Die Begegnung

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Allison O'Sullivan, das kleine unschuldige Mädchen mit der Zahnspange, zumindest war ich das einmal, bevor ich anfing meinen Lüsten nachzugehen und meinen Verstand auszuschalten. Und so fing alles an: 

In Gedanken verloren spürte ich die warmen, leidenschaftlichen Küsse von Liam an meinem Hals, doch das einzige woran ich denken konnte war der neue, mysteriöse Mann aus meinem Geschichtskurs. ,,Was ist los, Alli?'',, fragte Liam verwundert als er bemerkte, dass ich ihm keinerlei Aufmerksamkeit schenkte. ,,Nichts, ich bin einfach müde'', log ich gekonnt und rauschte alleine ab. Wieso und warum der Geheimnisvolle mir nicht aus dem Kopf ging, war mir selbst ein Rätsel doch eines stand fest: Ich fühlte mich zu diesem Mann mehr hingezogen, als zu meinem eigenen Freund. Schon oft dachte ich über eine Schlussmachszene nach, doch Liams Eltern sind die angesehensten Personen unserer Stadt. Meine Eltern sehen unsere Beziehung daher als Mittel zum Zweck: Schicke Autos, Tanzveranstaltungen und eine Privatschule sind nur wenige der Vorteile, die meine Familie durch diese Bindung erzielen konnte. Nach der Schule entschied ich mich dazu, nicht sofort nach Hause zu gehen. Stattdessen lief ich zu meinem Lieblingsplatz, abseits der Stadt und den Menschen, einmal quer über ein Feld und hinein in den dunklen, kalten Fichtenwald. Auch als kleines Kind kam ich oft hierher, denn soziale Kontakte aufrecht zu halten war noch nie meins. Ich kletterte also auf das alte Dach der zerfallenen Hausruine und ließ mich nieder. Hier schien alles so friedlich und still, doch wenn man genauer hinsah war es ein Ort voller Abenteuer und Geheimnisse, manchmal meint man sogar die Stimme der verstorbenen Hausbesitzerin Mahia zu hören, die der Legende nach seit 50 Jahren auf ihren ebenfalls verstorbenen Mann wartet. Im Gegensatz zu meinen peniblen, arroganten Erzeugern, liebte ich die Gefahr, doch leider bekam ich sie nie zu spüren. Mein Leben ist wie ein Glaskasten, jeder weiß alles über mich, aber ich weiß nichts über die Welt und werde immerzu beschützt. Ein Schatten wandert nur wenige Meter weiter an mir vorbei und direkt steigt das Adrenalin in mir. Vielleicht ein Wolf oder gar die tote Mahia?  Neugierig wollte ich dem Schatten hinterher, allerdings rutsche ich aus heiterem Himmel aus und hing hilflos an der rostigen Regenrinne, die jeden Moment abzustürzen droht.  ,,Scheiße'' , fluchte ich während ich versuchte mich wieder hochzuziehen.

,,Kann man dir irgendwie behilflich sein, Kleines?'', ertönte eine raue Stimme unter mir, die mich augenblicklich erzittern ließ. Ich schaute nach unten und erschrak: ER stand unmittelbar unter mir...ER!! ,,Nein, das geht schon'', sagte ich nervös und genervt zugleich. Schulterzuckend kehrte er mir den Rücken zu und verschwand im Dunkeln des Waldes. Nun war ich scheinbar wieder auf mich alleine gestellt und wusste, meine Arme würden mich nicht mehr lange halten können. Ein letztes mal versuchte ich mich zu retten, ohne Erfolg. Ein Finger nach dem anderen löste sich vom nassen Blech der Regenrinne und ich schloss die Augen. ,,Da hast du dein tolles Abenteuer'', murmelte ich und ließ stürzte mich schlussendlich in die Tiefe.   

Ich wartete auf den Aufprall und die Erlösung aus meinem zum scheitern verurteilten Leben, aber nein, der Aufprall war weder befreiend noch schmerzhaft: Ein warmer Atem traf meine lodernde Haut und ich fühlte wie das Blut durch die Adern der muskulösen Arme pumpte, welche mich geradewegs vor dem sicheren Tod bewahrt hatten. Wie in Zeitlupe öffnete ich meine Augen, als mein Blick auf die schwarzleuchtenden Augen des Seinen traf. In seinen schwarzen Haaren bildeten sich kleine Tropfen, die auf mein Gesicht fielen und es in Flammen aufgehen ließen. ,,War das hier gerade ein Selbstmordversuch? Wenn ja, dann bin ich mal wieder zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen'', zwinkerte er mir arrogant zu und befreite mich aus seinem Griff. ,,Mein Leben ist scheiße genug, aber eigentlich wollte ich es mir für ein anderes mal aufheben'', grinste ich provokant zurück, setzte mich auf einen Stein und begutachtete meine Schnittwunde. ,,Das sieht gar nicht gut aus'', kommentierte er und runzelte die Stirn. Er hatte Recht, die Wunde war unnormal tief und groß, aber meistens ist es mit bisschen kühlen getan. ,,Ach das geht schon, ist doch nur ein kleiner Kratzer'', sagte ich mit schmerzverzogenem Gesicht. ,,Zeig mal her'',     ,,Okay Herr Doktor, ich wusste nicht wie ernst es um mich steht'', murmelte ich und streckte ihm widerwillig meine Hand entgegen. ,,Ich würde es zur Sicherheit desinfizieren und verbinden. Ich wohne hier in der Nähe, wenn du willst kannst du mitkommen und wir kümmern uns um deine Wunde'', bot er mir an und zuerst zögerte ich, lehnte letztlich jedoch ab: ,,Danke, aber ich komme schon alleine klar.''

,,Du meinst so wie eben? Ich weiß nicht ob ich dich alleine lassen kann.", stellte er besorgt fest. ,,Mach dir keine Sorgen, schließlich stehe ich immer noch hier und hab nicht versucht mich gleich vom nächsten Dach zu stürzen'', sagte ich.                                                                                                    ,,Ich sorge mich um niemanden, ich habe mich nie gesorgt und das werde ich auch nie. Komm gut nach Hause Kleines.'' murmelte er und verschwand im Dickicht der Nadelbäume. Da saß ich nun alleine und verletzt, sowohl äußerlich als auch getroffen von seinen letzten Sätzen. Es dämmerte allmählich, daher machte ich mich auf den Heimweg. Ein Blick aufs Handy genügte: Zehn verpasste Anrufe von Liam und drei von Olivia. Ich verdrehte nur genervt die Augen, steckte mein Handy in meine Hosentasche und öffnete die große Glastür zu unserem Haus. Wie erwartet, waren meine Eltern wieder kurzfristig verreist und hatten mir nur einen Zettel hinterlassen, Olivia war einkaufen und nur Buddy kam mich begrüßen. Ich ließ mich auf mein Bett fallen und kraulte ihn hinter seinem rechten Ohr, so wie er es am liebsten mochte. Noch immer dachte ich über die Begegnung mit dem Mysteriösen nach und ärgerte mich über meine Sturheit. Jedes mal aufs Neue setzt mein Verstand aus wenn ich ihn sehe. Da fiel mir ein, ich kannte noch nicht mal seinen Namen. Ist er ein Mason? Oder vielleicht doch eher ein Josh? Kopfschüttelnd wandte ich mich zu Buddy und dachte noch lange über meinen unbekannten, heißen Mister X nach.

The danger of usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt