Kara - Das Herz der Elfen

Kapitel 15 - Allein

Es fing an, in Strömen zu regnen. Wie aus Eimern ergoss es sich über den Baumwipfeln der Südlichen Wälder. Von den Ästen der Bäume tropfte der Regen und sie bewegten sich stürmisch im Wind. Langsam setzte die Dämmerung ein, aber einen schönen Sonnenuntergang mit einem atemberaubenden Farbenspiel gab es heute nicht. Für den Rest der Welt ebenso wenig wie für Kara. Langsam einen kraftlosen Schritt vor den anderen setzend, streifte sie ziellos durch die Wälder. Sie wusste nicht wohin sie gehen sollte. Sie kannte keinen Ort, wo sie Zuflucht finden würde. Wer würde sie denn jetzt noch aufnehmen? Kara wusste die Antwort: Niemand. Mit einer einzigen Tat hatte sie alles verloren, was sie nach dem Angriff auf Arrowen erhalten hatte; Freunde, die für sie wie eine Familie gewesen waren, ein Zuhause mit einem Dach über dem Kopf und Sicherheit. Nun war sie wieder ganz alleine auf dieser Welt. Keiner würde sich um sie scheren. Es dachten doch sowieso alle auf diesem verdammten Kontinent, sie wäre bereits tot; gestorben noch als Säugling auf einer Flucht, die ihrer Mutter und Schwester das Leben gekostet hatte, oder zu Asche verbrannt in dem Höllenfeuer, das die Obsidianer über Arrowen gebracht hatten. Eigentlich hätte sie damals getötet werden sollen. Kara war aber nicht tot, sie wurde gerettet. Es war alles ihre Schuld, das war der einzige Gedanke, der sich aus der Vielzahl in ihrem Kopf manifestieren konnte. Sie war schuld an allem, sie allein. Ihre Vergangenheit holte sie wieder ein. Nur wegen ihr wurde ihre Familie abgeschlachtet und so viele Menschen fanden den Tod. Sie war der Grund, wieso Arrowen nun nur noch aus Trümmern und Asche verbrannter Häuser und Menschen bestand. Sie trug die Schuld an Laendors Tot. Sie war eine Mörderin, unbewusst wie auch bewusst. Mit Sicherheit war sie auch die Schuldige an vielen anderen Toden, die auf dem ersten Blick gar nichts mit ihr zu tun haben schienen. 

 Um ihren eiskalten Körper schlang sie die Arme. Ihre Kleidung war durchnässt und immer mehr Wasser tropfte unaufhaltsam auf sie herab. Ihre Haare absorbierten die Nässe förmlich, glichen einem Schwamm. Aber nicht nur der Regen war das Einzige was gerade tropfte. Wasserfälle aus Tränen ergossen sich über ihre Wangen. Schluchzend verwischte sie die Tropfen, es brachte aber nichts. Ihre Hände begannen zu zittern, ihr Körper zu beben. Aber nicht vor Kälte, sondern vor Magie. Durch die anbrechende Nacht wurde sie wieder stärker, regenerierte sich, vor allem Schattenmagie bildete sich nun in Karas Essenz. Diese erdrückende Masse an Energie schnürte ihre Kehle zu, ließ sie nur schwer Luft holen und ein riesiger, schwerer Kloß formte sich in ihrem Hals. Zu atmen wurde schwerer, beinahe unmöglich, unerträglich. Ein gewaltiger Druck übte sich auf sie aus und drohte, sie zu zerquetschen, als sie versuchte, ihre Lungen mit ausreichend Luft zu füllen, um zu überleben, um weiterzuleben. Ihr Brustkorb, nein ihr ganzer Körper schmerzte bei jedem weiteren Atemzug. Sie fühlte sich, als ob sie vor dichter Magie erstickte. Als die Kraft sich nicht mehr in ihrer Gestalt ausbreiten konnte, waberte sie um ihre Aura herum, wie ein riesiger Schatten, der alles in Dunkelheit tauchte. Die Magie rieb sich an anderer Magie, die im Wald unsichtbar umherschwirrte. Dadurch lud sie sich immer mehr auf, fing an zu knistern, dann zu brodeln wie ein bald ausbrechender Vulkan. Noch versuchte Kara, die Kontrolle über sich zu bewahren, aber der Faden ihrer Selbstbeherrschung wurde immer dünner und ausgefranster. Irgendwann, sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, konnte sie einfach nicht mehr. Die Magie drohte, sie von innen nach außen zu verschlingen. Sie hielt diesem erdrückenden Gefühl nicht mehr stand. Sie musste der Magie erlauben, zu tun, was sie wollte, ihr ihren Willen gewähren, sonst würde die Energie sie umbringen.