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- 24.12. -

- Lola -

„Der Tannenbaum ist ja voll schön geworden, Lola!“, höre ich Amélie sagen, als ich mit meiner Jacke überm Arm und meinen Winterschuhen in den Händen durch die Terrassentür ins Wohnzimmer und dann in den Flur stürme.
„Lola?“, höre ich Thibault fragend hinter mir herrufen, doch ich stapfe weiter.
Einfach weiter.
So als würde ich Scheuklappen tragen und die Zwillinge gar nicht bemerken.
Denn ich weiß genau, dass ich meine Wut sonst an den beiden auslassen würde und das will ich um jeden Preis verhindern.
Schließlich können sie nichts dafür, dass dieser schmierige Pierre so ein gottverdammter Penner ist!
Pierre, der Penner...was für ein passender Titel…
Und dass Zoe dann trotzdem noch diesen Kerl in Schutz nimmt…
Mit einem Schnauben knalle ich meine Winterschuhe vor die Garderobe auf den Boden und hänge die Jacke achtlos an der Kapuze an einen der Haken, bevor ich mich umdrehe und zur Treppe stapfe, welche in die erste Etage führt.
Ich will jetzt einfach nur allein sein.
Niemanden sehen.
Niemanden hören.
Besonders nicht diesen Pierre!
Und auch nicht…
„Chérie!“
Ich unterdrücke ein weiteres Schnauben und schaue bewusst nicht in die Richtung, aus der Zoes Stimme zu mir dringt.
„Lass mich in Ruhe, Zoe“, entgegne ich stattdessen und beschleunige meine Schritte auf dem Weg zur Treppe.
Ich habe schon den Fuß auf der ersten Treppenstufe und eine Hand auf dem Geländer platziert, als ich eine andere Hand an meiner Schulter spüre, die mich wieder runterzieht und herumdreht.
„Chérie, bitte“, sagt Zoe und schaut mich eindringlich aus ihren braunen Augen an, „bitte lass uns doch reden und die ganze Situation in Ruhe klären. Ich bin mir sicher, dass Pierre…“
„Hast du mir vorhin nicht zugehört?“, unterbreche ich Zoe und schiebe ihre Hand unsanft von meiner Schulter, „ich will mit diesem Kerl nichts klären!“
„Aber chérie…“
„Kein aber, Zoe!“, fauche ich und kann nicht verhindern, dass meine Stimme dabei etwas lauter wird, „nochmal zum mitschreiben, ich will mit diesem Kerl nichts klären! Ich will mit diesem Kerl nicht reden! Ich will mit diesem Kerl heute Abend nicht mal zusammen Weihnachten feiern!“
„Ach komm schon, Lola“, seufzt Zoe und verschränkt mit einer gehobenen Augenbraue die Arme vor der Brust, „findest du das nicht ein bisschen albern?“
„Albern?! Wer hat denn den Schneeball…“
„Ja, Pierre hat sich auch mehr als albern verhalten, das streite ich gar nicht ab“, seufzt Zoe, während sie mich halb genervt, halb erschöpft ansieht, „aber du verhältst dich jetzt mindestens genauso albern, indem du die Angelegenheit nicht klären möchtest und stattdessen einfach wutentbrannt wegläufst und der Situation damit ausweichst, zumal das auch sonst überhaupt nicht deine Art ist. Und außerdem sind wir doch schließlich hierher gekommen, um ein friedliches Weihnachtsfest mit meinen Eltern und der Familie meiner Schwester zu verbringen und…“
„Genau das ist doch der springende Punkt, Zoe“, schnaube ich und trete einen Schritt auf sie zu, „ich habe meine Familie an Weihnachten alleine gelassen, um mit deiner Familie Weihnachten zu feiern. Aber Pierre gehört nicht zu deiner Familie! Er war ja nicht mal eingeladen!“
„Aber Pierre ist mein bester Freund!“, entgegnet Zoe und tritt ebenfalls einen Schritt auf mich zu, während ich mir nur mit Mühe ein Augenrollen verkneifen kann, „Rohan und die anderen haben letztes Jahr auch zusammen mit uns gefeiert und da habe ich mich auch nicht so dagegen gesträubt wie du jetzt.“
„Nur mit dem Unterschied, dass Rohan und die anderen unsere Beziehung akzeptieren und nicht sabotieren!“
„Was?“ Für einen Moment hält Zoe inne und schaut mich mehrfach blinzelnd an, bevor sie langsam mit dem Kopf schüttelt. „So ein Quatsch! Wie kommst du denn jetzt darauf?“
„Überleg doch mal“, seufze ich und hole tief Luft, „allein das wir uns gerade streiten, wird deinen lieben Pierre insgeheim doch mehr als freuen.“
„Und…warum?“
„Verdammt, weil er was von dir will, Zoe!“
Mein eindringlicher Blick begegnet Zoes verständnislosen Gesichtsausdruck, bevor sich ihre Stirn langsam runzelt. „Hat Marie dir etwa diesen Floh ins Ohr gesetzt?“
„Was? Nein! Und das musste sie auch gar nicht! Das sieht doch jeder, der Augen im Kopf hat! Und nur weil du zu blind oder naiv bist, um das zu erkennen...“
„Ich bin weder blind noch naiv!“, entgegnet Zoe und die Heftigkeit ihres Einwands lässt mich kurz zusammenzucken und ich schlucke schwer, als ich das wütende Funkeln in ihren braunen Augen bemerke.
Verdammt…das Letzte, was ich will, ist ein Streit mit Zoe…und dann auch noch an Weihnachten…
Ich senke meinen Blick und atme tief durch, bevor ich wieder zu Zoe schaue, deren Blick glücklicherweise auch wieder etwas weicher geworden ist.
„Zoe…“, beginne ich und hole erneut tief Luft, während ich abwechselnd zwischen dem Boden und ihr hin und her schaue, „ich…also…“
„Alles in Ordnung, ihr beiden?“
Ich muss nicht mal zur Seite schauen, um zu wissen, dass die Stimme zu Pierre gehört und kann ein genervtes Aufstöhnen nicht verhindern, als er durch den Flur auf uns zukommt.
Hat dieser Penner eigentlich nichts anderes zu tun sich als immer wieder einzumischen?!
„Lola…“, Zoes Blick ist bittend, fast schon flehend, „komm schon, chérie…wir klären das zwischen euch und…“
„Vergiss es, Zoe.“
Mit einem Kopfschütteln drehe ich mich von Zoe weg und stürme über die Treppe nach oben in die erste Etage.

- Zoe -

„Lola! Lola, bitte! Lass uns doch reden!“, rufe ich ihr nach, aber Lola läuft einfach weiter die Stufen hoch und schaut sich nicht mehr zu mir um.
Lola…
Ach, verdammt…was soll das denn?
„Regt sie das wirklich so sehr mit dem Schneeball auf?“, fragt Pierre, der inzwischen neben mich getreten ist und mit einer gehobenen Augenbraue ebenfalls über die Treppe schräg nach oben in die erste Etage hoch schaut, „ist so ein Verhalten nicht ein bisschen kindisch?“
„Das könnte man auch zu deiner Schneeball-Aktion sagen“, erwidere ich trocken und schaue von der Treppe zu Pierre, der mich für einen Augenblick mehrfach blinzelnd und mit einem recht überraschten Blick betrachtet, bevor er mir ein leichtes Lächeln schenkt.
„Oui, das stimmt“, sagt er und zuckt mit den Schultern, während er seine Hände in den Hosentaschen vergräbt, „aber ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass deine kleine Freundin so empfindlich darauf reagiert.“
„Empfindlich?!“, mit einem Schnauben drehe ich mich vollständig zu Pierre, „du hast Lola ohne Grund einen Schneeball in den Nacken geworfen!“
„Ja, aber es war ein Scherz, Zoe“, erwidert Pierre ruhig, während er mich weiter ungetrübt anlächelt, „vielleicht ein wenig unnötig und albern, aber trotzdem immer noch ein Scherz. Und wenn deine Lola ein Problem damit hat, dann kann sie es doch wie eine erwachsene Frau mit mir klären und nicht wie ein kleines beleidigtes Mädchen einfach davonlaufen, oder?“
Mein Mund öffnet und schließt sich mehrfach, während ich in meinem Kopf fieberhaft nach einer passenden Konterantwort suche, bis ich schließlich mit einem tiefen Seufzer zur Seite schaue.
„Ach, um den Schneeball geht es doch auch eigentlich gar nicht...“, murmle ich und spüre, wie sich verwunderte Züge auf Pierres Gesicht ausbreiten.
„Und worum dann?“, höre ich ihn fragen, doch anstatt ihm darauf eine Antwort zu geben, schüttle ich nur mit dem Kopf.
Ich kann Pierre unmöglich etwas von Lolas Unterstellung und diesem albernen Verdacht erzählen…
Damit mache ich sie ja noch lächerlicherer, als sie sich ohnehin schon vor ihm durch ihre Reaktion auf den Schneeball gemacht hat…
„Ist nicht so wichtig. Ich glaube, Lola hat da einfach etwas falsch verstanden“, erwidere ich ausweichend und straffe meine Schultern, bevor ich wieder aufschaue und mich an Pierre vorbei in Richtung Küche schiebe, „ich…schaue nochmal nach dem Essen…“

Weihnachten Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 2) (girlxgirl; christmas) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt