinem Leben prädestiniert ist. Musik ist so eine Sache. Und mit Texten kennt er sich wahrscheinlich auch ganz gut aus.
Aber was überhaupt nicht geht, ist diese stickig-trockenstehende, beschissene Studioluft. Die Klimaanlage musste er ausstellen. Das laute Surren hat ihn gestresst und im Kopf ein bisschen kirre macht. Als würde die kalte Luft nicht durch die Schlitze der Belüftungsanlage surren, sondern sich geradezu zwischen seine Gehirnwindungen quetschen und ihn tiefkühlen.

Wenn es um die richtigen Dinge im Leben geht, dann kann Yoongi eigentlich ziemlich ehrgeizig sein. Geradezu konstruktiv und ausdauernd darin, seinem Ziel konsequent entgegenzuarbeiten. Diesen Charaktereigenschaften hat er wohl schon den ein oder anderen Erfolg in der Musikbranche zu verdanken. Das bringt in gewissen Situationen eindeutig Privilegien mit sich. Wie zum Beispiel eine eigene Klimaanlage im Musikstudio. Die aber auch nichts bringt, wenn sie nichts anderes kann, als einfach nur beschissen zu surren.

Sein Handy vibriert.
Schon wieder.
Yoongi massiert sich die Schläfen in einer dringenden Manier. Er muss atmen, um nicht durchzudrehen. Aber in dieser abgewrackten Studio-Sahara gibt es ja nicht mal das – gescheite Luft zum Atmen. Er versucht drei tiefe Atemzüge zu nehmen, um sich irgendwie zu fangen und dem Anrufer gefasst entgegenzutreten. Es funktioniert nicht.

"FUCK", brüllt Yoongi schließlich wütend und wischt sein Handy in einer ausholenden Bewegung vom Schreibtisch. Dann dreht er sich zurück und beobachtet weiter die unbedarften Staubkörner in der Luft. Er würde auch gerne schweben. Und in Ruhe gelassen werden. Vor allen Dingen in Ruhe gelassen werden.

Heute ist einer dieser Tage, an denen die Welt zu heiß ist, die Stimmen zu schwer und die Erwartungen zu hoch sind. Deswegen hat er sich schon in den frühsten Morgenstunden hinter seinen Studiotüren verschanzt, wollte die Bassboxen laut aufdrehen und mit dem neuen, teuren Programm solange an Beats herumbasteln, bis die Realität hinter der Intensität an Tönen verschwimmt.

Aber es ist nichts passiert. Er sitzt seit über zwei Stunden in dieser verfickt heißen Kammer und er kann nicht atmen und ihm fällt einfach nichts ein.
"FUCK", brüllt er nochmal, aber nur, um seine vorherige Aussage noch einmal zu unterstreichen. Es bringt auch nichts, wenn ihn das Management noch zehntausend Mal anruft. Davon arbeitet er auch nicht schneller. Davon verbinden sich seine kreativen Synapsen doch auch nicht plötzlich.

Eigentlich mag Yoongi die Musikindustrie. Vor allen Dingen, weil sie so laut ist und er mag Musik vor allem dann, wenn sie so richtig laut ist. Aber diese endlose Hektik als fundamentales Charakteristikum macht ihm echt zu schaffen. Er braucht auch mal Ruhe und dieses Gefühl für sich zu sein, aber wenn sich alles um ihn herum ständig ändert und ein Wimpernschlag ausreicht, um die immer gleichen Plastik-Idol-Gesichter auszutauschen und er immer mit den bekanntesten von ihnen zusammenarbeiten soll, dann ist da nicht mehr viel Platz, um für sich zu sein.

Deswegen ist er so froh, dass er nur hinter der Bühne steht und dass die Fans nicht ihm zujubeln, sondern nur seinen Texten. Das ist er wirklich. Ein noch höherer Bekanntheitsgrad würde zu noch mehr Stress führen und Stress ist genau das Wort, für das Yoongi wirklich und in keinem Fall jemals bereit sein wird.

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