11. Türchen: Yoongi

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11. Türchen: Yoongi

"Hast du was zu Essen dabei?", stellt Yoongi die Gegenfrage. Antwortfragen kann er nämlich auch. Ha!

"Ist das die Voraussetzung dafür, dass du mir Angeln beibringst?"

"Und wenn ja?"

Taehyung tapst wortlos zu seinem nassen Rucksack zurück, den er eben zum Trocknen auf einen sonnigen Felsvorsprung gelegt hat. Er kramt eine Weile darin herum, bis ihm wohl selbst auffällt, dass die Gegenstände darin wesentlich besser trocken, wenn sie einzeln auf dem Felsen liegen, statt zusammengeknautscht in einer nassen Hülle sind.

Yoongi kann von seiner Position nicht genau erkennen, was der andere alles aus seiner Tasche hervorkramt und obwohl er eigentlich neugierig ist, ist er auch viel zu faul dafür, um sich jetzt noch einmal zu erheben. Der Eulenjunge wird seine Frage schon nicht vergessen haben, sondern ist einfach ein bisschen langsam im Antworten. Yoongi atmet tief durch. Dieser Wochenendausflug hat ihn jetzt schon sehr viel mehr Nerven gekostet, als er zu Beginn einkalkuliert hatte. Die aufregendste Begegnung sollte eigentlich die mit einem Alaska-Seelachs sein. Myeongtae sollte es abends über dem Lagerfeuer geben. Nun wird's vielleicht doch eher ein Fasten-Tripp. Es sei denn...

"JA, HAB ICH", brüllt Taehyung plötzlich und Yoongi fällt vor Schreck fast von seinem Stuhl. Er hat sich noch nicht daran gewohnt, dass sein unfreiwilliger Compagnon kein Gespür für Lautstärke besitzt. Sie sind kaum 10 Meter voneinander entfernt, also warum zur Hölle schreit er so?

"Ich bin nicht taub", entgegnet Yoongi in einer normalen Lautstärke.

Große Eulenaugen schauen ihn bereits aus der Entfernung fragend an, bevor sich Taehyung wieder von dem Felsvorsprung erhebt und mit seiner Beute auf dem Arm zurück zur Angelstelle kehrt.

"Das habe ich auch nicht erwartet, Hyung. Wir haben uns doch eben schon unterhalten."

Gedanklich schlägt sich Yoongi mal wieder gegen die Stirn. Okay, wir müssen hier wirklich niemanden mehr etwas vormachen... Natürlich führt er die Geste nicht nur in seinem Kopf aus. Durchatmen. Tief durchatmen. Er kann das schaffen. Das hier ist kein Zustand für immer.

"Das habe ich nicht gemeint... Aber egal jetzt, was hast du gefunden?"

"Da! Essen!"

Taehyung wirft ihm verschiedene, lose Verpackungen zu, die Yoongi jeweils aufmerksam betrachtet, bevor er sie zur Seite legt. Nicht das Gesicht verziehen, das wird sicher noch besser. Nanuko Churros, Haitai Schokokekse, Süßkartoffelchips, Dream Pie Sahne-Vanille, Gummibärchen...

"Das ist kein Essen", stellt Yoongi messerscharf fest. Er wird seine Bemühungen, doch noch einen Fisch zu fangen verschärfen müssen. Unter lautem Aufstöhnen erhebt er sich mal wieder von seinem bequemen Campingstuhl und stiefelt zu seiner Angelausrüstung.
"Das sind Snacks."

"Snacks sind auch Essen."

"Von Snacks wird man nicht satt."

"Doch. Man muss nur genug davon essen."

"Wenn man so viel davon isst, dass man davon satt wird, dann ist das nicht nur ungesund, sondern auch ziemlich belastend für dein Gewicht..."
Yoongi muss seine vorherige Meinung revidieren. Dieser Ausflug wird ganz sicher kein Fasten-Tripp, sondern viel eher eine Zuckerkur. Oder vielmehr ein Zuckerschock. Andererseits hat er heute schon so viel Adrenalin verbraucht, dass ihn vielleicht auch einfach gar nichts mehr schocken kann.

"Du klingst wie meine Mutter."

"Dann ist deine Mutter eine weise Frau", nimmt Yoongi Abstand von der Option beleidigt auf diese Antwort zu reagieren und konzentriert sich stattdessen darauf, eine zweite Angel mit entsprechendem Angelhaken und Köder auszustatten. Er steht beinah knietief im Wasser, als er mit der Angel in einem hohen Bogen ausholt und den Haken mehrere Meter weit von sich entfernt versenkt. Taehyung beobachtet ihn dabei mit aufmerksamen Augen. Er spürt die Eulenhaftigkeit sogar bis in seinen Rücken.

"Das ist sie. Und ich esse oft so viele Süßigkeiten, bis ich satt bin. Oder mir schlecht ist. Aber ich bin trotzdem noch nicht dick geworden", sagt Taehyung und blickt dabei prüfend an sich herab, als müsste er sich tatsächlich davon überzeugen, dass er noch kein Gramm Schokolade an seinem Bauch angesetzt hat. Durch das nasse Shirt fällt es Yoongi nicht schwer seinem Blick zu folgen. Aber alles was der nasse Stoff abzeichnet, sind lediglich ein flacher Bauch und feindefinierte Muskeln. Mhhhmmm... Nicht abschweifen.... Bleib beim Thema....
Das flatterhafte Gefühl in seiner Magengegend kommt von einer wütenden Hornisse und nichts anderem. Und sie könnte jeden Moment zustechen und dann würde es ganz doll weh tun. Yoongi ist genervt davon, dass der fischartige Eulenjunge mit seinem Nichtschwimmerwesen seine ruhigen Wochenendpläne durchkreuzt hat. Das darf er nicht vergessen.

"Dann machst du genug Sport."

"Zählt Fotografieren als Sport?"

"Wohl eher nicht."

"Dann mache ich keinen Sport."

"Du willst mich doch verarschen?!", diesmal lässt Yoongi seinen Blick offensiv an Taehyungs Körper hinab wandern. Sogar die entblößten Oberarme wirken muskulös und niemals kann ein einzelner Mensch so viel Glück in seinem Leben haben, dass nicht nur sein Gesicht trotz aller Eulenhaftigkeit absolut atemberaubend ist, sondern auch noch seine natürliche körperliche Verfassung den Status "Verführung" verliehen bekommen hat. No fucking way. Mal wieder.

"Hyung, sei doch einfach froh, dass ich Essen für uns habe und wir nicht verhungern müssen."
Ganz offensichtlich sind ihm Yoongis forsche Blicke auf seinem Körper unangenehm. Zumindest windet sich der Angesprochene peinlich berührt unter ihnen und wird tatsächlich ein wenig rot im Gesicht.

"Hab ich mich denn mit den Süßigkeiten qualifiziert? Zeigst du mir jetzt, wie man angelt?", beeilt sich Taehyung damit das Thema zu wechseln.

"Bist du dann ruhig?"

"So stumm wie ein Fisch."

Oh, er hat absolut keine Ahnung, wie treffend sein Vergleich ist.  

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