Dezember Teil 3

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Ich kann nicht mal sagen wie lange ich schon durch die Straßen gehe, aber in meinem Kopf ist alles so durcheinander, dass ich nicht weiß was ich sonst machen soll. An unserem Familientreffen ist mir bewusst geworden, dass Julian noch immer mit der Angst lebt, dass ich einfach gehen könnte. So ganz verstanden habe ich es nicht und im Nachgang tut es mir unwahrscheinlich leid, dass ich nicht stärker darauf reagiert habe. Aber mir was das gar nicht mehr so klar, weil er... er das Thema nie wieder erwähnt hat. Wahrscheinlich weil er wusste, dass er mir mit dieser Aussage auch wieder weh tun würde.

Dieser Mann so ist ein unglaublicher Vollidiot!Er hat sich mir gegenüber so verhalten, weil er sich schützen wollte? Mich auf Abstand zu halten sollte ihn vor dem Schmerz schützen, wenn ich gehen würde? Oder sollte es mich dazu bringen zu gehen? Wie kann er denn sowas denken? Wie? Was habe ich denn falsch gemacht? Was hätte ich anders machen können? Hätte ich anders reagiert... würden wir dann auch hier stehen? Ich... Vollkommen durcheinander fahre ich mir mit der Hand über mein Gesicht.

Erst als Nala mich mit ihrer Nase anstupst merke ich, dass ich stehen geblieben bin. Die Hündin sitzt brav neben mir und sieht mich mit schräg gelegtem Kopf an. Sie wartet ab und sieht mich dabei erwartungsvoll an. Es ist erstaunlich wie sehr sie mir mittlerweile vertraut. Am Anfang war sie zwar glücklich, wenn wir im Haus waren, aber sobald ich mit ihr mal alleine raus wollte, hat sie sich keinen Schritt weg bewegt. Möglicherweise lag es auch an mir. Denn ich hatte wirklich etwas Angst alleine mit ihr unterwegs zu sein. Wenn sie sich losreißen würde und ich sie nicht wieder finden würde... Familie Brandt würde mich umbringen. Einfach den heiligen Hund zu verlieren. Nicht auszudenken. Es hat ein bisschen gedauert, aber jetzt vertraut sie mir... weil... weil ich mir vertraut habe...

Ich lache auf und schließe wegen meiner eigenen Blödheit die Augen. Nala war wie Julian jetzt! Wie sollte ich erwarten, dass er daran glaubt, dass ich ihn liebe und wir uns nicht trennen...wenn... wenn ich selbst nicht daran glaube? Ich lasse mich auf die Mauer neben mir sinken und Nala legt ihren Kopf auf meinem Schoß ab und sieht mich von unten heraus an. Auch wenn es vollkommen falsch von Julian war, mich mit seiner Art auf Abstand zu halten oder gar loswerden zu wollen, kann ich seine Reaktion irgendwo nachvollziehen. Ich kann verstehen warum er so gehandelt hat. Jedenfalls wenn ihn meine Aussage mit der Hochzeit wirklich so getroffen hat.

Aber daran kann ich nichts ändern. Ich kann aktuell nicht „Ja" zu Julian sagen. Dafür ist alles noch viel zu frisch. Die Wunden sind noch da und nicht ganz verheilt. Und am Ende sind wir beide ziemlich verkorkst, aber irgendwann müssen wir damit anfangen zu heilen. Und entweder war der Zeitpunkt jetzt gekommen oder wir mussten einsehen, dass Liebe alleine eben nicht ausreichte um die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Ich muss wieder daran denken, dass Zeit keine Wunden heilt. Sondern uns nur den Raum gibt, um es selbst zu tun. Waren meine Wunden verheilt? Bei dem Versuch tief in mich hinein zu horchen, stoße ich nur auf eine einzige Sache...

Ich lache leicht hysterisch auf und Nala jault als Antwort leise vor sich hin und tippt mich mit ihrer Pfote an. „Wir sollten wohl zurück gehen, oder Süße?", ich stehe auf und stelle im gleichen Moment, indem ich mich umsehe fest, dass ich keine Ahnung habe wo wir eigentlich sind. „Da haben wir wohl ein Problem, oder? Findest du den Weg nach Hause, Nala?", ich sehe die Hündin an, aber sie legt nur den Kopf schief und jault wieder. „Dachte ich mir schon...", murmele ich vor mich hin. Natürlich ist es auch schon fast dunkel, sodass auch eigentlich niemand mehr unterwegs ist, den ich fragen kann. Ich laufe also in die Richtung aus der ich gekommen bin und krame dabei mein Handy aus meiner Tasche. Julian hat mehrfach versucht mich anzurufen, Jannis und Jascha mir WhatsApp Nachrichten geschrieben. Erst überlege ich was ich jetzt machen soll, natürlich könnte ich meinen Standort suchen und mich dann so nach Hause leiten lassen. Aber ich bin schon zu lange weg und der Rest macht sich schon jetzt Sorgen um mich. Also drücke ich auf den grünen Hörer und warte.

Ein ganzes Jahr - Kurzgeschichte zu Winter SongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt