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- 23.12. -

- Lola -

Nachdenklich kaue ich auf meiner Unterlippe, während ich das Haus betrachte, vor dem Zoe ihr Auto geparkt hat.
Durch den gepflegten Vorgarten schlängelt sich ein gepflasterter Weg zu der breiten Veranda, welche sich vor dem zweistöckigen Haus aus kaminrotem Stein erstreckt und von einem schmalen Vordach überdeckt wird, welches wiederum dem schwarzen Satteldach des Hauses gleicht.
Auf den ersten Blick hin wirkt es recht idyllisch und einladend und man sieht dem Haus einfach an, dass Zoe hier eine fröhliche und unbeschwerte Kindheit und Jugend verbracht hat.
Ein Eindruck, den Zoes bisherigen Erzählungen aus dieser Zeit nur bestätigt haben.
Und trotzdem kann ich das flaue Gefühl nicht verhindern, das nach und nach in meinem Magen aufsteigt, als ich das Haus weiter mustere.
Dieser Ort hier wirkt so…schön.
So perfekt.
So…so als würde ich hier gar nicht hingehören…als würde ich nicht zu Zoe gehören…
„Da wären wir!“
Zoes fröhliches Kichern reißt mich aus meinen Gedanken und ich brauche einen Moment, bis ich realisiert habe, dass sie sich bereits abgeschnallt hat und die Autotür aufstößt, um auszusteigen.
Mehrfach blinzelnd schaue ich auf den nun leeren Fahrersitz, bevor ich meinen Sicherheitsgurt löse und ebenfalls aussteige, wenn auch etwas zögernder.
„Na, komm schon, chérie! Nicht so schüchtern. Das ist doch auch sonst nicht deine Art“, kichert Zoe und zwinkert mir vielsagend über das Autodach hinweg zu, während ich zwischen Zoe und dem Haus hinter ihr hin und her schaue.
„Ich…ähm…ja“, murmle ich und muss mich zusammenreißen, um das Gesicht nicht zu verziehen, als das mulmige Gefühl in meinem Magen etwas stärker wird.
Zum Glück scheint Zoe das nicht zu bemerken, denn sie wendet sich halb lachend, halb kopfschüttelnd zu dem Haus um und schaut dann wieder zurück zu mir.
„Und? Gefällt es dir?“, fragt sie, während langsam Röte in ihre Wangen steigt.
Ob von der Kälte oder vor Aufregung hätte ich nicht sagen können, vermutlich beides.
Ich hingegen müsste eigentlich immer blasser werden…oder zumindest grün, so übel wie mir gerade ist…
Bemüht mir immer noch nichts anmerken zu lassen, presse ich die Lippen fest aufeinander und nicke langsam, was Zoe erneut aufkichern lässt.
„Oh, das freut mich riesig! Ich hatte schon befürchtet, dass du es vielleicht zu spießig finden könntest.“
Die überraschende Unsicherheit in Zoes Blick lässt mich schnell den Kopf schütteln.
„Nein…ich…es ist schön, Zoe. Wirklich sehr schön.“
Zoes Mundwinkel heben sich zu einem breiten Lächeln, bevor sie mir erneut zuzwinkert.
„Und von innen ist es noch viel schöner als von außen“, fügt sie in einem verschwörerischen Ton hinzu und lacht leicht auf, während ich langsam nicke.
„Ja…ähm…wie gesagt…wirklich sehr schön.“
Ich zwinge mich zu einem Lächeln und schaue wieder zu dem Haus, in der Hoffnung mich von meiner immer weiter aufsteigenden Übelkeit abzulenken…leider nur mit mäßigem Erfolg…
Und zu allem Überfluss spüre ich nun auch noch, wie Zoes Blick in meine Richtung immer nachdenklichere Züge annimmt…na super…
„Ist wirklich alles in Ordnung, chérie?“, fragt sie und ich sehe aus den Augenwinkeln, wie sie prüfend eine Augenbraue hebt.
„Ja…natürlich“, presse ich mühsam hervor, lasse meinen Blick jedoch sinken und vermeide es, sie bei meiner Antwort anzusehen.
Denn spätestens wenn Zoe mir in die Augen schaut, wird sie erkennen, dass etwas nicht stimmt.
Und das möchte ich nicht.
Erst recht nicht, nachdem sie mir gerade nochmal versichert hat, dass es nichts zwischen uns ändern würde, wenn ihre Familie mich nicht mögen sollte.
Nein, dieses Weihnachten soll perfekt werden.
Es soll für Zoe perfekt werden…und ohne eventuelle Zweifel oder Sorgen meinerseits sein…
„Bist du dir sicher, chérie?“, fragt Zoe vorsichtig, während ich immer noch krampfhaft versuche, sie nicht anzusehen, „du wirkst so…“
„Zoe!“

- Zoe -

Ein wenig erschrocken über den zweistimmigen, aber dennoch synchronen Ausruf wirbele ich herum und sehe, wie Amélie und Thibault quer durch den Vorgarten auf mich zustürmen.
„Hey ihr zwei!“
Lachend trete ich ein paar Schritte auf die beiden zu und hocke mich hin, nur um kurz darauf eine stürmische Doppelumarmung von den Zwillingen zu erhalten.
„Da bist du ja endlich!“, ruft Amélie, die sich als erstes aus der Umarmung löst und aufkichert, als ich ihr eine hellbraune Haarsträhne hinters Ohr streiche, „wir warten schon totaaaal lange auf dich!“
„Ehrlich?“ Überrascht hebe ich die Augenbrauen und schaue von Amélie zu Thibault, der sich auch wieder von mir gelöst hat und mich nun die beiden Siebenjährigen aus ihren großen dunkelbraunen Augen anschauen. „Wie lange seid ihr denn schon hier?“
„Seit gestern“, antwortet Thibault und grinst mich breit an, während sich meine Augenbrauen noch mehr heben.
„Wirklich?“
„Ja“, sagt Amélie und nickt eifrig, „Mama meinte, dass das besser ist.“
„Ja, weil doch heute so viel Stau ist“, ergänzt Thibault auf meinen fragenden Blick hin, während er weiter mit seiner Schwester um die Wette grinst.
„Und damit hatte ich ja auch nicht ganz unrecht.“
Ich schaue auf und sehe, wie Marie durch den Vorgarten auf uns zukommt.
Ihre blonden Haare sind seit unserer letzten Begegnung ein Stück länger geworden, aber das vorwitzige Strahlen in ihren grünen Augen ist wie immer ungetrübt.
Als sich unsere Blicke treffen, breitet Marie lächelnd ihre Arme aus, was mich ebenfalls lächeln und aufstehen lässt.
„Na? Hast du mich vermisst, Zouzou?“, fragt sie, während ich mich mit einem leichten Augenrollen an den Zwillingen vorbeischiebe und kurz darauf fest von Marie umarmt werde.
„Wie lange willst du diesen albernen Spitznamen eigentlich noch für mich verwenden?“, frage ich, während ich den vertrauten Duft des blumigen Parfüms einatme, welches Marie schon seit unserer Jugend verwendet.
„So lange, bis mir ein noch albernerer Name für dich einfällt. Oder bis mich deine Reaktion darauf irgendwann langweilt. Aber ich denke, dass weder der eine noch der andere Fall bald
eintreten wird…Zouzou.“ Marie löst sich mit einem diebischen Kichern aus der Umarmung, während ich erneut die Augen verdrehe. „Aber eines muss ich dir lassen. Du hast einen guten Geschmack.“
„Ähm…wie bitte?“, frage ich und blinzele mehrmals, woraufhin Marie mit ihrem Kopf über meine Schulter hinweg und damit hinter mich deutet.
Ich drehe meinen Kopf und erblicke Lola, die immer noch an meinem Auto steht und ein wenig unschlüssig in unsere Richtung schaut.
Verwundert hebe ich eine Augenbraue, als ich sehe, wie Lola wieder und wieder auf ihrer Unterlippe kaut und unruhig von einem Fuß auf den anderen tritt.
Was hat sie denn nur?
Ist sie etwa immer noch nervös?
Ich habe ihr doch gesagt, dass meine Familie sie mögen wird…
„Da hast du dir ja wirklich eine ganz Hübsche ausgesucht“, raunt Marie und stößt mir mit einem verschwörerischen Blick gegen meine Schulter, während eine verlegene  Hitze in meine Wangen steigt, „wirklich sehr sehr hübsch. Jetzt bleibt nur noch die Frage, was sie an dir findet.“
„Na, vielen Dank“, erwidere ich und schneide meiner Schwester eine Grimasse, wobei meine Wangen jedoch weiterhin wie ein Kaminfeuer vor sich hinglühen.
„Ach, Zoe“, lachend, aber mit einem versöhnlichen Blick, streicht Marie mir über den Arm, „du weißt doch, dass ich nur Spaß mache. Pass auf, deine Hübsche scheint ja ein wenig
aufgeregt zu sein…was ich übrigens total nachvollziehen kann, wenn ich an Constantins erstes Treffen mit unseren Eltern zurückdenke…also, was hältst du davon, wenn ich mit den Kindern schon mal ins Haus gehe und den anderen Bescheid sage, dass ihr da seid? Und ihr beiden kommt dann einfach nach, wenn ihr soweit
seid.“
Mit einem dankbaren Blick lächle ich meine große Schwester an und nicke. „Das wäre wunderbar.“
„Alles klar, dann machen wir es so. Also, bis gleich, Zouzou.“
Frech grinsend zwinkert Marie mir zu, bevor sie in die Hände klatscht, um damit die Aufmerksamkeit von Amélie und Thibault zu gewinnen, die Lola bereits von der Ferne mit neugierigen Blicken und schief
gelegten Köpfen mustern.
„Kommt schon, ihr beiden! On y va!“
„Aber…aber was ist denn mit Zoe? Und mit ihrer Freundin?“, fragt Amélie, während sie und ihr Bruder, wenn auch zögernd, hinter Marie herstolpern.
„Genau! Sollen wir denn nicht alle zusammen rein gehen?“, fragt Thibault und läuft etwas schneller, um neben seiner Mutter laufen und zu ihr hoch schauen zu können, während Marie weiter zielstrebig auf das Haus zusteuert.
„Die beiden kommen gleich nach. Und wir sagen in der Zeit Papa, Oma und Opa Bescheid, d'accord?“
„D'accord!“
Der zustimmende und erneut synchrone Ruf von Amélie und Thibault wird von fröhlichem Kichern begleitet, als die Zwillinge an Marie vorbei und zurück zum Haus laufen, während meine große Schwester ihnen mit gemächlichen Schritten folgt.
Kopfschüttelnd, aber lächelnd, drehe ich mich wieder um und gehe zurück zu meinem Auto, an welchem Lola immer noch steht und mich etwas verunsichert aus ihren blauen Augen
ansieht.
„War…war das deine Schwester?“, fragt sie, als ich vor ihr stehen bleibe und ihre inzwischen halb erfrorenen Hände mit meinen warmen Fingern umschließe.
„Ja, das war Marie“, sage ich und nicke, während ich Lola mit einem sanften Lächeln betrachte, „und die beiden Kinder waren Amélie und Thibault, meine Nichte und mein
Neffe.“
„Das dachte ich mir schon“, murmelt Lola und schenkt mir ein schwaches Lächeln, wobei die steigende Unruhe jedoch mehr als deutlich in ihrem Blick zu sehen ist. „Wer…wer ist denn
sonst noch alles von deiner Familie da?“
„Nur noch Maries Mann, Constantin, und natürlich meine Eltern. Ihnen gehört ja schließlich das Haus“, erwidere ich mit einem leichten Lachen und hebe unsere ineinander
verschlungenen Hände etwas an, um jeweils einen warmen Kuss auf Lolas kalten Händen zu platzieren. „Du musst wirklich keine Angst haben, chérie. Es freuen sich alle schon so sehr darauf, dich endlich kennenzulernen. Erst recht seitdem ich im Frühling kurz vor deinem
Abschluss hier gewesen bin und meinen Eltern und Marie von dir erzählt habe.“
„Dann kann ich ja nur hoffen, dass ich diesen Erwartungen auch gerecht werde“, erwidert Lola und lacht kurz und trocken auf, bevor sie mit einem tiefen Seufzer ihren Blick senkt und
erneut auf ihrer Unterlippe kaut.
Für einen Moment betrachte ich sie schweigend, bevor ich mich langsam zu ihr vorlehne.
„Mach dir keine Sorgen, chérie“, flüstere ich und küsse erst ihre Stirn, dann ihre Wangen, ihre Nasenspitze und ihren Mund und lehne mich anschließend wieder zurück, um ihr fest in die Augen zu schauen. „Ich bin bei dir.“
Lola schluckt schwer, erwidert jedoch meinen Blick und nickt dann zu meiner Erleichterung nach einer Weile.
„Ich weiß“, sagt sie leise und lächelt mich sanft an, was mich ebenfalls lächeln lässt und ich löse eine meiner Hände von ihr, um ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen.
„Also…bist du bereit?“, frage ich vorsichtig und muss noch breiter lächeln, als Lola sich seufzend und mit geschlossenen Augen in meine Berührung lehnt, bevor sie ihre Augen wieder öffnet und nickt.
„Ja…das bin ich.“

Weihnachten Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 2) (girlxgirl; christmas) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt