Kapitel 10: In der Lehre

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Am nächsten Tag stand ihre erste Unterrichtsstunde bei Valdemar an. Schon beim Gedanken daran konnte Kara nichts anderes tun, als vor Aufregung breit zu Grinsen. Gespannt trat sie in die Bibliothek ein und eilte voller Vorfreude weiter zum Studierzimmer. Valdemar saß schon an dem großen Tisch in der Mitte des Zimmers. Der Zauberer war in eines seiner vielen Bücher vertieft. Vor ihm lagen dutzende Utensilien verteilt; ein Stapel dicker Bücher, viele normale, aber auch funkelnde Steine, die in den verschiedensten Farbtönen glitzerten, eine helle Holzkugel, eine Kerze, ein Fläschchen mit einem leuchtenden, blauen Inhalt und eine kleine Schmuckschatulle aus Holz. Als der Alte Kara bemerkte, hob er den Kopf und wies lächelnd auf einen Stuhl, der gegenüber von ihm am Tisch stand. „Guten Morgen, Kara. Setz dich ruhig." Das Mädchen nickte lächelnd und tat wie geheißen. „Nun, dann fangen wir mal an" begann der Zauberer. „Als erstes möchte ich dir die Grundlagen des Zauberns beibringen. Zu diesem Thema gehören ebenfalls die Regeln der Magie, die du dir gut einprägen musst. Wenn man gegen eine von ihnen verstoßen sollte, kann dies schnell mit dem Tod enden." „In Ordnung" sagte Kara. „Wie viele sind es denn?" Der Alte schüttelte den Kopf. „Nun ja, genauso wie die Magie selbst, ist die Antwort auf diese Frage äußerst komplex. Die einen sagen, es sei nur eine Hand voll, die anderen zählen sie gleich an mehreren Händen auf. Hier hängt es wiedermal vom Blickwinkel ab. Allerdings bin ich der Meinung, dass diese Regeln sich recht gut zusammenfassen lassen. Wenn du Fragen hast, kannst du mich jederzeit unterbrechen, Kara. Das könnte jetzt etwas länger dauern." Sie nickte einverstanden. Er räusperte sich kurz, bevor er weitersprach: „So, die erste Regel. Die Menge an Magie auf unserer Welt ist zwar unendlich groß, aber nicht die der Magier. An einem Tag kann man nur eine bestimmte Menge von der körpereigenen Magie verbrauchen. Wie viel Magie dies letztendlich ist, hängt von einer Bedingung ab: der Abstammung. Elfen und Obsidianer besitzen für gewöhnlich mehr Magie als ein normaler Mensch, natürlich gibt es hierbei aber auch Ausnahmen." „Bist du eine dieser Ausnahmen?" fragte Kara neugierig, obwohl sie sich die Antwort auf ihre Frage bereits vorstellen konnte. Jedenfalls nickte Valdemar. „Ja, das bin ich. Das überaus starke, magische Blut – zumindest für Menschen – war schon immer ein Teil meiner Familie. Nun aber genug von mir. Jedenfalls ist dies bei Halblingen unterschiedlich, je nachdem, welche Seite stärker ausgeprägt ist. Zum Beispiel kann Senya besser mit Magie umgehen als Laendor, da bei ihr das elfische Blut stärker ist, obwohl sie Zwillinge sind" merkte er an. „Und wie ist das bei mir?" „Da du neben Menschenblut auch noch das der anderen beiden Völker hast, vermute ich, dass dir besonders viel Magie zur Verfügung steht. Das ist aber nur eine Vermutung. Man kann dies erst ganz sicher wissen, wenn man bereits einmal an seiner eigenen Grenze angelangt ist." „Und was passiert wenn man diese überschreitet?" „Wenn man nicht auf sich hört und trotzdem weiter versucht Magie zu wirken, stirbt man in den meisten Fällen. Einige überleben dies, bekommen dann aber schwere körperliche oder geistige Schäden", seine Stimme wurde plötzlich düsterer, „Ich weiß, wovon ich rede." Valdemar zeigte ihr seine linke Hand, die von unzähligen Brandnarben überzogen wurde, genauso wie Karas Arm. „Als ich noch ein junger Knabe war und in der königlichen Magierarmee gedient habe, überschritt ich meine Grenzen in einer Schlacht. Ich versuchte einen weiteren Feuerball heraufzubeschwören, aber die Magie wendete sich gegen mich. Seitdem kann ich meine linke Hand nicht mehr so gut bewegen und immer, wenn ich Feuermagie wirken will, habe ich das Gefühl, dass meine Hand in Flammen stehen würde." „Durch den Angriff auf Arrowen besitze ich ebenfalls solche Brandnarben. Tut mir leid, dass du auch welche auf deinem Körper trägst und sie dich immer an ein schreckliches Ereignis der Vergangenheit erinnern werden" beklommen beäugte sie die Hand des Zauberers. Sie hatte Mitleid mit ihm, da er ihr Schicksal teilte. „Das muss es nicht" erwiderte der Alte. „Es war meine eigene Dummheit. Pass du nur auf, dass du nicht denselben Fehler wie ich begehst. Ich habe Glück, dass ich überhaupt noch am Leben bin. Es hätte auch viel schlimmer ausgehen können." Er schüttelte den Kopf. „Damit dieses Problem einen aber nicht behindert, tragen viele Magier immer einen oder mehrere Cysalen bei sich; das sind diese Steine hier." Er streckte die Hand nach einem der funkelnden Steine aus und reichte ihn Kara. „In diesen sogenannten Cysalas-Steinen kann man jede Art von Magie speichern und auch wieder freisetzen, ohne dabei seine körpereigene zu verbrauchen. Kannst du mir sagen, was für eine Art Magie in diesem Stein gelagert ist? Das müsstest du daran erkennen, wie sich die Magie anfühlt und was du hörst, während du dich auf sie konzentrierst." Kara nahm den Cysalas nickend in die Hand und betrachtete ihn. Er hatte eine tiefblaue Farbe. Spüren konnte sie aber nur die kalte Oberfläche des Steins. „Komisch, ich fühle gar nichts" merkte sie enttäuscht an. „Schließ die Augen und konzentriere dich auf die Magie, Kara" gab Valdemar ihr den Tipp. Nachdem sie ihre Augen geschlossen hatte und sich mit ihrem vollen Geist darauf konzentrierte irgendetwas zu spüren, fühlte und hörte sie plötzlich etwas, das eigentlich unmöglich zu sein schien. Ganz laut hörte sie ein Rauschen, das drohte, ihre Ohren platzen zu lassen. Kara wurde förmlich von den vielen auf sie einprasselnden Sinneseindrücken der Magie überflutet. Ihre Kehle schnürte sich zu und sie hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Sie dachte, sie würde in den Massen der Energie ertrinken. Verzweifelt atmete Kara hektisch ein und aus, schien aber trotzdem kein bisschen Luft einzuatmen. Bleib Ruhig!, befahl sie sich schließlich selbst. Beruhigend versuchte sie tief Luft zu holen und es funktionierte. Ihr Herzschlag beruhigte sich und ebenso auch die unzähligen Dinge, die sie alle auf einmal wahrnahm. Langsam zeigte sich Kara wie sich die Magie in Wahrheit anfühlte, anhörte, sie meinte sogar den ganz leichten Geschmack von Salzwasser auf ihrer Zunge zu spüren... Oder spielte ihr die Fantasie nur einen fiesen Streich? Nein, dies spürte sie wirklich. Überrascht versuchte Kara zu erklären, wie sie die Magie im Inneren des Steins wahrnahm: „Jetzt ... kann ich etwas spüren und hören... Ich ... ich glaube ..." Unsicher fasste sie ihre Empfindungen in Worte: „Die Magie fühlt sich irgendwie ... nass an ... so wie das Wasser des Ozeans. Und ich meine, ... Meeresrauschen zu hören ... und irgendwie Salzwasser zu schmecken...? Ist das ... Wassermagie?" Jetzt war sie sich eigentlich zu hundert Prozent sicher, nachdem sie nochmal genau hingehorcht hatte. „Ja, es muss Wassermagie sein!" Sie öffnete die Augen und schaute fragend den Zauberer an. Dieser hatte sie währenddessen überaus neugierig angestarrt. Valdemar war sich nicht sicher gewesen, ob Kara bereits jetzt schon, ohne jegliche Erfahrung mit dem Zaubern zu besitzen, erkennen würde, um welche Magieform es sich handelte. Aber wenn sie es jetzt schon wahrnehmen sollte, dann würde seine Schülerin wahrscheinlich jede einzelne Facette der Magie wahrnehmen, hatte er angenommen. Karas Eltern hatten ebenfalls ein wirklich unnatürlich gutes Gespür für magische Energie gehabt, also vermutete er, dass Kara dieses von ihnen geerbt hatte. Valdemar hatte auch bewusst diesen Cysalas genommen, da diese Art von Magie eigentlich ziemlich einfach war, herauszufinden. Zufrieden lächelte der Alte sie an und nickte. „Ja, Kara, da hast du recht!" lobte er. „Das hast du sehr gut erkannt. Es handelt sich in der Tat um Wassermagie." „Wow..." raunte Kara begeistert. „Am Anfang wusste ich gar nicht wirklich, wie ich es beschreiben sollte. Es war alles zu viel für mich. Ich fühlte mich, als würde ich in der ganzen Magie untergehen. Aber dann hat sich der eigentliche Klang der Magie herauskristallisiert." „Ich habe mir schon gedacht, dass du ein ausgereiftes Verständnis für Magie hast. Du scheinst wahrlich die Fähigkeiten deiner Eltern geerbt zu haben." Valdemar lächelte sie an. „Echt?" fragte sie erstaunt. „Ja, sie waren wirklich talentierte Magier gewesen und kannten auch eine viel Zahl von Zaubersprüchen." Er räusperte sich und wechselte damit das Thema. „So, das war die erste Regel. Die zweite ist ihr sehr ähnlich: Von Zauber zu Zauber ist es unterschiedlich, wie viel magische Kraft er von einem verlangt. Wenn er mehr verlangt, als man besitzt, stirbt man sofort. Dies hat noch keiner überlebt." „Und woher weiß ich, wie viel Magie mir ein Zauber kosten wird?" „An der Größe des Zaubers. Kleinere Zauber, mit denen man nicht so viel anstellen kann, ziehen weniger eigene Magie ab. Größere Zauber mit vielen verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten oder komplexen Beschwörungen und Zauberformeln kosten einem meistens mehr Magie. Auch hängt dies von der Magieform ab. Elementare Magie verbraucht zum Beispiel nicht so viel wie die anderen Arten, da man die Umgebung meistens als Quelle benutzen kann. Raum- und Zeitzauber erfordern unausgesprochen viel Energie, da man bei ihr normalerweise keine Quelle benutzen kann, außer man besitzt einen Cysalas mit gebündelter Zeit- oder Raummagie oder befindet sich an einem besonderen Ort, der besonders viel dieser Magie gespeichert hat; so einen Platz nennt man Nexus. Beispielsweise befindet sich ein Zeitnexus oft in der Nähe von Zitadellen oder heiligen Stätten. Bei Dunkelheits- und Lichtzaubern kann man oft das Sonnenlicht oder den Schatten, welche sich wirklich fast überall finden lassen, als Hilfsmittel benutzen." Kara nickte, obwohl sie noch keinerlei Ahnung hatte, was denn mit elementarer oder Raum-, Zeit-, Schatten- und Lichtmagie gemeint war. Dies musste sich wohl auch etwas in ihrem Blick widerspiegeln, da Valdemar, nachdem er es bemerkt hatte, schnell hinzu fügte: „Was es mit den ganzen Wörtern, die ich in Verbindung mit der Magie gebracht habe, auf sich hat, erkläre ich dir nun." Der Zauberer fuhr mit der nächsten Regel fort: „Regel Nummer drei besagt, dass die vielen Arten der Magie in verschiedene Kategorien eingeteilt werden und ebenso Wechselwirkungen aufeinander haben. Jede Form der Magie hat einen anderen Klang und sie fühlen sich verschieden an." Valdemar nahm eines der Bücher vom Stapel und blätterte in ihm, bis er die richtige Seite gefunden hatte. Dann drehte er das Buch so um, dass Kara es lesen konnte. Dieses Buch war schon sehr alt und wurde scheinbar oft benutzt. Das konnte man an den vergilbten und geknickten Seiten erkennen. Etwas von der Schrift auf diesen Seiten konnte man beinahe nicht lesen, da sie entweder verblichen war oder etwas Tinte verdeckte einige Buchstaben. Auf manche Stellen hatte aber jemand ausversehen etwas Kaffee vor Müdigkeit auf das Papier verschüttet. Jedenfalls waren auf den beiden Seiten jeweils eine große Abbildung und Erklärungen zu ihnen niedergeschrieben. Auf der ersten Seite wurden acht gegenüberliegende Kreise gezeigt, in denen die Bezeichnung für die Magieart und das zugehörige Symbol dazu standen. In der Mitte dieser Kreise befand sich ein großer acht zackiger Stern. In der Mitte des Sterns stand das Wort Elementar geschrieben. An jedem Zacken des Sterns wurde ein anderes Symbol abgebildet und der Name der Magieform war hinter das Zeichen geschrieben. Valdemar deutete mit der rechten Hand auf den großen Stern. „Das ist die elementare Magie. Sie ist eine der meist genutzten Formen der Magie. Sie ist sehr leicht für uns zugänglich, da sie beinahe überall ist." Valdemar hob seine Hand, bevor er weiter sprach: „Sie besteht aus den vier Hauptelementen: Feuer, Erde, Wasser und Luft." Jedes der Elemente erschien kurz in seiner Hand zur Demonstration der Magie. Staunend betrachtete Kara die Flammen, Steine, Wassertropfen und den Wind, die allesamt auf Valdemars Handfläche erschienen. Der Zauberer sprach weiter: „Wenn man es schafft, zwei der Elemente in ein harmonisches Gleichgewicht zu bringen, entsteht eins der vier Subelemente: Aus Feuer und Luft entsteht Blitz- oder auch Donnermagie." Plötzlich knisterte und blitzte etwas elektrische Energie auf seiner Hand auf und ließ Kara kurz zusammenzucken. „Erde und Wasser verbinden sich zur Naturmagie, mit der man Pflanzen kontrollieren und sie verzaubern kann" Diesmal erschien nichts auf der Hand des Zauberers, aber eine Topfpflanze, die in einem der Bücherregale stand, fing auf einmal an, sich zu bewegen und ihre Blätter in jede Richtung zu strecken, bis sie auf einmal damit aufhörte. „Luft und Wasser ergeben Eismagie" Ein kleiner Klumpen Eis schmolz nun auf der warmen Handfläche des Zauberers dahin. „Aus Feuer und Erde wird Lavamagie." Valdemar ließ einen der Kieselsteine auf dem Tisch schweben und ohne Vorwarnung schmolz er und wurde für einen kurzen Moment zu Lava, bevor dieser wieder erlosch. Nun deutete der alte Zauberer auf die anderen Kreise. „Das hier sind die anderen Arten von Magie. Die Magiearten, deren Kreise gegenüber voneinander liegen, sind das komplette Gegenteil zu ihrem Gegenstück. Licht erhellt die Welt, während Schatten sie wieder verdunkelt. Mit Raum- oder auch Portalmagie ist es möglich, die Grenzen des Raums zu umgehen. Beispielsweise kann man mit ihr, dem Zauberspruch Callum'na und zwei Teilen desselben Cysalas miteinander über weite Entfernungen kommunizieren. Zeitmagie lässt den Magier einen Blick in die Vergangenheit, Zukunft und auch die Gegenwart eines Ortes, einer Person oder ähnliches werfen. Die großen Priester in den Zitadellen bekommen ihre Visionen von der Zukunft zum Beispiel mit Zeitmagie. Der Unterschied dieser beiden Magieformen ist die Art ... nun ja ... wie man sich fortbewegt? Es ist schwer dies zu erklären, da sie zwei sehr komplexe Arten sind" entschuldigte er sich kichernd, als er Karas verwirrten Blick bemerkte. „Trotzdem versuche ich es mal: Während man beim Verwenden von Raummagie meistens in alle Richtungen gehen kann, also sich in verschiedene Himmelsrichtungen teleportiert, geht man bei Zeitmagie, während man im Verlauf der Geschichte steckt, nur vor und zurück. Verstehst du was ich meine, Kara?" Das Mädchen nickte zögernd. „Ich glaube schon, ... auch wenn diese Erklärung vielleicht etwas schwammig sein mag." Sie zuckte langsam mit den Schultern. „In Ordnung. Dann fahre ich mit den anderen Magiearten fort. Mit Lebensmagie kann man Wunden heilen, aber nur Personen mit elfischen Blutanteil besitzen die Fähigkeit, sie zu nutzen, weil sie von Geburt an mit dieser Magie verbunden sind. Elfen nennen sie auch größtenteils nur Heilmagie. Ihr komplettes Gegenteil ist Todesmagie. Wie der Name schon sagt, verzehrt sie die Lebensenergie von allem, mit dem sie in Kontakt kommt. In hohen Dosen ist sie nichts anderes als tödlich; das tödlichste Gift der Welt." Den nächsten Satz formulierte er mit hoch erhobenem Finger und betonte dabei das erste Wort sichtlich: „Aber wenn man die Menge an Todesmagie in einem Zauber so gering wie möglich hält, dann kann man damit magische Wunden ebenfalls heilen, da sie andere Arten von Magie zum Verstummen bringt, wodurch sie ihre Kräfte verlieren. Anders als Lebensmagie, die sehr laut ist, ist Todesmagie jedoch still. Sie gibt keinen einzigen Ton von sich, fühlt sich aber besonders schwer und ... erdrückend an." Bei der Art wie der alte Mann Dinge betonte, musste Kara sich ein Lachen verkneifen. Verstohlen grinsend legte sie sich eine Hand vor dem Mund, hörte dem Zauberer aber weiterhin zu. „Nun kommen wir mal zur reinen Magie. Sie ist der Ursprung aller Magie und stammt von der Schicksalsgöttin Lumina persönlich. Reine Magie beschreibt den Zustand von Magie, wenn sie nicht von anderen Elementen oder Dingen beeinflusst wird. Diese Magie lässt sich sehr leicht zu allen anderen Arten umformen. Es stellt sich aber als überaus problematisch heraus, sie wieder von den Elementen zu trennen. Deswegen nutzt man sie nur selten und es ist auch nicht so einfach wie bei den anderen Magieformen. Am häufigsten wird sie wahrscheinlich für den Schildzauber benutzt, da man mit ihr andere Magie abwehren und reflektieren kann. Dieser magische Schild zerbricht aber, wenn er zu stark beschädigt ist oder er zu viel Magie auf einmal kontern muss. Wie man so einen Schild beschwört, werde ich dir bald auch noch zeigen. Er ist nämlich die wichtigste und beste Verteidigung, wenn es um Magie geht. Pfeile und andere Waffen kann man damit aber auch abwehren." Kara nickte gespannt. „Und was bedeutet das?" Sie zeigte auf das Wort schwarze Magie, das gegenüber von der reinen Magie lag. „Das ist die schwarze Magie, Kara. Dies ist die dunkelste Form von Magie. Es schwer und auch verboten, diese Magie zu verwenden, da man, um sie überhaupt aktivieren zu können, anderen Lebewesen die Magie rauben muss und sie dadurch ihr ganzes Verständnis für Magie und die Verbindung zu ihr verlieren. Oder man kommt irgendwie an einen Dämon heran. Diese Biester bestehen aus diesem schwarzen Zeug, aber sind überaus gefährlich, weil sie nicht nur schwarze, sondern auch Todesmagie in sich tragen. Aber es gibt einige wenige Zauberer, die das Verbot missachten. Diese Magier sind dadurch sehr mächtig, da man mit schwarzer Magie Dinge tun kann, die mit anderer Magie unmöglich wären. Diese dunklen Magier zahlen aber einen hohen Preis für ihr Verbrechen: Ihre Seele verdunkelt sich mit jedem weiteren Zauber immer mehr, wodurch sie Emotionen oder Eigenschaften wie Mitgefühl und Güte vollständig verlieren. Diese Zauberer sind das, was einem Monster sehr nahekommt." „Also ist schwarze Magie böse?" Valdemar erwiderte: „Ja man kann sie durchaus als böse ansehen, allerdings ist Magie an sich weder gut noch böse. Der Anwender macht sie erst dazu." Ernst sah er in ihre Augen. „Kara, du musst mir versprechen, dass du niemals in deinem Leben schwarze Magie verwenden wirst." „Keine Sorge, ich benutze sie niemals. Das verspreche ich dir." „In Ordnung. Ich will nämlich nicht dafür verantwortlich sein, einen dunklen Magier in die Welt zu bringen." „Ich verstehe schon." Kara nickte. „Und was ist mit den Wechselwirkungen der Magie?" „Sie werden auf den nächsten Seiten im Buch erklärt. Lese sie bitte durch und präge sie dir gut ein. Die Wechselwirkungen können entscheidend für das Gelingen oder Scheitern eines Zauberspruchs sein und somit auch für einen Kampf, indem du Magie nutzt, um zu gewinnen." „Aber wie bewirke ich einen Zauber nun bewusst? Ich habe zwar schon ein paar Mal etwas gezaubert, aber ich wusste nie, was ich da tat. Vor jener Nacht wusste ich nicht mal, dass ich dies kann." „Das liegt daran, dass ich mit dem Schutzzauber gleichzeitig deine Magie blockieren musste. Man benutzt eine sehr geringe Menge Todesmagie, die dann für das Leben ungefährlich ist, wodurch sie deine eigene Magie verstummen lässt und du sie nicht mehr wirken kannst. Wenn sie eines Tages erwacht wäre und du unbewusst mächtige Zauber heraufbeschworen hättest, wäre es ein leichtes gewesen, deinen Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Erst als es diesem Obsidianer Dahmon gelungen ist, den Schutzzauber mit reiner Magie zu brechen, konnte die magische Kraft in dir überhaupt erwachen, Kara. Du hast sie instinktiv verwendet. Aber du musst lernen, sie zu kontrollieren, sonst kann es zu explosionsartigen Ausbrüchen von Magie kommen, durch die wahrlich schlimme Dinge passieren können." „ Und wie tu ich das nun?" Ungeduldig vor Spannung rutschte sie auf ihrem Stuhl herum. „ Du darfst dich nicht von deinen Emotionen beeinflussen lassen. Starke Gefühle wie Wut oder Trauer können bewirken, dass deine Magie außer Kontrolle gerät. Ich sage hiermit nicht, dass du keine Emotionen fühlen darfst, du musst nur ohne ihren Einfluss entscheiden können." „ Alles klar" antwortete sie schnell. ,, Was muss ich nun aber machen, um einen Zauber bewusst zu wirken?" wiederholte sie die Frage. „ Als erstes benötigst du die passenden Worte der Runensprache und du brauchst ein klares Bild von deinem Vorhaben in deinem Kopf. Erfahrenen Magiern ist es zwar möglich auch ohne eine Zauberformel etwas heraufzubeschwören, das würde aber im Moment deine Kenntnisse übersteigen. Diese Technik, Magie zu wirken, ist sehr schwer zu erlernen. Trotzdem werde ich versuchen, sie dir beizubringen, wenn du soweit bist." Er machte eine kurze Pause, bevor er weiter erklärte: „ Dann musst du wissen, wie du deine Kräfte bewusst heraufbeschwören kannst." Er griff nach einer Kugel, die auf dem Tisch gelegen hatte, und drückte sie Kara in die Hand. „ Versuche diese Kugel mit der Kraft deines Geistes zum Schweben zu bringen." Kara nickte und schloss die Augen. So schwer kann das ja nicht sein, dachte sie, irrte sich aber komplett. Sie begann sich zu konzentrieren und in ihrem Geist nach der Magie zu suchen. Als Kara sie nach einer Weile fand, versperrte etwas wie eine Barriere den Weg zu ihr, sodass sie ihre Magie nicht erreichen konnte. Die Blockade fühlte sich schwer an und drückte mit einem unendlich hohen Gewicht auf Karas Geist. Um sie herum war es aber mucksmäuschenstill. War das vielleicht noch ein klitzekleiner Rest der Todesmagie vom Schutzzauber? Das Gefühl, das Kara jedenfalls bekam, passte perfekt auf Valdemars Beschreibung. Verdammt, dachte Kara murmelnd. Wie sollte sie denn da vorbeikommen? Angestrengt versuchte sie diese Hürde zu überwinden. Nach vielen etlichen Versuchen schaffte sie es endlich! Die Todesmagie wurde schwächer und nahm ab. Jetzt ließ sie Kara doch durch. Schließlich erreichte sie ihre magischen Kräfte. Sie spürte, wie sie durch ihren Körper schossen. Sie bündelte sie in ihrer Hand und öffnete die Augen. Unter großer Bemühung versuchte sie, die Holzkugel nur für einen kurzen Augenblick in die Luft zu heben und dort halten zu können. Aber jeder Versuch scheiterte. Schweißtropfen sammelten sich auf Karas Stirn. Verzweifelt versuchte sie die Magie weiter in ihrer Hand zu behalten. Sie atmete noch einmal tief ein, schloss die Augen und sammelte sich. Dann beäugte sie die Kugel und befahl ihr mit der Kraft ihres Willens, zu schweben. Erst dachte Kara, dass sie wieder scheiterte, aber dann bewegte sich die Kugel endlich. Zuerst zitterte sie nur in der Hand des Mädchens, schließlich bewegte sie sich einige Zentimeter in die Luft und blieb dort für den Bruchteil einer Sekunde. Dann landete sie wieder in Karas Hand. Erleichtert atmete sie aus. Diese Übung war wirklich sehr anstrengend. Erschöpft wischte sie die Schweißflecke von ihrer Stirn. „ Für den Anfang gar nicht mal schlecht. Sehr gut, Kara" lobte sie der Alte lächelnd. „ Ich glaube, ich bin währenddessen auf etwas Todesmagie in meinem Inneren gestoßen. Alles fühlte sich so erdrückend und totenstill an in meinem Kopf" erzählte sie. Valdemar nickte nachdenklich. „ Es ist gut möglich, dass dieser Dahmon nicht die ganze Todesmagie neutralisieren konnte. Sie ist sehr hartnäckig, musst du wissen, sogar für reine Magie, obwohl sie jede andere Magieart beinahe ohne Probleme nutzlos machen kann... Ich schlage vor, du lässt sie nachher von Senya entfernen. Sie ist darin nämlich wirklich gut." „ In Ordnung." Nach einer kurzen Pause räusperte er sich. ,, So, jedenfalls wiederholst du diese Übung nun bitte mehrfach am Tag. Am Anfang am besten so ... hm ... zehn Mal pro Tag. Hör erst auf, wenn die Kugel auch wirklich schwebt." Überrumpelt starrte sie in das faltige Gesicht des Zauberers. „ Aber wenn ich jetzt schon total erschöpft bin, wie soll ich das dann zehn mal am Tag aushalten?" protestierte Kara. „ Glaub mir, je öfter du es versuchst und es dir auch gelingt, desto einfacher wird es und desto mehr Kontrolle hast du über deine magischen Kräfte." „ Na gut..." willigte Kara widerwillig ein. Valdemar schüttelte lachend das schneeweiße Haupt. ,, Nun gut, dann werde ich dir mal einen leichten Zauber beibringen." Sofort war Kara wieder ganz Ohr. ,, Oh ja, bitte!" bat sie aufgeregt. „ So, mit diesem Zauber kannst du das Licht einer Kerze stehlen und in deiner Hand halten, damit etwas anderes anzünden oder das Licht damit löschen. Wenn man die Wörter ein Licht stehlen hört, mag man zuerst meistens an Lichtmagie denken, aber dieser Zauber entpuppt sich als Feuermagie. Sie ist sehr leicht bedienbar und man kann sie für vieles nutzen: zum Kochen, zum – nun ja – Feuer machen halt und so. Licht- und Feuermagie sind sich ohnehin schon sehr ähnlich, da sie beide leuchten. Mit Lichtmagie ist aber eher Sonnen-, Mond- oder Sternenlicht gemeint und mit Feuer das Glühen einer Flamme." Verwundert sagte Kara: ,, Dies konnte meine Freundin Mary schon, als wir vierzehn waren." Sie spürte wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. ,, Sie konnte dies sehr gut..." Karas Stimme nahm einen traurigen Unterton an. ,, Oh, das tut mir leid" erwiderte Valdemar mitfühlend. ,, Soll ich dir lieber einen anderen Zauber beibringen?" ,, Nein, ich möchte diesen lernen. Dann denke ich immer an sie, wenn ich diesen Zauber benutze." Der Zauberer nickte. ,, Nun gut. Also die magischen Worte dafür lauten Sum igna vestra." Der Zauberer brachte ihr bei, wie man diese Zauberformel richtig aussprach und zeigte ihr, wie man den Zauber ausführte. Erst sagte er einen anderen Spruch, schnipste in die Finger und zündete damit den Docht der Kerze an. „ Pass jetzt genau auf" sagte er zu Kara. „ Sum igna vestra" befahl er bestimmt, während er seine Hand nach der Flamme ausstreckte. Plötzlich flackerte das Lichtlein hell auf, sprang, als wäre es lebendig geworden, von der Kerze auf Valdemars Handfläche. Dort hielt er die Flamme kurz, bevor er sie wieder zurück auf den Docht der Kerze tat. „ Jetzt bist du an der Reihe. Denk daran, dass du keinerlei Zweifel haben darfst, während du die Worte aufsagst. Lass dich nicht verunsichern, wenn du sie mehrmals sagen musst." Kara streckte ihre Hand so nach der Kerze aus, wie der Zauberer es vorgemacht hatte. Die Augen schließend atmete das Mädchen tief ein. Im Bruchteil einer Sekunde erinnerte sie sich an jenen Tag, als Mary ihren Freunden zum ersten Mal ihre magischen Fähigkeiten gezeigt hatte. Sie alle waren so begeistert gewesen und hatten gehofft, so etwas vielleicht auch eines Tages schaffen zu können. Die Erinnerung an ihre Freunde machte sie traurig, aber gleichzeitig auch glücklich. Sie würden immer einen besonderen Platz in Karas Herzen einnehmen. Mary, Connar, Warren, jetzt zeig ich euch, dass auch ich eine Magierin werden kann, dachte Kara zielstrebig und öffnete wieder die Augen. Während sie sich konzentrierte und die magische Kraft in ihrem Inneren wiedererweckte, fokussierte sie die lodernde Flamme an und stellte sich vor, wie sie auf ihre Handfläche springen und dort für einige Augenblicke verweilen würde. Als Kara schließlich bereit war, bündelte sie die Magie in ihrer Hand und sagte den Zauberspruch ohne irgendwelche Zweifel auf: „ Sum igna vestra." Plötzlich flackerte das Licht der Kerze noch heller auf als zuvor, bewegte sich jedoch kein Stück zu ihrer Hand. „ Sum igna vestra!" wiederholte sie diesmal lauter. Sie fühlte wie eine lodernde Hitze in ihr aufglühte. Die Flamme der Kerze flackerte wieder auf, sprang vom Docht in die Luft und landete auf Karas Handfläche und blieb dort. Die Flamme strahlte eine angenehme Wärme aus und leuchtete noch viel heller. Kara meinte eine Art Herzschlag in ihrer Hand spüren zu können, sie war sich aber sicher, dass es nicht ihr eigener war. „ Sehr gut, Kara" lobte der alte Mann sie. „ Fühlt sich an wie ein kleiner Herzschlag" sagte sie. „ Ja, Magie ist lebendig, abgesehen von Todesmagie natürlich." Kara ließ die Flamme wieder zurück auf die Kerze und fragte den Zauberer: „ Wenn man mit Magie Leben vor dem Tod retten kann, indem man die Wunden mit Lebens- oder Todesmagie heilt," Es hörte sich für Kara zwar seltsam an, zu sagen, dass man mit dem gebündeltem Tod ein Leben retten konnte, aber wenn dies möglich war, musste doch auch das, was sie nun fragte möglich sein, oder etwa nicht?, „ kann man dann auch Tote wieder zum Leben erwecken?" „ Nein, Kara" Valdemar schüttelte ernst den Kopf, „ Das ist unmöglich. Wenn eine Seele einmal in der Anderen Welt ist, kommt sie auch nicht mehr zurück ins Diesseits. Nur an den Tagen der vier Sonnenfeste ist es den Geistern der Verstorbenen für kurze Zeit möglich, ihre Geliebten in unserer Welt zu besuchen; zurück ins Leben holen kann man sie aber nicht." Er seufzte. „ Aber Apropos Geister der Verstorbenen: Bevor sich der Unterricht dem Ende zuneigt, will ich dir noch etwas geben." Valdemar nahm das Fläschchen in seine Hand und reichte es Kara. Sie beäugte es. „ Was ist das?" Valdemar antwortete: „ Das ist das letzte Geschenk deiner Mutter an dich: ihr letzter Atemzug. In ihm hat sie ihre letzten Erinnerungen versiegelt, damit du sie eines Tages sehen kannst. Ich sollte es dir geben, wenn du die Wahrheit über dich kennst. Wenn du bereit bist, ihre Erinnerungen zu sehen, öffne das Fläschchen und sage den Zauberspruch „Spiritum memento" auf. Nachdem du von ihren letzten Momenten erfahren hast, komm nochmal zu mir. Danach werde ich dir den Inhalt dieser Schatulle offenbaren." Er deutete auf das Holzkästchen. ,, In Ordnung." Kara umschloss das Fläschchen fest in ihrer Hand. ,, Danke, Valdemar." Dieser nickte nur wissend. Damit war die erste Unterrichtsstunde beendet.

Kara - Das Herz der ElfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt