November Teil 2

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Ich flitze seit heute Morgen wie eine Irre durch die Wohnung. Backe zu den Plätzchen noch einen Kuchen, bereite Lasagne für heute Abend vor, putze die Küche und die Badezimmer, räume die Wohnung auf und auch teilweise um, schüttele Kissen auf und... bin absolut nicht in der Lage still zu sitzen. Gestern Abend war ich wirklich noch positiv gestimmt, aber seit Julian sich verabschiedet hat, drehe ich gefühlt komplett durch. Mein Anker ist weg. Mein Ruhepool. Und ich... bin... ich glaube das letzte Mal, war ich so drauf, als ich nach Dortmund „geflüchtet" bin.

Ich will meinem Vater einfach so wenig Angriffsfläche wie möglich bieten und setze mich damit selbst so unfassbar unter Druck, dass ich nicht in der Lage bin mich nochmal hinzusetzen und auszuruhen.

Ich bin gerade dabei zum hundertsten Mal von links nach rechts zu laufen und alles nochmal zu überprüfen, bevor ich mich umziehen will, als es an der Tür klopft. Verwirrt halte in meiner Bewegung inne und werfe einen Blick auf die Uhr. Noch zwei Stunden bis die anderen kommen wollen.

Eigentlich habe ich keine Lust an die Tür zu gehen. Im Schlimmsten Fall steht Valerie davor und das könnte ich jetzt wirklich nicht ertragen. Aber es klopft jetzt wieder und ich gehe dann doch nachschauen.

Ohne durch den Türspion zu sehen, reiße ich die Tür auf und bekomme große Augen als ich in die Gesichter von Jannis und Jascha schaue. „Was macht ihr denn hier?", bringe ich gerade so heraus, bevor mich beide in eine feste Umarmung ziehen. „Julian hat sich solche Sorgen gemacht, dass du uns hier durchdrehen könntest, weil er nicht da ist. Daher haben wir beide vorgeschlagen, schon vorher her zu kommen und dir Gesellschaft zu leisten. Außerdem gehören wir auch zur Familie und haben uns somit für heute selbst eingeladen. Und bevor du jetzt ausflippst, weil das Essen nicht für alle reicht... Du kochst immer für mindestens fünf Leute mehr und Mama hat noch einen zweiten Kuchen gebacken und bringt für heute Abend noch eine Vorspeise mit. Dann sollten wir alle satt werden", Jannis grinst mich an. Ich bin absolut nicht fähig etwas zu sagen und sehe von einem zum anderen und zurück. „Ich glaube sie hat einen Schock... Weißt du was man da macht?", Jascha sieht mich skeptisch an.

Julians Brüder sind hier... Heike bringt Kuchen und noch etwas zum Essen mit... Mein Vater wird ausflippen... Nicht nur, dass Besuch da ist, der nicht angekündigt ist, nein es muss auch noch jemand etwas zum Essen mitbringen. Er wird denken, dass ich nicht mal das hinbekomme.

Ich bekomme Herzrasen und ich ärgere mich innerlich über mich selbst. Es sollte mir doch mittlerweile egal sein, was er denkt. Ich habe eine tolle Familie die mich liebt. Ich brauche ihn nicht... Aber irgendetwas in mir drinnen, wünscht sich Anerkennung von ihm. Etwas tief in mir, das kleine unsichere Mädchen, will von ihrem Vater geliebt werden. Und ich weiß ganz genau, dass das so nicht funktionieren wird. Mir schießen Tränen in die Augen und ich hole zittrig Luft.

„Scheiße Cara, geht's dir gut?", Jannis ist sofort bei mir und zieht mich in seine Arme. Ich vergrabe mein Gesicht in seinem Pullover und weine einfach los. Der ganze Druck den ich mir ja selbst gemacht habe, fällt mit einem Schlag von mir ab. „So war das nicht geplant", murmelt Jascha jetzt leise, stellt sich nah an Jannis ran und streichelt mir über die Haare.

„Tut mir leid", meine Stimme ist ein leises flüstern und Jannis drückt mich fester. „Schon in Ordnung, Cara. Genau deswegen sind wir ja hier."

Kurze Zeit später haben mich die Brüder auf das Sofa verfrachtet und sind gerade dabei den Küchentisch zu decken. Ich sitze mit angezogenen Beinen da und sehe den beiden dabei zu, wie sie alles so hinstellen, wie ich es versucht habe zu erklären.

Jannis kommt kurz darauf mit einem Tee auf mich zu und setzt sich neben mich, während Jascha Kaffee kocht. „Hier... den solltest du trinken. Hat eine beruhigende Wirkung. Steht jedenfalls auf der Packung", damit drückt er mir die Tasse in die Hand. Ich ringe mir ein Lächeln ab und nehme einen Schluck. „Ich bin erbärmlich...", nuschele ich mehr zu mir selbst, aber Jannis scheint mich trotzdem verstanden zu haben. Er nimmt mir die Tasse wieder ab und zieht mich an sich. „Hör auf dich selbst fertig zu machen. Du bist toll und du hast hier alles wunderbar vorbereitet. Wir sind hier. Hörst du. Wir sind heute alle hier und sind bei dir. Keine Ahnung war Julian geritten hat, als er deinen Vater eingeladen hat... Aber ich glaube er wollte einfach nur, dass du auch mit diesem Teil von deiner Vergangenheit Frieden schließen kannst. Mein Bruder ist ganz oft ein ziemlicher Idiot, aber er weiß wie weh es dir tut, dass du mit deinem Vater so ein Verhältnis hast. Er wollte nur...helfen... Auch wenn ich gerade sagen muss, dass du nicht so wirkst als würde dir das helfen... Helfen ein bisschen durchzudrehen schon, aber... naja vielleicht war das ja auch der Plan meines Bruders. Wirklich durchdacht sind seine Pläne nämlich selten...", Jannis sagt das gerade so süß, dass ich lachen muss. „Deshalb wollte er das alles auch absagen, als das extra Training festgesetzt wurde", Jascha setzt sich auf meine andere Seite und nimmt meine Hand. „Er will dir helfen, aber hat total die Krise bekommen, als ihm klar wurde, dass er dich dabei jetzt am Anfang alleine lassen muss. Und genau deshalb sind wir hier. Julian liebt dich. Und wir auch. Du bist Teil der Familie. Und in der Familie Brandt lässt man keinen zurück. Also los! Geh hoch, zieh dich um und wir zeigen deinem Vater dann wie toll seine Tochter ist. Und für den Fall, dass er sich quer stellt... setzen wir ihn vor die Tür! Ganz einfach", Jannis stupst meine Nasenspitze an und ich weine fast wieder los. „Nix da, Cara! Geweint wird nicht mehr. Los jetz! Hoch mit dir, mach dich hübsch, wir kümmern uns um den Rest", Jascha zieht mich auf die Beine und schiebt mich einfach in Richtung Treppe. Nachdem beide Brüder wild mit den Armen wedeln, mache ich mich wirklich auf den Weg nach oben.

Ein ganzes Jahr - Kurzgeschichte zu Winter SongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt