19. Türchen: Yoongi

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19. Türchen: Yoongi

Yoongi räuspert sich verhalten, um den Frosch im Hals endlich zu loszuwerden. Er und Taehyung sitzen beide hochrot nebeneinander, fokussieren die kochende Suppe als würde ihr Leben davon abhängen und niemand traut sich ein Wort zu sagen. So kann es nicht weitergehen.

Mittlerweile hat ihn zwar sein inneres Mantra (atmen, Yoongi, alles wird gut) dazu animiert, den Kopf nicht vollständig in den Sand zu stecken, aber Taehyungs körperliche Nähe vernebelt ihm trotzdem noch die Gedankenbahnen.

"In meinem Rucksack sind noch zwei Schüsseln, kannst du sie bitte holen?", durchbricht er deswegen die Stille und deutet mit einem Kopfnicken in Richtung seiner Angelausrüstung. Das ist zwar nicht der geschickteste Versuch, aber zumindest bringt er auf diese Weise zumindest ein bisschen Abstand zwischen sie und er kann die Distanz zur dringend notwendigen Regeneration nutzen.

Die Sonne ist mittlerweile hinter dem Horizont verschwunden und lässt den Himmel in einem müden orangerot erstrahlen. Es ist diese eine letzte Stunde am Tag, die es nur im absoluten Hochsommer gibt, wenn die Tage am längsten sind. Es ist diese Zeit, in der sich das Licht mit einem langsamen und zärtlichen Streicheln deiner Wange von dir verabschiedet und dir zum Abschied einen ganz bestimmten dunkelgoldenen Glanz schenkt, der dir Melancholie und Hoffnung in gleichen Maßen in dein Herz pflanzt. Diese Farbe, die kein Filter der Welt jemals nachbilden kann, weil sie fast schon so greifbar ist wie ein Gefühl. Kein Wunder, dass Yoongis Gefühle deswegen latent am Durchdrehen sind. So eine lächerlich romantische Stimmung ist in seinem Liebesleben nicht mehr vorgekommen, seit er zwanzig war. Damals hat er noch Kerzen aufgestellt, den Sonnenuntergang beobachtet und Sternschnuppen gezählt.
FUCK.

Das hier ist nicht mal ein Date.

Taehyung erhebt sich ziemlich umständlich von seinem Campingstuhl und trottet mit ungelenken Schritten zu Yoongis Rucksack. Vielleicht ist er immer noch verlegen von der vorherigen Situation oder vielleicht ist er auch einfach nur ein bisschen ungeschickt. Yoongi kann sich zumindest über seine unbequemen Verrenkungen keine Gedanken machen, denn die dunkelgoldene Sonnenuntergangsfarbe verleiht Taehyungs rotglühenden Wangen einen anbetungswürdigen Glanz. Fast ein bisschen so, als hätte sich die Sonne in ihn verliebt und würde sich deswegen so eng an seinen Körper schmiegen.
Es ist der perfekte Moment und deswegen denkt Yoongi auch gar nicht viel nach, als er nach seinem Handy greift und im nächsten Moment eine malerische Bilderserie von dem Sonnenuntergangsjungen schießt.

Als Taehyung schließlich an die Feuerstelle zurückkehrt, sind seine Schritte schon nicht mehr ganz so ungelenk. Irritiert betrachtet er das Handy in Yoongis Hand und bleibt in einiger Entfernung zu ihm stehen.

"Hast du mich gerade fotografiert?", erkundigt er sich verwundert.

"Sieht das danach aus?"

"Irgendwie... schon?", entgegnet Taehyung und es ist wieder eine dieser Antwortfragen, an die sich Yoongi wohl nie so richtig gewöhnen wird.

"Dann vielleicht", antwortet er und steckt sein Handy jetzt doch zurück in die Hosentasche, damit er die Schüsseln aus Taehyungs wartenden Händen entgegennehmen kann.

"Vielleicht ist keine Antwort."

"Deine Antworten sind auch nie Antworten."

"Hä?"

"Meistens stellst du nur Gegenfragen."
Yoongi hebt während seiner Aussagen nicht einmal den Blick. Das macht es ein bisschen leichter mit Taehyung zu sprechen, weil sich dann nicht ständig seine nackte Silhouette vor sein inneres Auge schiebt und die Realität verzerrt (nicht, dass Yoongi etwas dagegen gehabt hätte, wenn Taehyung weiterhin nackt geblieben wäre. Hier am Feuer ist es schließlich wirklich sehr warm und die Suppe wärmt ja auch von innen heraus und Yoongi ist außerdem eine ganz wunderbare Menschenheizung und... wir schweifen ab. Mist. Er sollte besser endlich die Suppe in diese verdammten Schälchen füllen.)

"Mach ich das?", entgegnet Taehyung irritiert.

"Siehst du."

"Oh. Okay.
Also... also du hast mich fotografiert."
Taehyungs Stimme gibt sich die größte Mühe damit, nicht schon wieder wie eine Frage zu klingen. Nach der angebotenen Schale greift er automatisiert. Der eigentliche Fokus liegt auf ihrem Gespräch.

"Erwischt", zuckt Yoongi unbeteiligt mit den Schultern und pustet vorsichtig in seine Schale, um die heiße Suppe darin ein wenig abzukühlen.

"Warum?"

"Vielleicht hat mir das Motiv gefallen", der junge Yoongi (wir erinnern uns: die wilden Jahre) klopft sich innerlich stolz auf die Schultern. Dann verzieht sich sein Mund zu einem breiten Grinsen und er ergänzt: "Oder vielleicht wollte ich selbst schon immer Influencer werden."

"Mach dich bitte nicht über mich lustig. Ich weiß... viele Leute nehmen Influencer nicht ernst, aber... ich mag meinen Beruf."

"Ich nehme dich ernst", sagt Yoongi überrascht, weil er nur einen Spaß machen wollte und natürlich von seiner Situation ablenken und das eine mit dem anderen für ihn überhaupt nichts zu tun hatte.

"Ich weiß", seufzt Taehyung in seine Worte. Dann ergänzt er: "Ich wollte früher wirklich Musik machen", und wirkt dabei ein wenig beschämt. Yoongi ist von dem plötzlichen Themenwechsel so irritiert, dass er sich als Ablenkung auf seine Suppe konzentriert und zwei, drei vorsichtige Löffel probiert.

"Schmeckt gut, Hyung", sagt sein Gegenüber und pustet nun seinerseits vorsichtig auf das dampfende Essen. Scheinbar animiert ihn die Stille dazu weiterzusprechen.
"Ich habe sogar mal ein Lied geschrieben. Das ist aber schon lange her", setzt er seine Beichte fort.

Und weil ihm Taehyung so etwas Intimes von sich berichtet (zumindest hat Yoongi den Eindruck, dass es ziemlich intim ist. Sogar noch weit mehr als der unfreiwillige Striptease von vorhin. NICHT ABLENKEN LASSEN!), möchte Yoongi irgendwie nachziehen.
"Ich versuche gerade ein Lied zu schreiben", erklärt er. "Deswegen bin ich hier. Es... klappt nicht so richtig und die ganzen Volldeppen im Studio verstehen nie, dass wenn sie mich unter Druck setzen, meine kreativen Synapsen sich auch nicht schneller verknüpfen."

"Mhmmm", gibt sein Compagnon ein zustimmendes Geräusch von sich. "Ich kann auch nicht immer Fotos machen. Manchmal... fühlt sich irgendwie alles falsch an, weißt du? Ich weiß nicht, ob das vergleichbar ist, aber... ich kann verstehen, dass man ein kreatives Produkt nicht erzwingen kann. Irgendwie muss das aus dem Herzen kommen."

Yoongi nickt stumm vor sich hin. Natürlich versteht er. Aber irgendwie hätte er dem eulenartigen Fischjungen so viel Empathie gar nicht zugetraut.
"Singst du mir dein Lied vor?", fragt er. "Vielleicht regt das ja meine Gedankenprozesse an."
Zumindest dein nackter Körper regt noch ganz andere Dinge bei mir an, will der junge Yoongi noch hinterherwerfen, aber die ältere Version seines Selbst kann ihm noch im letzten Moment den Mund zu halten. Puh. Das war knapp. Beinah wäre der Moment zerstört gewesen.

Taehyung bekommt von der Rauferei in seinem Inneren nichts mit. Sein Blick ist wieder auf die Schüssel in seinen Händen gerichtet und vielleicht trägt er seinen ganz eigenen Kampf im Inneren aus.
Aber schließlich ertönt ein leises Summen, dass alle Hintergrundgeräusche locker in die Tasche steckt.

"I still wonder, wonder, beautiful story
still wonder, wonder best part
I still wander, wander next story....
I want to make you...
mine."  

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